Günter Billy Hollenbach

Berkamp - Ein langer schwarzer Schatten


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Mona. Morgen nehme ich mir ebenfalls frei. Übrigens, Du bist mit Kochen dran. Und wenn Du mit Corinna sprichst, sag ihr einen lieben Gruß von mir.“

      Was folgt, ist absehbar.

      Mona kommt zu mir, nimmt mir die Teetasse aus der Hand und drückt mir ein Küsschen auf die Wange.

      „Ooch, Berkamp, Herzblatt. Wollen wir morgen nicht lieber an den Rhein fahren? Du darfst mich auch zu einer leckeren Forelle einladen.“

      „Überredet. Aber nur, wenn Du mich vor dir ins Bad lässt.“

      „Aye, aye, Sir. Fall nicht ins Klo und schlaf gut.”

      „Danke, Du auch, Mona.”

      *

      Am frühen Sonntag Nachmittag auf einer sonnigen Restaurantterrasse in Eltville, nach einem schmackhaften Lachsauflauf, bei Kirsch-Eis und Espresso, bestätigen Mona und ich uns gegenseitig: Unser Drang, im „Fall“ Marx eingehender zu ermitteln, hat spürbar nachgelassen. Als Freizeit-Kriminalisten steht uns dieser Ermessensspielraum zu. Wozu sich den Kopf zerbrechen, wenn andere Leute dafür bezahlt werden?!

      Dienstag, 16. Juli

      Kurz nach dem Mittagessen. Ich sehe sie, ehe sie mich bemerkt.

      Herr Jovanic, unser Hausmeister, hat mich gerade daran erinnert, dass morgen Vormittag das Wasser im Haus abgedreht wird. Die Entkalkungsanlage muss gewartet werden. Wir stehen an den Müllbehältern neben dem breiten Fußweg, der von der Straße zu unserem Hochhaus führt. Mit gleichmäßigem Tritt in die Pedalen biegt das Mädchen auf dem blausilbernen Geländefahrrad in den Weg ein und kommt hinaufgeradelt.

      Sie schenkt uns keine Beachtung, fährt zielsicher vorbei.

      „Danke noch mal, Herr Jovanic, und tschüss.“

      Ich beeile mich, ihr zu folgen.

      „Hey, hallo, Jana, warte mal!“

      Sie tritt ruckartig in die Bremse, verdreht das Vorderrad, hüpft auf den Weg und schaut seitlich zu mir.

      „Meinen Sie mich? Ich heiße Janina!“

      „Ach, entschuldige, Janina.“

      Sie trägt die gleiche, dünne Windjacke über ihren engen Jeans wie vor zwei Tagen. Links und rechts von ihrem Hals baumeln die zwei kleinen Ohrlautsprecher halblaut vor sich hintönend.

      Janina mustert mich unsicher, als ich zu ihr trete.

      „Was ist, wollen Sie was?“

      „Mit dir sprechen.“

      „Wieso? Mit mir? Nöh!“

      Wie am Donnerstag brauche ich etwas länger als ihr wahrscheinlich recht ist, um meinen Blick von ihren goldbraunen Augen mit der glänzend schwarzen Iris zu nehmen. Ihr ganzes Gesicht wirkt wie blankgeputzt, mühelos freundlich und hübsch, wie es vielen Mädchen in dem Alter gegeben ist. Mit der winzigen Spur Scheu darin, die erst recht zum Hinschauen anregt; mich jedenfalls.

      „Doch, junge Dame, ich muss mit dir reden. Komm, lass uns da auf die Treppe setzen.“

      Der Eingangbereich ist von der Mittagssonne aufgeheizt. Ich nehme auf der dritten Stufe Platz. Janina parkt ihr Fahrrad, bleibt zwei Schritte vor mir stehen.

      „Komm, setz dich endlich, ich fresse dich nicht.“

      „Nöh, ich will zu Herrn Marx.“

      „Das geht nicht. Jetzt setz dich schon her.“

      Sie bleibt stehen.

      „Wieso?“

      Ich nehme mir Zeit, drehe mich im Sitzen so, dass mein Bauchbereich ihr unmittelbar zugewandt ist. Eine unbewusst Vertrauen fördernde Haltung.

      „Dreh mal die Musik aus, bitte.“

      Sie starrt durch mich durch, folgt aber meiner Anweisung.

      „Mann! Und jetzt?“

      „Es ist etwas passiert, ... mit Herrn Marx. Erst kannte ich ihn ja nicht, ... als Du letztens nach ihm gefragt hast. Aber inzwischen ...“

      Sie unterbricht mich:

      „Was ist mit ihm?“

      Ich schaue ihr ruhig ins Gesicht, hebe beide Arme schulterweit auseinander, die Hände besänftigend auf sie gerichtet.

      „Herr Marx ist tot.“

      Janina schaut mich reglos an, als habe sie meine Worte nicht gehört.

      „Es tut mir leid, dir das sagen zu müssen.“

      Für einen kurzen Augenblick bekommt sie erschrocken große Augen, unmittelbar gefolgt von trotzig zusammengezogenen Augenbrauen; sie schnappt nach Luft und plärrt:

      „Das ist solch eine widerliche Gemeinheit!“

      „Was ist eine Gemeinheit, Janina?“

      Mit leichtem Beben in der Stimme blafft sie:

      „Lügen, alle lügen mich immer nur an. Statt mir ehrlich zu sagen ...“

      Auch wenn ich es im nächsten Augenblick bereue, ich unterbreche sie.

      „Janina, ich lüge nicht. Es ist die Wahrheit.“

      Noch Tage später bleibt mir mein Missgeschick bei dieser Begegnung mit dem Mädchen lebendig im Gedächtnis haften. Ich hätte nachfragen, sie aussprechen lassen sollen.

      Sie bewegt die Lippen wie ein Fisch auf dem Trockenen, bringt schließlich heraus:

      „Aber das kann nicht sein! Das darf er nicht!“

      Ihre Unterlippe beginnt zu zittern. Ich beuge mich vor, ergreife ihre rechte Hand, ziehe Janina an die Stufen heran. Sie setzt sich willig neben mich.

      „Doch, Janina. Es tut mir leid. Aber es ist so.“

      „Wieso? Woher wissen Sie das?“

      Ich drehe mich ganz ihr zu. Sie schaut mir zum ersten Mal ins Gesicht, lange und unentwegt, als fordere sie mich auf, meine Aussage zu ändern. Ihre Augen werden nass, und große, glitzernde Tränen treten hervor. Ich muss tief Luft holen, bleibe still sitzen, obwohl ich sie lieber in den Arm nehmen oder wenigstens ihre Tränen wegwischen möchte.

      „Ich habe es selbst gesehen, Janina.“

      Ihr Gesicht bleibt reglos, nur die Augenlider blinzeln mehrfach gegen die Tränen. Ein freundliches Gesicht, ein hübsches Mädchen. Sie lieb zu haben könnte mir leicht fallen. Die Vorstellung dagegen, irgendwie sexuell mit ihr umzugehen, mit dieser schlanken Gestalt mit den Ansätzen entstehender Brüste – ich breche den Gedanken ab, um das Aufkommen eines Brechreizes zu verhindern. Als Tochter Claudia in das Alter kam, was war ich stolz auf sie; und zugleich ängstlicher als zuvor, spürte deutlicher den Wunsch, sie zu beschützen. Jetzt nervt mich Monas Frage: Wer weiß, was dieser Marx ihr beigebracht hat?

      „Ich habe gesehen, wie er gestorben ist, Janina.“

      „Wie ... gesehen? Ob einer tot ist?!

      „Ich habe es zufällig beobachtet. Er ist gefallen. Oben von seinem Balkon. An meinem Fenster vorbei.“

      Sie starrt mich mit halboffenen Mund ungläubig an.

      „Vom Balkon? Im achten Stock? Das überlebt doch keiner.“

      „Ja, richtig, leider.“

      „Ganz sicher? Dass er es ist?“

      „Ich bin runter gelaufen, habe ihn zugedeckt, die Polizei verständigt.“

      „Der Herr Marx? Wirklich tot?“

      „Ja. Da kam jede