Günter Billy Hollenbach

Berkamp - Ein langer schwarzer Schatten


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Lebens mit uns überzeugende Gründe für einen Einstieg mit der Psychologie. Plus – die Nähe zur Arbeit ihrer Mutter liefert reichlich kriminologisches Anschauungsmaterial nebenbei.

      Meine Meinung zu dem Thema behalte ich für mich.

      Unabhängig von ihrer Standortentscheidung werde ich Mona beim Studium finanziell unterstützen. Wirtschaftlich geht es mir gut. Soll mein Geld unter der Null-Zins-Matratze verschimmeln? Die Möglichkeit, dass Mona verlockt wird, als verwöhnte Freizeitstudentin die Semester zu verbummeln, kann bei ihrer streng verbeamteten Kindheit und Jugend getrost vernachlässigt werden.

      *

      Ich vertrödele einen Teil des Nachmittags mit Notizen aus dem Gespräch mit Janina und einem unergiebigen Anruf bei der Dienststelle Oberursel. Polizeiobermeister Garster hat dienstfreie Tage.

      Zwei Anläufe mit anderen Kollegen ergeben, dass keiner von ihnen weitere Mitteilungen zum Ableben des Herr Marx zu machen hat. Mit dem Hinweis, ich möge mich an die Kriminalpolizei in Bad Homburg wenden, findet das Telefonat ein schnelles Ende.

      Na schön. Anruf in Bad Homburg. Nach einigem Hin und Her werde ich zu einem Oberkommissar Ludwig durchgestellt.

      „Also Sie sind der, der die Dienststelle Oberursel verständigt hat, über den Tot des, warten Sie ... Herrn Marx, ist das richtig?“

      „Ja, das bin ich.“

      „Und weshalb rufen Sie jetzt an?“

      Der Mann klingt nicht direkt abweisend, eher unbeteiligt.

      Ich finde es angebracht, ihm auf die Sprünge zu helfen.

      „Tja, Herr Ludwig, das ist eine Art Unart unter Kollegen.“

      Er hat zwar noch nichts gesagt, aber ich wette, er hört genauer zu.

      „Ich selbst bin zwar kein Bulle, aber meine Frau ist Hauptkommissarin im K 11 in Frankfurt. Die hat meinen Sinn dafür geschärft, Dingen nachzugehen, zumal mit Blick auf die Opfer. Als eine Sache des Respekts und der ordentlichen Polizeiarbeit.“

      Na bitte. Schon ändert sich die Tonlage am anderen Ende der Leitung.

      „K 11, meinen Sie die Kollegin Veronika Sanders ...?“

      „Lassen Sie das, sie heißt Corinna Sandner,“ unterbreche ich.

      „Gut, gut. Wollte nur sicher gehen. Die Frau Sandner habe ich mal auf einem Lehrgang für Vernehmungstechnik erlebt. Die Dame kann ziemlich ruppig ... Ist sie das, Ihre ...?“

      „Genau die.“

      „Na denn, Herr Berkamp. Gut, dass Sie sich melden. Können Sie vorbeikommen, morgen Vormittag würde passen. Wir suchen immer noch nach Angehörigen. Auch wegen der Bestattung. Und dann ist da noch etwas. Wir sind auf eine Merkwürdigkeit gestoßen: Die kann eine harmlose Erklärung haben. ... Oder auch nicht.“

      „Kurze Zwischenfrage, Herr Ludwig. Gehen Sie von Selbsttötung aus?“

      „Ja klar,“ kommt seine umgehende Antwort mit dem Beiklang einer Nebensächlichkeit.

      „Es gibt keinerlei Hinweise auf die Beteiligung einer anderen Person. Die Wohnung war von innen abgeschlossen. Obendrein fand sich ein Abschiedsbrief, handschriftlich, der lässt wenig Zweifel.“

      „Danke, das ist doch etwas. Sie erwähnten eine Merkwürdigkeit?“

      „Ja, deswegen wäre es gut, wenn Sie vorbeikämen. Es gibt Bilder auf seinem Computer. Vielleicht kennen Sie einzelne Personen, als Mitbewohner des Hauses möglicherweise schon mal begegnet.“

      „Gerne, Herr Ludwig. Ich komme morgen vorbei. Gegen zehn Uhr.“

      Donnerstag, 18. Juli

      Von Oberursel über die nördliche Landstraße erreicht man beinahe geradewegs das Gebäude der „Polizeidirektion Hochtaunus“, Präsidium Mittelhessen, an der oberen Saalburgstraße in Bad Homburg. Auch ohne das blauweiße Schild vor den Eingangsstufen trägt der breite Bau mit einem weißroten Funkmast an der linken Kante des überhanglosen Schrägdachs die Handschrift „Behördensitz“. Über einem hohen, weißen Betonfundament, das teils Keller-, teils Erdgeschossräume umschließt, erstrecken sich drei Reihen blaugefasster, quadratischer Einzelfenster. Links vom Eingangsbereich folgt ein langgestreckter, rückwärtiger Seitenbau; ein zeitgemäßes Amtsgebäude, das größer ist, als die dunkelbraune Außenverkleidung zu erkennen gibt.

      Ein behäbiger Mann in Zivil hütet das kleine Pförtnerbüro. Er lässt mich dastehen wie einen Bittsteller. Das Erscheinen eines Besuchers in dem dumpfen Vorraum mit den teilverspiegelten Sicherheitsglastüren ist für ihn kein Grund, auch nur den Kopf in meine Richtung zu drehen. Nachdem er bedächtig eine Zeitlang auf ein Blatt Papier geschrieben und ungerührt ein Telefongespräch geführt hat, erkundigt er sich durch eine quäkende Sprechanlage nach meinem Begehr.

      Sehr viel schneller betritt Oberkommissar Ludwig, ein kräftig gebauter, fast kahler Mann in dunkelgrüner Hose, kurzärmeligem rotweißgestreiften Hemd mit Krawatte und dem gelegentlich immer noch anzutreffenden Rauchergeruch, den ungastlichen Eingangsbereich.

      Auf dem Weg ins Seitengebäude zu seinem Arbeitszimmer, – Computer mit mittelgroßem Arbeitsmonitor in normal langweiliger Bürowelt aus hellgrauen Möbeln und Aktenschränken –, frage ich nach seiner Meinung über Corinnas Vernehmungskurs. Erst zögernd, dann recht redselig bekennt Ludwig, der Vortrag sei in Ordnung gewesen. Einzelne Video-Beispiele hätte er etwas dick aufgetragen gefunden. Corinna sei darin mit dem Zeugen mal hinterhältig freundlich, mal fluchend wie ein oberhessischer Rübenbauer umgesprungen – selbstverständlich als abschreckendes Beispiel. Worauf ich lachend unterbreche: „Darf ich ihr das mit dem oberhessischen Rübenbauer sagen?“

      „Von mir aus. Aber besser ohne mich namentlich zu erwähnen.“

      Wenig später sitzen wir vor einem älteren Dell-Laptop-Computer.

      „Ich gehe davon aus, Herr Berkamp, dass Sie, was hier besprochen wird, vertraulich behandeln. Mit Ihrer Frau werden sie vermutlich ohnehin reden. Jedenfalls ist das nichts für Außenstehende.“

      „Selbstverständlich. Privat handhaben wir das genauso.“

      OK Ludwig dreht den Computer halb in meine Richtung.

      „Also, schauen Sie sich in Ruhe die Bilder an. Möglicherweise sind Ihnen die Personen im Haus begegnet. Wir tappen damit im Dunkeln. Die gezeigten Personen müssen für Marx eine Bedeutung haben, stehen vielleicht in einem Zusammenhang mit ihm.“

      Er drückt erneut eine Taste, ein Bildwiedergabe-Programm startet in langsamer Abfolge eine Serie von Fotos. Zunächst erscheint sechsmal das Gesicht einer Frau mit Kurzhaarschnitt, die gut fünfzig Jahre alt sein dürfte. Zu sehen ist die Frau vor unterschiedlichen Hintergründen, neben einer geöffneten Autotür, vor einem Hauseingang, auf dem Gehweg einer Straße. Die Bilder wurden ziemlich sicher ohne Wissen der Frau aufgenommen.

      „Kenne ich nicht. Das Gesicht, die Frau habe ich noch nie gesehen.

      Wissen Sie, wer das ist, Herr Ludwig?“

      „Ne, keine Ahnung. Ich hatte gehofft, Sie könnten ...“

      „Tut mir leid, muss ich passen.“

      Ludwig betätigt wieder den Computer. Zum Glück klingelt in dem Augenblick das Telefon und lenkt ihn ab. So kriegt er – hoffentlich – nichts mit von meiner Überraschung bei der zweiten Bildserie.

      Das Telefon verstummt nach dem vierten Klingeln.

      Die Fotos zeigen Janina.

      Ihre Machart unterscheidet sich von den vorigen Aufnahmen. Sie zeigen das Mädchen vor einer schmucklosen, hellgrauen Zimmerwand auf einer Art Liege sitzend. Mal lächelt sie kess, mal mit aufgerissenen Augen, mit rausgestreckter Zunge; kindliche Faxen für