Günter Billy Hollenbach

Berkamp - Ein langer schwarzer Schatten


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bereuen. Bei einer Überdosis Tabletten kommt die Reue allerdings zu spät, wenn man sich vorher selbst gefesselt hat.“

      Corinna schaut fragend zu Vera, dann zu mir.

      Vera nickt verhalten. Mir fällt nur „klingt gut“ ein.

      Im Geist bin ich zwar auch im Keller, folge aber einer völlig anderen Gedankenlinie. Diese außergewöhnliche Empfindung ... dieser stumme Schrei unvermittelt beim Öffnen der Tür. Hätte ich das Zimmer achtsamer betreten können? Ich brauche mehr Ruhe. Müsste allein sein, um all die Eindrücke erneut wachrufen zu können.

      Vera räuspert sich kurz.

      „Sehr einverstanden, Kollege Brückner. Ich denke, bei dieser Sachlage haben Frau Aschauer und Herr Berkamp ein Lob verdient. Dafür, dass sie uns zügig eingeschaltet haben ...“

      „War ja wohl das Mindeste,“ unterbricht der Oberkommissar.

      Vera spricht ungerührt weiter.

      „Herr Kollege; haben Sie noch nie etwas von fahrlässiger oder vorsätzlicher Verbrechensverschleierung gehört?! Ich möchte nicht wissen, in wie vielen Fällen die peinlich betroffenen Angehörigen dem Arzt ihres Vertrauens gut zureden. Worauf der den Totenschein mit einer natürlichen Todesursache schmückt. Das erspart manch unangenehme Frage und unerwünschte Folgen.“

      Brückner nickt anerkennend.

      „Sehr richtig, Schönste. Na, denn,“ erklärt er bedächtig. „Ungeachtet der erwähnten medizinischen Möglichkeiten gibt es eine Reihe von Fragezeichen; der Ort des Geschehens, der Zustand der Frau, das Fehlen jeder Art von Einbruchsspuren. Entweder der Täter besaß einen Türschlüssel, oder die Frau muss ihm Zutritt zum Haus ermöglicht haben, höchst wahrscheinlich freiwillig. Wenn sie an der Tür überwältigt worden wäre, hätten sich Druckstellen an ihrem Körper abzeichnen müssen. Wo sie fest gepackt worden wäre, im häufigsten Fall an den Armen. Doch die fehlen, soweit sich jetzt sagen lässt.“

      „Es gibt auch sonst keine Kampfspuren,“ wirft Vera ein, die sich mit Brückners gemächlicher Sprechweise schwer tut.

      Der macht eine abwehrende Handbewegung.

      „Bei einer vorgehaltenen Waffe fügt sich das Opfer in der Regel. Pistole, hässliches Kampfmesser; in der Hand eines großen, kräftigen Kerls mit furchterweckender Erscheinung. So verschaffte sich der Täter die Gelegenheit. Reine Mutmaßung, klar?!“

      Da niemand Brückner widerspricht, fährt er flüssiger als bisher fort. „Schön. Stellt sich die Frage nach dem Motiv. Hinweise darauf und das naheliegende Geschehen finden sich im Offensichtlichen. Es gab eine Form von Sex-Spiel, das unschön entgleist ist. Die Frau lässt sich fesseln, womöglich freiwillig, derbe Wortwechsel gehören dazu, am Anfang nicht einmal ernst gemeint. Wer weiß? Es fällt ein falsches Wort, dazu eine unpassende Berührung, oder, was nicht ungewöhnlich ist, sein ... sein männliches Gerät verweigert den Dienst. Sie lacht ihn aus, er dreht durch, knebelt die Frau, hält ihr die Nase zu, sie verschluckt sich, erstickt an ihrer Zunge.“

      Corinna schreibt eifrig Stichwörter mit, sagt ohne aufzuschauen:

      „Wenn Sie so weitermachen, Brückner, beantrage ich Ihre Versetzung in mein Kommissariat.“

      Der darauf: „Eher sterbe ich freiwillig an Herzinfarkt.“

      Immerhin bringt er ein Grinsen zustande, als Vera herzhaft loslacht.

      „Verstehe ich Sie richtig, Ihr Szenario liefe auf Todschlag im Affekt hinaus?,“ überlegt Corinna unverändert sachlich.

      „Oder auf Mord,“ hält Brückner dagegen.

      „Wieso Mord,“ wirft Vera ein, „heimtückischer Vorsatz fehlt, falls es so geschah, wie Sie annehmen.“

      Brückner bedenkt sie mit einem Blick milden Bedauerns.

      „Ich dachte, Sie sind die Fachfrau. Jedenfalls sollten Sie die Möglichkeit einer entsprechenden Vorprägung in Erwägung ziehen. Die meisten Morde an Prostituierten werden von Männern begangen. Ich hoffe, es bleibt bei dem einen.“

      „Halt, Brückner. Wie meinen Sie das?,“ hakt Corinna nach.

      „Mord an Prostituierten ist fast immer getrieben von einem tiefsitzenden Hass auf Frauen, in der Regel stellvertretend für die eigene Mutter, Tante oder große Schwester. Falls in unserem Fall jemand die innere Vorprägung von Frauenhass mitbringt – eine Kleinigkeit bringt ihn zum Ausrasten. Doch dabei entdeckt er, dass ihn das aufgeilt, und wie einfach es geht. Das Töten. Zusammen ergibt das beste Voraussetzungen für den Einstieg in eine Laufbahn als Serientäter, oder?“

      Corinnas Verhalten zeigt wachsende Aufmerksamkeit für Brückners Ausführungen.

      „Okay, einverstanden. Vorausgesetzt ...“

      Der schiebt weitere Erklärungen nach.

      „Natürlich gibt es auch Männer, die sich zu kurz gekommen fühlen. Arme Wichte, die seit ihrer Jugend vergeblich Mädchen nachgerannt sind. Voll Neid und Wut über entgegangen Sex-Erfahrungen. Die endlich haben wollen, was ihnen zusteht. Im Ernst, Leute. Die Vorstellung macht mich mindestens so nervös wie ... was auch immer. Deshalb sind für mich die nächsten Schritte: Computerabgleich, ob sich vergleichbare Fälle finden lassen. Und bezogen auf jetzt und hier: Terminkalender, Adressbuch, Kundenliste, Telefonkontakte und Internet-Auftritt der Dame auswerten. In dieser Preisklasse dürften das die gebräuchlichen Mittel der Geschäftsverfolgung sein. Der Punkt gefällt mir überhaupt nicht.“

      Er hebt Stimme und Blick in Richtung Sandra Aschauer.

      „Was gefällt Ihnen nicht?,“ fragt Vera nach.

      Brückner starrt weiter zum Türrahmen.

      „Das sehen Sie doch selbst. Nichts davon haben wir gefunden. Also, haben Sie diese Gegenstände an sich genommen, Frau Aschauer? Womöglich eilig beiseite geschafft? Kalender? Karteikasten? Handy? Einen Laptop-Computer? Das wäre so gut wie ein Geständnis. Es sei denn, Sie übergeben uns diese Sachen sofort.“

      Alle Blicke richten sich auf Frau Aschauer. Die lehnt weiter am Türrahmen, zieht die Augenbrauen zusammen und erklärt unerwartet schroff:

      „Selbst wenn ich sie hätte, Sie bekommen von mir nichts, nicht soviel.“

      Zur Verdeutlichung wischt sie mit dem ausgestreckten linken Zeigefinger über den dunkelroten Nagel ihres rechten kleinen Fingers.

      Corinna streckt ihren linken Arm bremsend in Brückners Richtung.

      „Frau Aschauer, daran führt kein Weg vorbei. Wenn wir Sie als Zeugin ansehen und nicht als Beschuldigte, sind Sie verpflichtet, uns ...“

      Doch die bleibt abweisend, stellt sich aufrecht und wird nachdrücklicher.

      „Es gibt nichts zum Beiseiteschaffen. Petra nimmt samstags keine Termine wahr. Computer-Spielzeug, Terminkalender oder Kundenlisten besitzt sie nicht. Auch keine eigene Seite im Internet. Wenn überhaupt bespreche ich das nur mit Ihnen, Frau Sandner. Ansonsten muss ich einen Anwalt bitten ...“

      Corinna wirft mir einen fragenden Blick zu. Auf mein knappes Nicken hin erklärt sie:

      „In Ordnung, Frau Aschauer. Wir greifen den Punkt später wieder auf. Ansonsten, wie Kollege Brückner bereits feststellte, wir brauchen zunächst Todesart und Todesursache, um über die nächsten ...“

      Der geht, auch dieses Mal bemerkenswert ruhig, dazwischen.

      „Einspruch. So geht das nicht, Frau Kollegin. Wollen Sie verantworten, dass entsprechende Beweismittel vernichtet werden?“

      „Ach, mein Lieber, seien Sie unbesorgt. Frau Aschauer wird sich hüten, uns zu belügen. Falls sie Beweismittel vernichtet, macht sie sich strafbar. Ich erwarte, dass sie ebenso sehr an der Aufklärung des Todes interessiert ist wie wir. Sie wird nichts tun, was sie noch verdächtiger macht, als sie schon ist.“

      „Na,