Günter Billy Hollenbach

Berkamp - Ein langer schwarzer Schatten


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      „Nein. Wir leben ...“

      „Verstehe, Madame Namenlos,“ fährt er ihr über den Mund; „Sie wollen sagen, Sie sind die Managerin, Verbindungsmacherin, in schlichtem Deutsch die Zuhälterin der Toten, oder wie nennt sich das in ihren edlen Kreisen?“

      Frau Aschauer steigen Tränen in die Augen. Und mir reicht es.

      Ich ziehe sie sanft zurück und trete ganz in den Raum.

      „Sie betragen sich ungehörig, Oberkommissar Brückner! Dafür sollten Sie sich bei der Dame entschuldigen.“

      Der Mann verhält sich wie erwartet. Er zieht die Augenbrauen hoch, mustert mich über den Rand seiner Brille von oben bis unten, nimmt sich Zeit für die Antwort.

      „Na so was?! Wen haben wir denn da? Dieser ungebetene Gast will mir erklären, was ich zu tun und zu lassen habe?! Das ist stark! Was haben Sie hier zu schaffen? Ihr Name? Ihren Ausweis, na los!“

      Dummes Geschätz am Anfang, das sich zu Entschlossenheit steigert.

      Kein höfliches Wort in Richtung Aschauer.

      Also gut. Der Kerl will unbedingt einen auf die Nuss haben!

      Geht in Ordnung.

      Für einen Sekundenbruchteil stehe ich in Tammys Schießtrainingsbühne in San Francisco. Mein Adrenalinausstoß schaltet mindestens zwei Stufen höher. Atmen, ruhig bleiben, Aufmerksamkeit erhöhen.

      „Ich bin Herr Namenlos. Und ermittele im Auftrag der toten Petra Wernecke, über die Sie mit einer Taktlosigkeit sprechen, die eines halbwegs erzogenen Menschen unwürdig ist, erst recht eines hessischen Polizeibeamten.“

      Brückner schlägt mit der flachen Hand auf die Tischplatte.

      „Donnerwetter! Der Kerl hat Nerven! Das verschlägt mir glatt die Sprache. Die Tote hat Ihnen also vor ihrem unschönen Ableben schnell noch einen schriftlichen Auftrag zur Ermittlung ihres Mörders erteilt. Alle Achtung. Ich nehme an, Sie bestreiten Ihren Lebensunterhalt als Schützer und Bewacher der beiden Damen.“

      Ich mag nicht mehr der Jüngste sein; niemand wird mich für einen Revolverhelden halten. Aber mit der unprofessionellen Flegelei erhebt der Oberkommissar endgültig Anspruch auf eine unschöne Überraschung.

      „Denken Sie, was Sie wollen,“ gebe ich ruhig zurück. „Es kommt sowieso nicht Gescheites dabei raus.“

      Grundregel meiner hawaiischen Kampfsport-Frau:

      Nichts ist persönlich. Nur deine Wachsamkeit zählt. Das kalte Erkennen, was der Gegner vorhat, noch ehe er es tut. Allein darauf kommt es an. Entsprechend hart und einigermaßen erfolgreich hat Mahina das mit mir trainiert. Bestens; eine willkommene Gelegenheit zum Auffrischen meiner Fingerfertigkeit.

      Vorab drehe ich mich ein wenig zur Seite, um Brückner statt des Oberkörpers die schmalere rechte Schulter zuzuwenden.

      Sein eher graues, ein wenig müde wirkendes Gesicht mit der Andeutung von Hängebacken hat etwas Farbe bekommen. Er reckt den fettgepolsterten Oberkörper auf, schließt die Finger der rechten Hand zwei oder dreimal kurz. Danke für den Hinweis.

      „Zum letzten Mal: Name, Ausweis! Hiermit betrachte ich Sie bis zum Beweis des Gegenteils als einen Hauptverdächtigen im vorliegenden Tötungsgeschehen.“

      Über seine Schulter hinweg durch die dünne, weiße Gardine sehe ich einen beigemetallicfarbigen Opel Vectra GTS mit eingeschaltetem, beweglichem Blaulicht über der Fahrerseite. Er zwängt sich langsam neben meinen BMW in den Einfahrtbereich vor dem Gartentor. Spätestens jetzt darf sich die Nachbarschaft zum Beginn der Versammlung eingeladen fühlen.

      „Mann, sind Sie schwerhörig! Ihren Ausweis, aber plötzlich, wenn ich bitten darf,“ blafft Brückner mich an.

      Draußen öffnet sich die Vectra-Tür. Mit der vertrauten, seitlichen Bewegung der linken Hand durch die mittelbraunen, gewöhnlich etwas struppigen Haare entsteigt dem Wagen – ihre Majestät, Corinna Sandner, „meine“ Hauptkommissarin.

      „Ich denke gar nicht daran,“ teile ich Brückner bündig mit. „Lassen Sie den Unsinn und benehmen Sie sich wie ein vernünftiger Mensch. Anderenfalls könnte es Ihnen leid tun.“

      Niemand kann dich beleidigen.

      Was auch immer jemand zu dir sagt, du allein machst daraus eine Beleidigung. Einer von Mahinas Kernsätzen zur Selbstverteidigung. Ich gestehe, ich tue mich noch etwas schwer damit.

      Seit meiner Jugend habe ich diesen Zug ins Ritterliche. Der hat mir ein paar Mal buchstäblich und im übertragenen Sinn eine blutige Nase eingebracht. Er gehört nun mal zu meiner inneren Grundausstattung. Lieber dagegenhalten als mich in stiller Empörung wegducken und ärgern. Großmäulige Schulhofrabauken, später im Arbeitsleben auch Vorgesetzte, die bevorzugt an Schwächeren ihre heimlichen Unterlegenheitsgefühle ausließen, weckten in mir zuverlässig eine beherzte, wenngleich nicht immer ausreichende Schlagfertigkeit. Erst in jüngster Zeit, während meines Aufenthaltes in San Francisco, hat die sich beträchtlich verbessert.

      Kurze Lagebeurteilung.

      Vera Conrad lässt sich durch innerbehördlichen Hickhack oder unfeine Bemerkungen kaum erschüttern. Sie versteht es, selbst ihre Stellung zu behaupten. Auch wenn sie in ihrem bunten Sommerkleid wie eine harmlos freundliche Vorstadt-Ehefrau in den schönsten Jahren aussieht. Jetzt jedenfalls bedarf sie keines Beistands.

      Anders zwei weitere Frauen. Der toten Petra bringt der Oberkommissar anscheinend keine Achtung entgegen. Das ist unschön, aber verzichtbar bei seinem missmutigen Gehabe. Sandra Aschauer dagegen derart ungezogen anzugehen, finde ich unerträglich. Angesichts der traurigen Umstände hier. Und obwohl sie sich beherrscht und höflich verhält.

      Brückner verdient eine gehörige Zurechtweisung. Schneller als er ahnt bietet sich die Gelegenheit. Zumal er mit seinem dummdreisten Verhalten in meine Erwartung hineinstolpert. Die Handbewegungen meines bevorstehenden Gegenschlags nehme ich im Kopf mehrmals vorweg.

      *

      Jetzt hat der Oberkommissar nur mich im Blick. Seine Stimme klingt gepresst, als er die Schultern anhebt.

      „Kollegin Conrad, Sie sind meine amtliche Zeugin! Diese Bodyguard-Karikatur widersetzt sich an einem Tatort der Festestellung seiner Personalien. Und Sie da fordere ich zum letzten Mal auf, ...“

      Noch während er spricht, greife ich mit der rechten Hand langsam nach der linken Reißverschlussreihe meiner halb geöffneten Jacke, schiebe sie soweit seitwärts, dass ich freien Zugriff habe. Zwangsläufig wird dabei meine Pistole für Brückner sichtbar. Wie zufällig nehme ich sogleich die Hand wieder runter, ziehe lediglich den Reißverschluss drei, vier Zentimeter höher. Und atme Energie in Kopf und Bauch.

      Den Spaß gönne ich mir.

      Beobachte Brückners Oberkörper gewollt ein wenig unscharf, aber wacher als zuvor. Biete ihm eine letzte Chance zu Einlenken.

      „Mann, bleiben Sie ruhig, Sie machen sich lächerlich.“

      Dennoch spüre ich meinen Puls im Hals.

      Brückner bringt seinen Satz nicht zu Ende.

      Sein Unterkiefer ruckt nach vorn.

      „Schusswaffe!,“ bellt er; „OK Conrad, der Mann ist bewaffnet ...“

      Rechts von mir sehe ich Vera wie in einem Halbschatten die Arme vor der Brust verschränken, langsam rückwärts an der Kommode entlang ein Stück näher zu mir rutschen.

      Sie klingt beinahe vergnügt, meint es wohl beschwichtigend.

      „Ich weiß. Bremsen Sie sich, Brückner. Ihr Übereifer bringt uns unnötig in Gefahr.“

      Wetten? Insgeheim ahnt sie, was kommt, und freut