Günter Billy Hollenbach

Berkamp - Ein langer schwarzer Schatten


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      Sie schluckt heftig, schlägt die flache Hand sanft gegen ihre Lippen.

      „Entschuldigen Sie, ja, nein. Allein durch unsere Beziehung trage ich eine Mitschuld. Wie wir gelebt haben. Herrje, es klingt alles falsch, was ich daherrede. Ich glaube, ich bin mehr durcheinander, als ich wahrhaben will.“

      „Was wollen Sie mir denn nun sagen, Frau Aschauer?“

      Sie hebt den Blick mehrmals blinzelnd zur Zimmerdecke, fährt sich mit der rechten Hand durch die goldblonden Haare. Und schaut mir, wie nach einer neugewonnenen Einsicht, geradeheraus ins Gesicht.

      „Ganz einfach: Sie können Petra nur verstehen, wenn Sie mich verstehen. Jetzt noch mehr als früher. Das will ich damit sagen.“

      Die Frau hat Humor. Petra besser verstehen ... durch sie?

      Klingt bedeutsam, beinhaltet wenig, und ist schwer zu widerlegen. Geht es nicht ein paar Takte undramatischer? Petra Werneckes Auffindzustand und die Umgebung sprechen eine deutliche Sprache; weitergehende Auskünfte über ihr Wesen und ihr Leben kann sie selbst nicht mehr geben.

      Achtung, Robert, bleib bei wohlwollendem Abstand. Frau Aschauer will wohl sagen, Petras Leben erklärt ihren Tod.

      Schön, wenn es so gemeint wäre; ist aber leider ein Trugschluss.

      Die hübsche Sandra hat gewiss längst begriffen, dass sie wie kein anderer Mensch entscheidet, wer was über ihre bisherige Lebenspartnerin erfährt; ehrlich nach bestem Wissen und Gewissen; oder gefiltert und zurechtgelegt mit allenfalls ein paar kleinen Gewissensbissen.

      Sie weiß, dass die Polizei sie befragen wird. Und hat sich, klug wie sie ist, bereits darauf eingestellt. So wie sie jetzt redet, dürfte sich Frau Aschauer dabei wenig auskunftsfreudig zeigen. Unbequeme Fragen wird sie als takt- und pietätlos zurückweisen, andere ausweichend beantworten, auf das Nötigste beschränkt.

      Aus berufsbedingter Abneigung gegen die Polizei? Weil die Aschauer möglicherweise doch eine wage Erklärung für Petras Tod hat, eine Vermutung über den Täter? Oder weil es Dinge gibt, die damit zwar nicht zu tun haben, dennoch besser im Verborgenen bleiben. Wer weiß, worauf die Polizei stoßen könnte, wenn sie gründlich ermittelt? Etwa in Sachen Einkommen und Steuern. Andererseits lädt die Aschauer mich kaum verhüllt zu einer näheren Befassung ein. Mit Petras Leben? Oder mit Sandras Gegenwart? Nur um mit einem Menschen zu sprechen, dem sie vertraut? Oder weil sie mich auf ihre Seite ziehen will? Gar jemanden benötigt, der im Stillen ein paar unschöne Dinge bereinigt?

      Auf dass die Polizei davon nichts erfährt?

      Jetzt und hier wird Frau Aschauer dies mir gegenüber nicht eingestehen, falls etwas dran wäre an dieser Befürchtung. Dennoch, bei aller Trauer und Vorsicht; etwas mehr Entgegenkommen und ein paar gehaltvollere Antworten halte ich für wünschenswert.

      „Dann erklären Sie mir einfach, was ich verstehen muss.“

      „Hätten Sie jetzt die Geduld dazu? Mit Petra noch im Keller und der Kripo im Nebenzimmer? Tut mir leid, ich nicht.“

      „Einverstanden, Frau Aschauer. Aber wie Sie reden ...“

      „Verstehen Sie das denn nicht?,“ unterbricht sie, ihrer Sache sicher. „Ich wüsste einfach nicht, wo ich anfangen soll. Weil – nichts an mir ist einfach zu erklären. Das gilt auch für Petra.“

      Bleib gelassen, Berkamp. Gegenwärtig ist die Frau genug erschüttert, von Bestürzung, Erinnerungen, Ratlosigkeit und Trauer.

      Ich schaue sie an, warte; finde es nach kurzer Zeit unschön, dass sie dasitzt und vor sich hinschweigt. Also fasse ich nach.

      „Wollen Sie mich abschrecken, auf Deutsch loswerden?“

      Mit einem linkischen Ruck fährt ihre Hand über den Tisch, ergreift unerwartet fest mein Handgelenk.

      „Nein, im Gegenteil, Herr Berkamp. Ich will nur sicher sein, dass ich auf Sie zählen kann. Glauben Sie mir, Sie werden mich und das Ganze hier verstehen, wenn wir uns besser kennen.“

      So ungeschickt ihre Handbewegung ist, sie hat etwas Überzeugendes. „Bis heute haben wir nichts miteinander zu tun gehabt, Frau Aschauer. Vertrauen setzt für mich ein Mindestmaß an Wissen über die andere Person voraus. Sie können mir gern von sich erzählen, bitte sehr bald. Aber lassen Sie uns jetzt nicht so tun, als wären wir eng miteinander.“

      *

      Ihre Hand hält weiter wie verkrampft mein Handgelenk fest. Der Blick der Frau verrät, dass sie unsicher ist, was sie von mir halten soll.

      „Das würde der Polizei befremdlich vorkommen. Oder wollen Sie sich verdächtig machen und mich gleich mit?“

      Darauf ruckt ihr Arm zurück, sie antwortet unerwartet schroff.

      „Was reden Sie da?! Ihnen gegenüber bin ich offen und ehrlich. Ich dachte, das wäre klar zwischen uns. Allerdings überlege ich mir sehr genau, was ich der Polizei sage. Und wann ich es ihr sage.“

      Sie atmet tief ein und lange hörbar aus.

      „Als Personaltrainer wissen Sie das bestimmt, Herr Berkamp: Gegen tiefsitzende Vorurteile anzurennen ist sinnlos. Die muss jeder selbst überwinden, wenn er weiterkommen will.“

      In dem Punkt muss ich ihr recht geben. Zureden bewirkt selten etwas.

      Seine Meinung ändern geht nur mit eigenem Willen.

      Dass die Polizei dazu bereit ist, scheint Frau Aschauer zu bezweifeln.

      Sie ahnt, was die beim Anblick des roten Kellerraums denkt.

      Mit dem K 11 in Frankfurt habe ich einen Beratervertrag. Die Beamten in Hofheim wird das kaum beeindrucken. Wenn Vera nicht die federführende Zuständigkeit für den Fall hat, bleiben mir nur wenige Möglichkeiten, sachdienliche Hinweise zu den Ermittlungen beizutragen. Na gut, warten wir mal den Rest des Tages ab. Bis dahin sollte sich abzeichnen, wie es mit dem Fall weitergeht. Solange ist ein einvernehmlicher Umgang mit Frau Aschauer allemal ratsam. Mein stilles Versprechen an die tote Petra gilt weiter. Auch wenn einstweilen offen bleibt, was ich tun kann, um es zu halten.

      „Also, kann ich auf Sie zählen, Herr Berkamp?“

      „Ja selbstverständlich.“

      Die Frau sieht gut aus, wirkt gebildet, ist attraktiv. Mit etwas innerem Abstand zum heutigen Geschehen miteinander zu reden, etwa bei einem Spaziergang, könnte sehr reizvoll sein.

      „Obwohl Sie so ... zweifelnd gucken wie jetzt?“

      Eine ärgerliche Frage mit vorhersehbarer Wirkung. Die Dame schaut ihn ruhig an ... und der Herr errötet unweigerlich. Mann, Robert, sie steht auf Frauen! Und wenn schon. Ich finde sie sympathisch. Und sie regt die Phantasie gehörig an. Wenn ich unterstelle, dass das Kellerzimmer einen Hinweis auf ihre berufliche Tätigkeit gibt. Sie jetzt in Ruhe anzusehen kann die Frau mir nicht verwehren. Dumm nur, dass ich dabei verlegen werde.

      Sie spürt es. Und kostet es aus.

      „Lassen Sie mich ehrlich sein, Herr Berkamp. Ich weiß, wer Corinna Sandner ist und wie Sie sich kennen gelernt haben. Deshalb habe ich Sie ja um Hilfe gebeten.“

      „Oh!“

      Dann fällt mir die Erklärung ein.

      „Na schön, das spricht für Ihren guten Draht zu meiner Tochter.“

      „Ja, Claudia hat mir davon erzählt. Wir telefonieren ab und zu miteinander. Sie hat auch Ihre jetzige Frau erwähnt, die Dame aus Hawaii.“

      „Soso.“

      Was bleibt mir anderes übrig als es von der heiteren Seite zu nehmen und in mich hineinzukichern; Freundinnentratsch. Ihre nächste Frage macht klar, was hinter Frau Aschauers Hinweis auf Corinna steckt.

      „Wenn