Günter Billy Hollenbach

Berkamp - Ein langer schwarzer Schatten


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Gott,“ durchbricht Brückner das abwartende Schweigen, „muss ich mir mit diesem perversen Schund den Samstagabend verderben?!“

      Sein Blick ruht weiter auf den Titelseiten.

      „Ach was, Herr Kollege, müssen Sie nicht,“ bietet Vera heiter an.

      „Wie meinen Durchlaucht? Haben Sie sich das hier angeschaut? Finden Sie womöglich daran Gefallen?“

      „Selbstverständlich, Kollege Brückner, deswegen bin ich ja hier. Das ist mein Fachgebiet,“ verkündet Vera lächelnd. „Sie sind zwar zuständig. Aber ich war zufällig in der Nähe. Wir im K 11 haben ein starkes Interesse an diesen Fällen. Also sollten wir uns zusammentun.“

      „Frau Kollegin. Was Sie dazutun können, weiß ich nicht. Ich jedenfalls kann Fällen dieser Sorte so gut gebrauchen wie Dünnschiss beim Faschingstanz.“

      Brückner schaut erstmals seit Minuten auf, schneidet eine abfällige Grimasse und betrachtet Vera mit runtergezogenen Mundwinkeln. Lange genug, um mir einige seiner Hintergedanken vorzustellen.

      Sie dagegen bleibt bei ihrer heiteren Note.

      „Bei Verstopfung oder Dünnschiss schlagen Sie Ihren Arzt oder Apotheker. Alles Weitere klärt sich von selbst, wenn wir unsere Kräfte vereinen, richtig?“

      Brückner verzieht abwehrend Mund und Schultern.

      „Warten wir es ab. Vielleicht sieht die Welt am Montag schon ganz anders aus. Einstweilen darf ich um die Fotos bitten, die Sie sicher im Keller angefertigt haben. Anschließend lassen Sie mich in Ruhe meine Arbeit machen.“

      Der fasst den Fall nur mit spitzen Fingern an oder reicht ihn umgehend an einen Kollegen weiter, überlege ich. Wenn er ihn behält, muss man den Mann wie ein rohes Ei behandeln. Mit Leuten wie mir wird er sich vermutlich nur ungern abgeben. Hoffentlich verhält sich die Aschauer ihm gegenüber verbindlich.

      Oh nein! Wenn jetzt auch noch Corinna erscheint. Und sich der Herr Oberkommissar nicht wider Erwarten von seiner zuvorkommendsten Seite zeigt – das kann heiter werden.

      Vorerst gebe ich mich damit zufrieden, still zuzuschauen. Ich werfe Vera einen fragenden Blick zu. Sollte sie Brückners Aufforderung folgen und ihre Fotos rausrücken, wäre ich einigermaßen überrascht.

      Vera ist mit einem hübschen Gesicht gesegnet, das im Normalzustand immer wie kurz vor einem unbeschwerten Lächeln aussieht. Um ihren herzigen Augenaufschlag und das knapp schulterlange, tiefdunkelbraune, leicht gewellte Haar dürfte manche Puppe sie beneiden; weiblich wie in einem Groschenroman. Zumal Vera, selten in dem Beruf, gern figurbetonte Kleider trägt, auch wildlederne Jeans-Anzüge, dem interessierten Betrachter gestatten, ein Eckchen von ihrem untadeligen Ausschnitt zu erhaschen.

      Doch Vorsicht vor dem ersten Anschein! Vera versteht es, ihre Absichten zielbewusst zu verfolgen und ihren Standpunkt gegebenenfalls knallhart zu vertreten. Man muss einige Zeit mit ihr zu tun gehabt haben, um zu erkennen, Brückners Ansinnen, ihr Bildmaterial auszuhändigen, hat sie längst angelehnt. Dennoch bleibt sie unverändert ruhig, ihre Stimme klingt immer noch heiter.

      „Das glauben auch nur Sie, Brückner. Lassen Sie Ihre Kriminaltechnik anrollen; das ist ohnehin nötig. Die machen Ihnen garantiert wunderschöne Bilder und Videos, bestimmt sehr anregend für Geist und Körper. Und vergessen Sie nicht, die Titelseiten mit diesen zauberhaften Damen zu fotografieren. Es könnte wertvolles Beweismaterial sein.“

      Brückner richtet sich auf, Ärger in den Augen, stülpt die zusammengepressten Lippen vor.

      „Was wollen Sie damit andeuten?! Wenn das Ihr Verständnis von Zusammenarbeit ist, sollten wir es sofort bleiben lassen, Ungnädigste!“

      Die zuckt knapp die Schultern, antwortet mit milder Belehrung.

      „Ah ja? Wie ist das, Herr Kollege?; sind Sie mit mir einer Meinung, dass alle vorgefundenen Umstände auf eine Form der gehobenen Prostitution hinweisen?“

      Frau Aschauer dicht hinter mir holt hörbar Luft, als wolle sie sich zu Wort melden. Ich werfe ihr einen verneinenden Blick zu und lege den Zeigefinger an meine Lippen.

      Brückner starrt Vera eine Weile an, befindet schließlich mit einer Spur Unsicherheit:

      „Bin ich ein Anfänger?! Klar haben wir es mit Prostitution zu tun, wenn auch der feinen, teuren Sorte. Das sieht ja wohl ein Blinder mit einem Nachttopf über der Birne.“

      „Na schön, damit ist die Sache entschieden. Ich bleibe am Ball,“ erklärt Vera zufrieden. „Frau Marquardt, unsere zuständige Staatsanwältin, sieht die Sache übrigens genauso.“

      Als Brückner überrascht aufschaut, um zu einer Entgegnung anzusetzen, fügt sie beiläufig hinzu:

      „Sie kennen sicher den diesbezüglichen, ministeriellen Runderlass. Seit fast zwei Jahren betreiben wir mit dem LKA die Schwerpunktgruppe ,Menschenhandel und Prostitution’. Deren vertretende Leiterin bin zufällig ich. Der Erlass weist alle Dienststellen im Land zu uneingeschränkter Zusammenarbeit mit der Schwerpunktgruppe an. Noch Fragen?“

      Jetzt wirkt Brückner mehr ratlos als unsicher. Er runzelt die Stirn, bekommt aber sofort einen harten Blick, wie jemand, der innerlich auf Vergeltung sinnt.

      Vera legt unbekümmert nach.

      „Im vorliegende Fall haben Sie mein Einverständnis zu einer rechtsmedizinischen Untersuchung der Toten. Angesichts der befremdlichen Todesumstände halten Sie die bestimmt ebenfalls für erforderlich, nicht wahr, Kollege Brückner. Ganz nebenbei fände ich es wünschenswert, wenn Sie sich nach dem, was Sie im Keller gesehen haben, einer etwas respektvolleren Wortwahl bedienen würden.“

      „Eben,“ giftet Brückner errötend zurück, „gerade deshalb fällt mir das mit dem Respekt etwas schwer. Oder bei diesem Dreckzeug hier. Aber wie Sie daherreden, fällt der perverse Mist selbstverständlich auch unter Ihre frauenpolitische Korrektheit.“

      Er wedelt mit der linken Hand über die Sex-Magazine.

      „Der Runderlass?“ Er kratzt sich am Hals. „Von wann soll der sein? Kann mich nicht erinnern, den gelesen zu haben.“

      „Haben Sie in Hofheim noch Kreidetafeln oder schon Computer?,“ zirpt Vera mit arglosem Augenaufschlag..

      Ich muss mich zusammennehmen, um nicht loszulachen.

      Brückner verzieht den Mund, als hätte er Zahnweh.

      „Ungeheuer lustig. Möchten Sie sich auf meinen Schoß setzen und mit mir den Tastenanschlag üben? Einstweilen mache ich meine Arbeit. Als Werbetreibende für ihre Schwerpunktsuppe dürfen Sie mir gern zuschauen, aber bitte in gebührendem Abstand. Vielleicht lernen Sie ja etwas über ordentliche Kriminalistik. Wer wohnt noch hier im Haus?“

      Erst leise, dann deutlicher höre ich im Hintergrund das Quäken eines Polizeihorns näherkommen.

      Vera überhört Brückners patzige Bemerkung und erklärt: „Niemand.“

      „Wie bitte, in dieser stattlichen Hütte?“

      Nach einem gespielt verständnislosen Stöhnen fügt er an:

      „Ich sage es ja seit grauer Vorzeit: Sich legen bringt Geldsegen. Wer erbt das Gemäuer? Wer sind die nächsten Angehörigen?“

      Frau Aschauer drängt sich an mir vorbei durch den Türrahmen.

      „Ich, ich bin die nächste Angehörige ..., “ sagt sie mit dünner Stimme. Für Brückner muss es kleinlaut oder verschüchtert klingen.

      „Sie?“

      Sein verächtlicher Blick sagt alles.

      „Und Petras Mutter, Else Trautwein; die lebt in Weißkirchen. Ich informiere sie.“

      „Es reicht, wenn Sie mir die Adresse der Mutter geben, für ’s Erste. Und Sie sind ...?,“ erkundigt Brückner sich in einem Tonfall, als empfinde