Günter Billy Hollenbach

Berkamp - Ein langer schwarzer Schatten


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Einfach gesagt, dann liegt Petra eben ein paar Stunden da. Das ist irgendwann nicht mehr lustig oder sexy, aber eine ganze Weile verkraftbar, verstehst Du?“

      In Veras Augen blitzt ein Funke auf.

      „Interessant, gefällt mir. Dringend pinkeln musste sie auch nicht. Davon hätte man jetzt etwas gesehen. Unerträglich kühl ist der Raum auch nicht. Wir zwei sind gut zusammen, Robert. Weißt Du das?!“

      Sie steht unerwartet auf, kramt aus ihrem Koffer eine Lupe hervor, durchtrennt das Papiersiegel und verschwindet in dem Zimmer. Als sie zurückkommt, wirft sie die Lupe in den Koffer, lässt das zerrissene Türsiegel unbeachtet. Sie hockt sich wieder zu mir, legt ihre linke Hand auf mein rechtes Knie.

      „Du hast mich auf einen Gedanken gebracht. Ich bin zwar keine Pathologin, aber ... in den Pupillen oder um die Augen, die typischen Einblutungen bei einer klassischen Erstickung finden sich nirgends; auch keine erkennbaren Druckstellen im Gesicht, wie von einem fest aufgepressten Kissen. Aber die Frau liegt nicht zufällig so verbogen da. Sie hat heftig an den Fesseln gezerrt. Frage, demnach: Wer oder was hat sie in Angst, womöglich in Panik versetzt? Warum wollte sie auf keinen Fall liegen bleiben und warten?“

      „Frag mich etwas Leichteres, Vera!“

      „Gift oder Gas. Jedenfalls fällt mir das als Erstes ein. Jemand hat sie vergiftet, sie hat sich ahnungslos fesseln lassen. Dann verkündet der Täter ihr höhnisch, was er ihr verabreicht hat und verzieht sich. Oder sie ist gefesselt und erfährt, dass jemand das Zimmer mit Gas füllt, unter der Tür durch. Kohlenmonoxyd wäre nicht undenkbar.“

      „Pah, irre! Also brauchen wir die Todesursache.“

      „Hiermit beschlossen, wir hängen uns rein in den Fall. Die Frau wandert in unsere Rechtsmedizin. Komm, Robert, lass uns tätig werden.“

      Frau Aschauers leicht überprüfbares Alibi, ihre Fahrt in das Autohaus, behalte ich für mich. Ich glaube der Frau, möchte aber Vera gegenüber nicht den Eindruck des Vordrängelns erwecken. Sollen sie und der Kollege aus Hofheim erst einmal Frau Aschauer befragen. Später wird sich mit Vera immer noch die Gelegenheit bieten, die Darstellungen zu vergleichen.

      Wenn sie übereinstimmen, um so besser.

      *

      Vera spricht, halb gehend, halb stehend, nahe der Windfangtür angeregt in ihr BlackBerry.

      Frau Aschauer liegt im Wohnzimmer auf einer breiten, dunkelgrünen Ledercouch, die quer vor dem großen, aus grob behauenem Grünstein gemauerten Kamin steht. Ich ziehe einen Ledersessel heran. Als ich sitze, ruckt die Aschauer empor und setzt sich in einer schwungvollen Drehbewegung mir gegenüber. Sie hat sich das Gesicht gewaschen und ein wenig geschminkt, sieht zwar erschöpft, aber beträchtlich hübscher aus als bei meiner Ankunft.

      „Oberkommissarin Conrad hat alles dokumentiert und die Fesseln gelöst. Sie verständigt die Kollegen in Hofheim und den Amtsarzt. Hofheim ist für hier zuständig. Aber sie will den Fall von Frankfurt aus weiterbetreuen und ...“

      „Vielen Dank. Geht das ohne Weiteres?“

      „Hoffen wir es. Die Amtsbezirke lassen sich ungern von anderen reinreden. Nicht bloß, weil es entsprechend geregelt ist. Das hat manchmal etwas mit Fachwissen zu tun, mit Arbeitsbelastung, aber auch mit der Medienaufmerksamkeit, die ein Fall erregt. Falls die Kollegen sich nachher deswegen kabbeln, hören Sie einfach nicht hin.“

      Sie nickt unsicher.

      „Bleiben Sie noch hier, Herr Berkamp? Bitte, ja?! Das wäre mir wirklich lieb. Wir können auch ein Honorar vereinbaren. Schließlich opfern Sie Ihren Nachmittag und ...“

      „Einverstanden. Als Honorar ein Pott Tee für Vera Conrad und mich.“

      „Na, klar. Kommen Sie mit in die Küche.“

      Vera steht vor der Eingangstür und telefoniert lautstark, was bei ihrem freundlichen Wesen etwas heißt.

      „Sagen Sie, Frau Aschauer,“ frage ich über das zunehmend laut bollernde Teewasser, „Sie wären in jedem Fall hierher zu Petra gekommen nach Ihrem Besuch bei dem Autohändler.“

      „Ganz sicher, wir wollten zusammen in die Stadt; was essen und ins anschließend Kino gehen.“

      „Und als sie kamen, war die Eingangstür verschlossen. Also, ohne Schlüssel kommt man nicht ins Haus.“

      „Ja. Wir haben eine Alarmanlage; Bewegungsmelder im Garten, die rote Alarmleuchte unter dem Dach. Und Druckfühler an der Eingangstür. Die Anlage war ausgeschaltet. Das ist normal, wenn wir da sind.“

      „Sie sprachen von einem Haus gegenüber. Wohnen Sie dort?“

      „Ja und nein. Zeige ich Ihnen später. Wir lieben die Abwechslung, wohnen in beiden Häusern; drüben sind meine Praxisräume.“

      Oh, oh? Etwas Ähnliches wie hier? Nur in schwarz statt rot?

      *

      „Oh, ja, Tee! Ich habe einen Riesendurst,“ platzt Vera dazwischen und wirft sich auf den nächsten freien Küchenstuhl. „Und wenn Sie etwas zu knabbern hätten, einen Keks oder einen Apfel ...“

      „Bitte sehr, bedienen Sie sich.“

      Vera greift nach einer der vollen Teetassen, geht zur Edelstahlspüle, schüttet einen Schwapp Tee weg und füllt kaltes Wasser nach. Ich tute es ebenfalls, trinke einen langen Schluck.

      Frau Aschauer bemüht sich um ein nachsichtiges Lächeln.

      „Stimmt, ich mache das auch ganz gern. Wenn ich Durst habe und ungeduldig bin mit dem vielen Pusten.“

      Vera nimmt einen Schluck, verdreht die Augen, verzieht die Lippen, schmeckt hörbar den Tee.

      „Könnte ich vielleicht ...“

      „Bitte, tun Sie sich keinen Zwang an. Hier, Honig, Zucker haben wir keinen. Obst steht dort auf dem Seitenbrett.“

      Vera rührt in ihrer Tasse herum, bleibt vor Frau Aschauer stehen.

      „Also, Hofheim weiß Bescheid. OK Brückner ist auf dem Weg hierher. Der Amtsarzt ist benachrichtigt, kommt von Schlossborn runter, dauert mindestens noch eine halbe Stunde.“

      „Vielen Dank, Frau ... Frau?“

      „Conrad, Vera Conrad. Mein aufrichtiges Beileid, Frau Aschauer. Petra ist, war eine sehr hübsche Frau. Es ist einfach schade. Viel mehr kann man da nicht sagen. ... Wenn man ehrlich ist.“

      Sie setzt sich wieder, reißt eine Banane auf und beißt ein Stück ab. Im Kauen beugt sie sich zu mir und flüstert mir ins Ohr:

      „Ich habe Corinna benachrichtigt. Sie kommt her. Sie kennt Brückner und hält ihn nicht für die erste Wahl bei Fällen wie diesem.“

      Auch das noch!

      Damit dürfte an- und aufregende Unterhaltung für den restlichen Nachmittag beziehungsweise Abend gesichert sein.

      Mit Anstand eine ungewisse Wartezeit verbringen, während im Keller eine tote Frau liegt. Das erfordert Selbstbeherrschung.

      In mir wächst der Drang, mich abzusondern. Um die Eindrücke von unten zu verarbeiten, in Ruhe eigenen Überlegungen nachzugehen.

      Doch ich bleibe verlegen sitzen; nach draußen zu gehen hätte ich unhöflich gefunden. Vera Conrad schließt häufiger die Augen, schiebt schnaufend die Lippen vor und zurück, wirkt nervöser als unten auf der Treppe. Mehr wohl in Erwartung des Kollegen als wegen des unerfreulichen Falls. Eine herzliche Begrüßung zwischen den beiden erwarte ich nicht.

      Nach kurzweiliger Unterhaltung steht uns nicht der Sinn. Dass Vera keine Neigung zeigt, Frau Aschauer ohne den zuständigen Kollegen zu vernehmen, finde ich naheliegend. Die scheint unser Unbehagen zu spüren und meldet sich ab