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Impressum
Texte und Fotos (soweit nicht anders angegeben)
(c) Julia Schoon
Cover: Nina Eggemann
Alle Rechte vorbehalten.
1. Auflage: September 2013 als broschiertes Taschenbuch im CONBOOK Verlag.
2. Auflage: April 2018 als eBook auf www.JaegerDesVerlorenenSchmatzes.de
Vorwort
Warum Essen manchmal psychologische Kriegsführung ist und die Autorin auf Reisen auch Stierhoden und Gammelhai probiert
Eine Theorie besagt, jedes Land habe mindestens eine Speise, die auf jeden, der nicht dort aufgewachsen ist, seltsam oder gar abstoßend wirkt. Für die Einheimischen hingegen ist sie identitätsstiftend und eine Leckerei, die Heimat bedeutet. Auf dem Teller (oder auch im Glas) entscheidet sich sozusagen, wer dazu gehört und wer nicht.
In früheren Zeiten war das vermutlich überlebensnotwendig, um Feinde sofort identifizieren zu können, eine Art psychologische Kriegsführung. Seit der Erfindung des Tourismus allerdings geht die Entwicklung langsam aber sicher in Richtung Unterhaltungsprogramm für Einheimische. Ich meine, wer muss nicht schmunzeln, wenn eine Busladung Japaner in Schräglage aus dem Hofbräuhaus kommt, obwohl jeder nur eine einzige Mass getrunken hat?
Aber natürlich wollen wir im Urlaub Land und Leute kennenlernen und das geht meiner Erfahrung nach am besten beim gemeinsamen Essen und Trinken. Ich habe in Kanada »Prärieaustern« bestellt und war überrascht, dass die Stierhoden, die sich hinter dem hübschen Namen verbergen, gar nicht glibberig und noch dazu sehr appetitlich zubereitet waren. In Kirgistan habe ich so viel Fleisch vorgesetzt bekommen, wie ich normalerweise in einem Jahr nicht esse, und mein Magen, meine Nase und Zunge mussten mit so fettigem, intensiv schmeckendem Hammel zurechtkommen, dass mir anschließend sogar der Geruch unseres Schaffells zuhause eine Zeit lang Übelkeit verursachte. Ob mein Freund, der Vegetarier, es da besser getroffen hat, ist allerdings fraglich: Jedes Mal, wenn er das von unseren Gastgebern angebotene Fleisch höflich ablehnte, musste er Unmengen Wodka trinken, um seine Männlichkeit unter Beweis zu stellen.
In Island habe ich »Gammelhai« probiert, dessen Ammoniakaroma durch meine Nasennebenhöhlen fegte und meinen Kreislauf auf 180 peitschte, und plötzlich verstanden, warum diese fermentierten Fleischhappen in einem so kalten Land sogar Leben retten können.
Viele der in diesem Buch beschriebenen Speisen habe ich selbst probiert und es werden noch einige dazukommen. Manches gibt es sogar in meiner Heimatstadt Berlin. Auf Reisen, wenn ich mit kleinem Rucksack und ohne vorher festgelegte Reiseroute für ein paar Wochen oder Monate unterwegs bin, lasse ich mir keinen Markt entgehen und liebe es, den Leuten in die Töpfe zu schauen. Dabei habe ich schon einiges entdeckt, was das Zeug zum Lieblingsessen hätte, wenn man es nur in Deutschland bekommen könnte. Mehr als einmal habe ich mich dazu überwunden, etwas zu probieren, das für mich unappetitlich oder gruselig aussah. Manchmal war ich überrascht, wie gut es schmeckte – die Hühnerfüße zum Beispiel. Anderes habe ich unter »Erfahrung« verbucht, den rohen Seeigel etwa. Ich würde allerdings nichts, das mir total widerstrebt, aus reiner Höflichkeit probieren - und da ich nicht in diplomatischer Mission unterwegs bin, muss ich das zum Glück auch nicht.
Bei jedem verlaufen die Grenzen natürlich anders, aber wenn man sich in einer anderen Kultur bewegt, kommt man immer wieder in Situationen, die fremd sind und manchmal schwer auszuhalten. Das gilt bestimmt auch für die eine oder andere in diesem Buch vorgestellte Speise.
Vielleicht schüttelt es Sie bei der Vorstellung, sich Buschmaden zwischen die Zähne zu schieben oder einen Schlangenblutcocktail zu kippen. Vielleicht ist es für Sie auch undenkbar, einen lebendigen Oktopus zu essen oder ein Meerschweinchen. Vielleicht ziehen Sie Ihre persönliche Grenze aber auch zwischen sich und einem Stück labbrigem Weißbrot, das mit Erdnussbutter und sehr zuckriger Marmelade bestrichen ist.
Dieses Buch will kein Ratgeber sein. Ich sage Ihnen nicht, was Sie essen dürfen oder sollen. Diese Entscheidung liegt bei jedem selbst.
Bewusst haben wir dieses Buch »99 Spezialitäten, die Sie (lieber nicht) probieren sollten« untertitelt. Was Sie probieren möchten und was nicht, kann ich ja auch gar nicht wissen, ich kenne Sie ja nicht. Der Titel ist genauso mit Augenzwinkern zu verstehen wie jedes einzelne Kapitel.
Ich würde mich freuen, wenn dieses Buch Sie nicht nur gut unterhält, sondern Ihnen auch den einen oder anderen Aha-Effekt schenkt und, so widersinnig das jetzt vielleicht klingen mag, hier und da beim Lesen Appetit macht. Es kommt auch nur ein einziges Mal der Vergleich »schmeckt wie Hühnchen« vor. Versprochen.
Julia Schoon
Berlin, im April 2018
1 Wenn das Essen die Zähne bleckt: Gegrillter Piranha
Name: Piranha, Piraña
Region: Südamerika im Amazonas-Gebiet
Verzehr: Gegrillt, gekocht, gebacken
[no image in epub file]
(c) Lwp Kommunikacio unter CC Lizenz
Spätestens seit dem James Bond-Film "Man lebt nur zweimal" haben Piranhas ihren Ruf weg: Tier gewordene Schredder sind sie, die einen Menschen mit ihren fiesen kleinen Rasiermesserzähnen innerhalb von Sekunden mit Haut und Haar fressen können. Unvergessen die Szene, in der Bösewicht Blofeld das Bond-Girl in einen Pool mit den blutrünstigen Biestern stürzen lässt und seelenruhig seine weiße Katze krault, während es vor seinen Augen im brodelnden Wasser verschwindet. Übrig bleibt: nichts. Furchteinflößender bekam das auch der 70er-Jahre-Schocker Piranha nicht hin oder die 2010er Version Piranha 3D. Nur blutiger.
Schon Naturforscher Alexander von Humboldt notierte bei seiner Venezuela-Reise 1799, der Piranha falle Menschen beim Schwimmen im Fluss an und beiße Stücke von ihnen ab. 1914 schrieb Ex-Präsident Theodore Roosevelt über die brasilianische Wildnis, die er im Jahr zuvor besucht hatte, dort gebe es die grausamsten Fische der Welt. Später stellte sich heraus: Die Einheimischen wollten dem hohen Besuch etwas bieten. Einige Tage zuvor trennten sie daher ein Stück Gewässer ab, in dem die Piranhas nichts zu fressen fanden. Als sie vor den Augen Roosevelts eine tote Kuh hineinwarfen, stürzten sich die ausgehungerten Tiere natürlich darauf. Die Szene dürfte der im James-Bond-Film in nichts nachgestanden haben.
Umso überraschter sind Touristen, wenn sie im Südamerika-Urlaub Menschen in Gewässern baden sehen, aus denen kurz vorher jemand Piranhas geangelt hat. Wer für die nächsten Jahre der Held jeder Party sein möchte, tut es ihnen nach – neben so einer Erfahrung sehen all die Bungeespringer, Wildwasser-Rafter oder Mit-Delphinen-Schnorchler blass aus. Der eine oder andere trägt von seinem Abenteuer sogar noch eine kleine Narbe davon, die er zum Beweis vorzeigen kann.
Denn Piranhas mit ihrem sagenhaften Unterbiss, bei dem es jedem Kieferorthopäden sofort in den Fingern juckt, können durchaus gefährlich werden – müssen sie aber nicht, wenn man ein paar Regeln beachtet. Übrigens kann es auch in Deutschland nicht schaden, sich mit den exotischen Schuppenträgern auszukennen: Überraschte Angler haben sie nämlich auch schon aus Alster und Erft gefischt, wo sie von Aquarienbesitzern ausgesetzt wurden. Offensichtlich können sich die Tiere auch an kühlere Wassertemperaturen anpassen. In erster Linie fressen sie tote und verletzte Tiere und übernehmen damit eine wichtige Funktion als Gesundheitspolizei der Gewässer.
Für Südamerika gilt: Am größten ist die Gefahr einer Piranha-Attacke in der Trockenzeit, wenn der Pegel der Flüsse immer weiter sinkt und sich in