Michael Sohmen

Winfried von Franken


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Gesprächspartner schauten ihn verdutzt an. Und nickten sich gegenseitig zu, was bedeutete, dass sie zwar nichts verstanden hatten, aber das Gespräch weiterführen wollten.

      Sein Gegenüber stellte ihm mit durchdringendem Blick die nächste Frage: »Wie kamen Sie mit ihrem Vorgesetzten zurecht?«

      Als Winfried an seinen Chef dachte, meldeten sich seine Gewaltphantasien: bei lebendigem Leib schlitzte er ihm die Brust mit einem Dolch auf und riss ihm das Herz heraus. Er antwortete: »Herzlich!« Nun drängte sich Satan in seine Phantasie, dem er das Herz und die Seele seines Chefs verkaufte. Er nickte mit dem Kopf, um die brutalen Bilder aus seinem Kopf zu vertreiben und sprach: »Ein Herz und eine Seele!«

      Der Personalbeauftragte musterte ihn eine Weile. Seine Miene hellte sich auf. »Das hört sich ja alles wunderbar an!« Gutgelaunt versank er in die Notizen, die er vor sich ausgebreitet hatte und begann, vor sich hinzusummen. Er hob seinen Kopf wieder und fuhr fort: »Ich beginne jetzt mit ein paar persönlichen Fragen. Was sind Ihre Schwächen?«

      Winfried repetierte, was er gelesen hatte in ›Bewerben wie die Profi's‹ von Wilma Röhren und Wolf Reiss. Bei der Frage nach Schwächen empfahlen die Autoren, auszuweichen und so zu antworten, dass man Stärken vorgaukelt. Die natürlich nicht vorhanden sind.

      »Meine größte Schwäche ist, dass ich sehr fleißig bin, früh bei der Arbeit erscheine und spät Feierabend mache. Häufig bin ich derart engagiert und zeige so intensiven und produktiven Arbeitseinsatz, dass es meinen Arbeitskollegen Schwierigkeiten bereiten könnte, mitzuhalten und sie neidisch auf mich und meinen Arbeitseifer werden könnten. Natürlich kommt der Fall selten vor, meistens sind alle dankbar für die Leistung und beeindruckt von mir.«

      Als sein Blick umherwanderte und auf dem Bücherregal hinter dem Rücken seines Gesprächspartners hängen blieb, fiel ihm etwas auf: Das Buch kommt mir doch bekannt vor. ›Anstellen wie die Profi's‹ von Wilma Röhren und Wolf Reiss. Perfekt! Die Autoren sind wohl Doppelagenten und arbeiten für beide Seiten. Einmal schreiben, zweimal verkaufen. Schlau!

      Der Gesprächspartner nickte und stellte die nächste Frage: »Haben Sie noch andere Schwächen?«

      »Häufig nehme ich zu viel Rücksicht auf weniger leistungsfähige und schwächere Kollegen«, antwortete Winfried aus dem Effeff, »und versuche sie voran zu führen, sie bei ihrer Arbeit zu unterstützen. Dadurch komme ich nicht immer so schnell wie gewohnt mit meinen eigenen Aufgaben voran, werde manchmal nicht so früh vorzeitig fertig, wie man es von mir gewohnt ist. Dennoch immer rechtzeitig und termingerecht. Dank meines überragenden Fleißes und Arbeitseinsatzes.«

      Fast sprang sein Gesprächspartner nach der perfekten Wiedergabe dieser auswendig gelernten Antwort freudig auf, wurde jedoch daran gehindert, als der Stuhl am seinem Hintern hängen blieb. Er hielt daher seinen Vortrag sitzend: »Leute wie Sie, zielorientiert arbeitende Teamplayer, suchen wir händeringend. Ich kann mir eine gute Zusammenarbeit mit Ihnen vorstellen. Soweit Danke für das nette Gespräch und die hervorragenden Antworten auf meine Fragen. Bleiben Sie erreichbar. Sie werden in den nächsten Tagen von uns hören.«

      Winfried nickte, bedankte sich mit einem freundlichen Lächeln und dachte: Danke dafür, dass diese entsetzliche Tragödie von Gespräch jetzt endlich zu Ende ist. Ich habe es überstanden. Diese Wortverdreherei war nervenaufreibend.

      Winfried schlenderte eine Weile durch die Fußgängerzone Stuttgarts mit dem Ziel, sich mit dieser neuen Stadt anzufreunden. Ab und zu blieb er stehen und warf einen Blick in die Schaufensterläden. Vielleicht wird das hier meine Heimat. Als es Abend wurde, besorgte er sich in einem Supermarkt einen Sechserpack Bier, schleppte ihn in sein Hotelzimmer und setzte sich vor den Fernseher. Mit der Fernsteuerung ließ sich nur ein einziger Sender auswählen: ›Verbotener Kanal‹, in dem gerade ein Film begann.

      Ein schwarz gekleideter Mann klingelte an einer Haustür. Als ihm eine Frau im Bademantel die Tür öffnete, sprach er: »Ich bin der Priester.«

      »Gut, dass Sie kommen«, hauchte die Frau leise, »mein verstorbener Partner liegt im Schlafzimmer. Geben Sie ihm den letzten Segen.«

      Die Beiden standen nun in einem Zimmer. Dort lag ein Mann reglos auf dem Bett, der Priester zog ein Kreuz auf dessen Stirn und murmelte: »Fahre auf in den Himmel, Amen!«

      »Dankeschön, Herr Priester«, flötete die Frau und fragte: »Wer tröstet mich jetzt?«, ließ ihren Bademantel zu Boden fallen und stand nun nackt vor ihm.

      Der Priester antwortete: »Ich«. Er zog seine schwarze Robe aus, sie gingen zum Bett und neben dem reglosen Mann kamen sie stöhnend zur Sache.

      Was für ein Schmutz! Winfried schaltete verärgert den Fernseher aus. Als ob das Leben so einfach wäre! Eigentlich wollte er seinen im Bewerbungsgespräch angestauten Stress bei einem niveauvollem Film abbauen und sich jetzt entspannen. Er starrte auf den schwarzen Bildschirm und stellte sich in seiner Phantasie den Film vor, der dort laufen würde. Und nickte ein.

      Als er am späten Nachmittag des folgenden Tages aufwachte und wie üblich ein starkes Brummen im Schädel verspürte, fiel ihm ein: Vormittags hätte ich zum Vorstellungstermin beim zweiten Unternehmen erscheinen müssen. Verschlafen. Mist. Egal. Bei dem ersten Saftladen sah es ja sehr gut aus. Winfried brauchte nun Medizin. Er griff nach dem letzten mit Hochprozentigem gefüllten Fläschchen in der Minibar und leerte es in einem Zug.

      Es wird Zeit, mich auf den Weg zur Arbeit zu machen, kam ihm in diesem Moment der Gedanke an seinen täglichen Besuch der Spielothek in den Sinn. Er stutzte, da ihm auffiel, dass irgendetwas anders war. Ihm wurde klar: Ich bin ja woanders. Erst muss ich wieder heim, zurück nach Frankfurt.

      Er packte seinen Rucksack, machte sich auf zum Bahnhof und war kurz darauf wieder in der Finanzhauptstadt Europas.

      Aus seinem Bewerbungsratgeber erfuhr Winfried, man solle regelmäßig an den Folgetagen die Gesprächspartner mit telefonischen Nachfragen traktieren, um sich vehement in Erinnerung zu rufen. Möglichst früh, um 8 Uhr morgens. Wenn man keinen erreicht, eine Stunde später. Frühaufsteher haben die besten Chancen.

      Er stellte nun für jeden Morgen seinen Wecker auf 7:45 – das reichte, um sich mit einem geistreichen Schluck auf das wichtige Telefonat einzustimmen. Nach dem Gespräch gönnte er sich ein Bier und legte sich wieder ins Bett, um weiterzuschlafen.

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