überlegte einen Moment und äußerte sich skeptisch: »Also. Wenn du noch keinen Namen hast und noch kein Rezept für das Getränk, was hast du denn bisher schon?«
»Das Rezept ist eigentlich erstmal egal. Die Zutaten von Energy-Drinks sind simpel: Wasser, Zucker, Zitronensäure und fertig. Und natürlich die entscheidende Zutat: Taurin. Das hört sich nach einem wilden Stier an, darauf stehen die Kids. Ich habe schon feste Verträge mit Produzenten abgeschlossen, die meinen Energy-Drink herstellen werden. Nun das Problem: Alle guten englischen Namen, die mir einfallen, sind schon reserviert. Meine Idee war nun, einen deutschen Begriff aus den dunklen Zeiten der Diktatur zu verwenden, den jeder im Ausland kennt. Und der Clou, den ich mir ausgedacht habe: Für eine ganze ›Stalinorgel‹ mit 20 Dosen - das ist viel cooler für die Kids, anstelle von ›Palette‹ - erhält man eine Führerbibel gratis.«
»Das ist absolut illegal! Der Druck des Buches ist doch verboten! Was du vorhast, ist strafbar!«
»Bald nicht mehr. Das Copyright liegt beim bayrischen Staat. Und der lässt es nicht drucken, seit das Recht zur Vervielfältigung mangels Erbberechtigten an ihn übergegangen ist.« Er fuhr grinsend fort: »Zumindest hat sich bisher niemand gemeldet, der so ein Erbe antreten wollte.« Er zog eine verschwörerische Miene: »Ende 2015 verfällt das Autorenrecht und dann darf jeder dieses Machwerk drucken. Die Beigabe zur Energy-Brause ist als zusätzlicher Marketinggag gedacht. Erst muss ich einen durchschlagenden Namen finden, damit die unzähligen Werbemillionen nicht wirkungslos verpuffen.«
»Wahrscheinlich führt so ein Angebot zu einem öffentlichen Skandal«, spekulierte Winfried, »der durch alle Medien geistert. Schlagartig kennt jeder diesen Namen.«
Gernot nickte bestätigend: »Und so kann ich die teure Werbung sparen.«
»Der Skandal klappt bestimmt, aber mit dem Erfolg …«, äußerte Winfried sich skeptisch und lachte: »Wie wäre es mit noch etwas älterem, vielleicht von den Gebrüdern Grimm: ›Rumpelstilzchen‹?«
Sein Gegenüber stierte ihn begeistert an und jubelte: »Winfried, du bist genial! So jemand könnten wir im Marketingmilieu brauchen. Wo alle erst über eine Idee gelacht haben und meinten, die ist ja komplett hirnrissig, da entstanden die wirklich bahnbrechenden Erfolge. Super! Jetzt fehlt nur noch das Rezept für den Drink.«
Winfried nahm einen Schluck aus seinem Bierglas und setzte es sofort wieder ab, als ihm eine Zutat in den Sinn kam. Ihm fiel auf, dass sein Bier heute anders schmeckte als sonst. Ein Gefühl von Übelkeit machte sich in seinem Magen breit.
Die Kellnerin erschien wieder und fragte: »Alles in Ordnung, die Herren? Haben sie noch einen Wunsch?« Als sie bemerkte, dass Winfried angewidert auf sein Bierglas starrte, stotterte sie: »Entschuldigung, ich habe die Gläser vertauscht …« und eilte von dannen.
Gernot wunderte sich: »Die ist komisch. Wir hatten doch beide das gleiche Bier bestellt.«
»Und mein Bier schmeckt seltsam«, merkte Winfried an. »Außerdem ist es viel zu warm.«
*
Winfried hatte sich von seinen Kumpels überreden lassen: da er nun dem Kreis der fast 50-jährigen angehören wird, müsse sein 41. Geburtstag doch angemessen gefeiert werden. Er traf sich mit Gernot, Ralf sowie Dieter und stellte ihnen seinen Ex-Kollegen Waldemar vor, mit dem er immer noch Kontakt pflegte und den er ebenso zum Feiern eingeladen hatte.
Der milde und sonnige Tag fand seinen Ausklang in einer Fußballkneipe. Den frühen Abend verbrachte die Gruppe bei meterweise Bier, dabei wurde hitzig diskutiert, Job war das zentrale Thema.
»Es läuft« Desinteressiert reagierte Winfried auf die Frage, wie sich seine Karriere entwickelt habe. Nickend wiederholte er: »Es läuft, ja, es läuft«, griff zu seinem Bierglas und trank es in einem Zug leer.
Später fuhr Waldemar alle mit seinem Auto - eher einem Wrack, das die Anderen erst mit skeptischem Blick betrachteten, aber dennoch einstiegen - in das Amüsierviertel und parkte es in einer Tiefgarage. Sie liefen zu einer Großdisko, diskutierten über den überhöhten Eintrittspreis: 16 Euro pro Person, entschieden sich - schließlich waren sie nun mal da - zu zahlen und waren bereit, sich in das Gefecht zu stürzen.
Als sie durch das Tor in die Halle eintreten wollten, wurden sie von einem Security-Mann aufgehalten. »Stopp! Ihr könnt nicht rein. Jetzt noch nicht«
»Wieso?«, fragte Ralf entgeistert und bekam zur Antwort: »Man-Strip-Show. Ihr müsst noch eine halbe Stunde warten.«
Aus der Halle war lautes Wummern zu hören, in regelmäßigen Zeitabständen wiederholte sich weibliches Gekreische.
»Hättet ihr uns nicht einfach vor dem Bezahlen informieren können?«, brummte Ralf, »wir wären sofort am Eingang abgebogen und hätten uns auf den Weg in eine andere Disko gemacht.«
Der Security-Mann zuckte mit den Schultern und grinste breit. »Ihr hättet vorher fragen können, ob es heute eine besondere Veranstaltung gibt.«
Nach einiger Zeit öffnete sich die Tür zur Halle. Drei kleinere Männer schlichen sich vorbei, alle besaßen einen sehr unförmigem Körperbau, der vermutlich das Resultat jahrelanger Einnahme von Steroiden war. Ihre Haut war so intensiv solariumgebräunt, dass sich der Vergleich mit Brathähnchen aufdrängte, die sich tagtäglich bei Karls Imbiss gegenüber des Bürogebäudes drehen.
Der Türsteher gab den Weg frei. »Die Show ist vorbei. Ihr könnt jetzt rein.«
»Los!«, rief Ralf, »stürzen wir uns ins Gefecht und auf die Frauen.«
Auf den ersten Blick schien es, als wäre heute eine Tanztee-Veranstaltung. Ausschließlich weibliches Publikum war in der Halle, fast nur Seniorinnen.
Während Waldemar schon benommen war, sich am Tresen festhielt und gelangweilt trank, diskutierten Winfrieds Begleiter den Großteil des Abends über ihre Jobs und lästerten über Kollegen und Vorgesetzte – kein Thema, über das Winfried heute reden oder bei dem er zuhören wollte. Daher trat er mit dem Bierglas auf die Tanzfläche, um Abstand zu gewinnen.
Eine der älteren Damen sprach ihn an: »Schöner junger Mann, magst du es heiß und feucht?«
»Mein Bier?« Er stutzte und sprach verunsichert: »Das mag ich lieber kalt.«
»Mann bist du schüchtern, Kleiner. Wie wäre es jetzt in einem Bett? Darin hätten wir es jetzt schön warm.«
»Ich will jetzt noch nicht ins Bett. Dafür ist es noch zu früh und ich bin heute mit meinen Kumpels unterwegs. Ich bin erwachsen und du bist nicht meine Mutter. Ich verstehe wirklich nicht, was du von mir willst.«
»Na, dann wünsche ich dir noch viel Spaß mit deinen Kumpels!« Sie zog einen Schmollmund und entfernte sich.
Die Damenwelt war für Winfried schon immer ein Rätsel. Ständig redeten sie Unsinn und waren bei den Antworten, die er gab, beleidigt.
Er kehrte zurück zu seinen Kumpels, Ralf fragte: »Winfried, was wollte denn die Oma von dir?«
»Sie meinte, für mich wäre es Zeit, ins Bett zu gehen.«
»Echt? Unglaublich! Heute sind nur Bekloppte unterwegs. Auf, holen wir uns noch ein Bier.«
Zwei Stunden nach Mitternacht verkündete der DJ einen Schlager-Special. Was er nun auflegte, war Faschingsmusik und das Publikum auf der Tanzfläche begeisterte sich bei Polonese und Hühnertanz. Gelangweilt stand Winfrieds Gruppe an der Bar und bestellte ein Bier nach dem anderen, zwischendurch spendierte regelmäßig jemand aus der Runde Tequila.
Der DJ machte eine Durchsage: »Sonst mache ich das nicht, dreimal hintereinander das gleiche Lied auflegen. Aber ihr habt es euch gewünscht. Action! Was liebt der Chinese? Polonese!« Schallend lachte er ins Mikrofon.
Durch die Disco zog sich ein Menschenschlange, laut grölten alle mit. »Fiesta, Fiesta Mexikana!«
»Mensch, lasst uns heimgehen!«, schlug Ralf frustriert vor. »Mir langt's. Ende Gelände, echt. Heute läuft hier für uns nichts mehr.« Die Zustimmung der Anderen folgte sofort.