eines geschmackvoll eingerichteten Privatappartements, die Wände waren tapeziert mit Zeichnungen, die Sternzeichen interpretierten oder Engel in weißen Roben darstellten. Die Wohnung war zugestellt mit Skulpturen aus exotischen Ländern wie Indien, Persien und China. Die Bewohnerin schien vernarrt in das Sammeln von fernöstlichen Kunstwerken zu sein.
Vier Gäste waren eingetroffen und saßen im Halbkreis vor der Seminarleiterin. Nun, da die Runde vollzählig war, trat sie vor die Teilnehmer und eröffnete die erste Sitzung.
»Willkommen bei meinem Rückführungsseminar. Zuerst zu meiner Person: ich bin ein Medium und stehe in regelmäßigem Kontakt zu einem Todesengel. Habt keine Angst: vor den Todesengeln muss sich niemand fürchten, denn es sind gutmütige Geister. Sie leben in beiden Welten, in unserer und in der Astralwelt. Sie begleiten uns, wenn wir diese Welt verlassen und helfen uns bei der Suche nach einem neuen irdischen Körper, in dem unsere Seele ein neues Zuhause finden kann. Sie geleiten uns bei jedem Tod genauso wie beim Schritt in unser neues Leben.«
Sie blickte nacheinander jedem Einzelnen tief in die Augen und fuhr fort: »Eine Astralreise bedarf guter Vorbereitung. Zuerst müssen wir lernen, loszulassen und uns zu entspannen. Wenn wir uns diese Technik angeeignet haben, Helga, Winfried, Dietrich und Irmtraud, können wir unseren Engel anrufen und ihn bitten, uns auf der spirituellen Reise zu begleiten. Wir treffen uns in meiner Wohnung insgesamt viermal. Heute Abend und die nächsten beiden Male werden wir Yoga und Entspannungstechniken trainieren, solange müsst ihr euch in Geduld üben. Beim vierten und letzten Treffen wird jeder die Möglichkeit einer Rückführung bekommen. Ob sie gelingt, liegt bei euch und in den Sternen.«
Die ersten drei Treffen verbrachte die Gruppe mit leichten Übungen für den Körper, während gregorianischer Gesang, der helle Klang von Kristallen und das ruhige Plätschern von Wasser sie entspannte.
Am vierten Tag verkündete die Leiterin freudig: die Vorbereitungen hätten alle erfolgreich gemeistert, nun wären sie bereit, sich der Rückführung zu widmen. Ihr Gesicht wurde ernst und sie mahnte: »Es kann sein, dass ihr schreckliche Erlebnisse bei eurer Reise haben werdet und ihr euren letzten Tod nochmal erlebt. Was ihr sehen werdet, kann ich nicht beeinflussen. Dies hängt alleine davon ab, was der Engel euch zeigen will. Manchmal lässt er uns sogar einen Blick in die Zukunft werfen.«
Die erste Teilnehmerin wurde nach vorne gebeten und sie platzierte sich im Schneidersitz vor der Kursleiterin, die nun begann, vor ihren Augen ein Pendel zu schwingen. Im Hintergrund erklangen leiser Mönchsgesang und die dumpfen Töne einer Marimba. Nachdem die Teilnehmerin eine Weile ruhig dagesessen hatte, sank ihr Kopf langsam auf ihre Brust, sie atmete entspannt, ihre Miene wirkte losgelöst und viele Minuten vergingen, während sie mit einem zufriedenen Lächeln reglos verharrte. Nach einer Weile atmete sie tief durch, blickte die Seminarleiterin glücklich an und berichtete: »Es war wunderschön. Ich war Prinzessin, die schöne Charlotte von Böhmen, lebte in der Burg meines Vaters in der goldenen Stadt und am königlichen Hof. Ich wünschte, ich wäre noch dort.«
Die Teilnehmer murmelten erfreut und applaudierten, behutsam und leise mit den Fingerspitzen, um die meditative Stimmung nicht zu stören.
»Es freut mich jedesmal, wenn die Teilnehmer bei Rückführungen solche schönen Erinnerungen haben wie Helga«, sprach die Kursleiterin fröhlich. »Dietrich, willst du es als Nächster versuchen?«
»Gerne!« Gut gelaunt setzte sich der Angesprochene wie seine Vorgängerin im Schneidersitz vor das Medium. Eine Weile saß er wortlos da, bis sich sein Haupt senkte und er ruhig schlummerte. Nach einiger Zeit hob er seinen Kopf und gab seine Erlebnisse wieder: »Ich war ein Edelmann, hatte in einem Turnier einen Ritter nach dem anderen besiegt, viele Lanzen gebrochen und am Ende den Sieg für meinen großartigen König davongetragen.«
Nun war Winfried an der Reihe. Er begab sich nach vorne, setzte sich, und die Leiterin stimmte einen Singsang an. »Mein Engel, nimm Winfried in die Vergangenheit mit und zeige ihm sein früheres Leben. Löse diese Seele von seinem Körper, führe ihn in den Astralraum und weise ihm den Weg in die vierte Dimension. Ich rufe dich an, Azrael.«
Azrael? So hieß doch der Kater des Hexenmeisters bei den Schlümpfen, dachte Winfried. Er fühlte sich jedoch positiv entspannt und sein Geist ging auf eine Wanderung.
Er fand sich in einer Höhle wieder, zusammen mit anderen Wesen, die schmutzig und am ganzen Körper behaart waren, starken Körpergeruch ausströmten und im Halbdunkel in einem Kreis saßen – um die Reste eines Körpers. Die Wesen nagten an Knochen. Winfried führte seine Hand zu dem Schmaus in der Mitte, griff nach einem der Gliedmaße und riss es mit einem kräftigen Ruck heraus, führte es zum Mund und nagte daran. Er betrachtete das, was ihre gemeinsame Mahlzeit darstellte und erkannte: es war ein Mensch. Oder das, was von ihm übrig war. Dessen Kopf war noch nicht abgenagt und vollständig. Winfried meinte, dieses Gesicht von irgendwoher zu kennen. Es hatte Ähnlichkeit mit Dr. Weingarten! Während sie wortlos und kauend verbrachten, stellte eines der Wesen ihm offensichtlich eine Frage: »Ugh?« - woraufhin er im Kauen innehielt und antwortete: »Ugh!« Die anderen Wesen begannen nun ebenso, sich aufgeregt zu unterhalten: »Ugh, Ugh!« Es schien, als stimmten sie über etwas ab. Jemand von kleinerer Statur fragte verhalten: »Ugh?« Das größte der Wesen und das behaarteste sprang auf, trommelte auf seine Brust und brüllte laut: »Ugh!« Ein lautes Geräusch folgte, jemand entledigte sich lautstark einiger Körpergase.
Langsam verschwand die Umgebung der Höhle und Winfried befand sich wieder im Seminarraum. Die Leiterin vor ihm wurde erneut sichtbar. Als sie bemerkt hatte, dass er geistig wieder zurückgekehrt war, flüsterte sie: »Danke, Azrael, dass du diese Seele auf eine Astralreise geführt hast.«
Winfried stand auf, alle Blicke waren auf ihn gerichtet. Ihm fiel ein Geruch auf. Es stank gewaltig, widerwärtig, nach Fäkalien. Alle grinsten.
»Du warst wohl gerade … sehr entspannt!«, kommentierte Dietrich lachend. »Egal. So was passiert halt.« Und fragte neugierig: »Wie war's bei dir? Hat es funktioniert? Hast du herausgefunden, was du in deinem früheren Leben warst?«
Helga drängte: »Komm, erzähl schon! Warst du ein Ritter, ein Edelmann? Oder ein einfacher Bauer?«
Winfried stand stumm inmitten der Gruppe. Bis ihn ein Gefühl des Entsetzens vollkommen zerriss. In Panik flüchtete er aus dem Seminarraum.
*
Als er am nächsten Tag seinen Briefkasten geleert und Werbung aussortiert hatte, fiel ihm ein schwarz umrandeter Briefumschlag auf. Wir trauern um Dr. Manfred Weingarten, begann das Schreiben. Eine Einladung zu dessen Beerdigung. Schnell überflog Winfried einige Zeilen mit frommen Worten. Im Anschluss an die Trauerfeier, lautete die letzte Zeile, sind alle Gäste in das Restaurant ›Zum Wilden Mann‹ hinter dem Friedhof eingeladen zum gemeinsamen Leichenschmaus. Sein Blick blieb auf dem letzten Wort hängen. Schweiß trat ihm auf die Stirn. Mit Entsetzen erinnerte er sich an seine Vision.
Gernot hatte ihn angerufen, er wollte ihn unbedingt treffen und von seiner neuen Geschäftsidee erzählen.
Sie saßen in seinem Lieblingscafé und Gernot begann, von seinem neuen Projekt zu erzählen. »Winfried, geschäftlich werde ich richtig durchstarten. Ich habe meinen Job gekündigt und mache mich jetzt selbstständig.«
Als die Bedienung erschien und fragte: »Was bekommen die Herren?«, zischte Winfried Gernot zu: »Keine dummen Sprüche diesmal!« und wandte sich der Kellnerin zu: »Zwei Bier bitte!« Sie notierte kurz die Bestellung und blickte auf: »Oh … ihr seid es wieder!« und eilte davon.
»Das hört sich ja grandios an«, reagierte Winfried auf den Bericht seines Freundes. »Ich denke ja auch, dass es viel spannender ist, selbst etwas auf die Beine zu stellen, statt im Büro zu sitzen und jeden Tag sein Sitzfleisch zu quälen, bis Feierabend ist.«
»Ein bisschen abwechslungsreicher war mein Job schon. Damit werde ich auf die Dauer aber nicht reich. Jetzt werde ich richtig Vollgas geben, mit meinem Energy-Drink! Monatelang habe ich recherchiert und Marktchancen analysiert. Es fehlt im Prinzip nichts, bis auf …« Er hielt inne. Und freute sich im nächsten Moment: »Ah, da kommt unser Bier!« Die Kellnerin stellte zwei Gläser auf den Tisch und verschwand wieder.
»Was