Werner Karl

Druide der Spiegelkrieger


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er noch nie in seinem Leben gehört. Götter, Dämonen und andere mystische Wesen, da gab es schon den einen oder anderen. Aber ein Mensch?

      Und als er dann, nach vielen Jahren des Kampfes, schließlich dem Römer Centurio Trebius Servantus gegenüberstand und dessen Gesicht erblickte, ging er in die Knie. Vor seinen damaligen Begleitern – und dem Centurio – erklärte er, dass er freiwillig sein Knie gebeugt hätte, als Zeichen seines Respekts vor den Muskelbergen des Römers.

      Oft hatte Eirik überlegt, den Römer einfach bei passender Gelegenheit zu töten. Doch die alte Vettel hatte gesagt, dass er durch dessen Worte den Tod fand. Und das ging über Eiriks Verstand. Wie kann ein Wort töten? Also verlegte er sich darauf, genau hinzuhören, wenn Trebius Servantus etwas zu ihm sagte.

      Die unmittelbare Folge davon war, dass er aus dem wilden Haufen der Skoten aus Sicht der Römer herausragte und rasch zu deren Anführer wurde. Doch immer hing eine Spannung zwischen dem Centurio und dem Skoten in der Luft, wenn sie zusammentrafen. Und beide fühlten diese Spannung. Beide lauerten auf verräterische Worte oder Bewegungen. Und ebenfalls hatten beide immer wie zufällig eine Hand in der Nähe eines Schwertgriffes.

      Der Skote schüttelte die Erinnerung ab und konzentrierte sich auf die Gegenwart.

      Auf ein stummes Zeichen Eiriks mit der Faust hielten sie an und schnauften verhalten. Alles an ihnen drückte Gewalt aus und das war auch so beabsichtigt. Narben und alte Verwundungen wurden nicht durch Kleidung oder Gürtel verdeckt, sondern sollten jeden Gegner von der ständigen Kampfbereitschaft der Männer überzeugen. Die Waffen, die sie trugen, waren an den Schneiden blitzblank und bestialisch scharf geschliffen. Die Griffe und Stiele jedoch zeigten überdeutliche Gebrauchsspuren und makabre Markierungen, welche die Anzahl der damit Getöteten dokumentierten. Und keine einzige Kerbe war geprahlt. Die Hälfte der Truppe hatte es sich zur Angewohnheit gemacht, diese Vertiefungen mit dem Blut der Opfer zu verzieren, andere trugen abgeschnittene Ohren an einer Schnur um den Hals. Einer hatte sich auf Zungen in gleicher Weise verlegt. Und Eiriks Körperschmuck bestand aus einem dichten Gürtel aus abgeschnittenen Penissen. Er machte sich sogar die Mühe, sie in Salz auszutrocknen, bevor er sie seinem Gürtel zufügte.

      Zwischen Lederstücken, ein wenig Fell hier und da, zierten kohleschwarze Streifen und Ornamente ihre Haut. Sie wollten sich auch durch die Farbe ihrer Bemalung von den blauen Picten unterscheiden. Alle neun hatten sich ein drei Finger breites Band aus schwarzer Farbe auf Augenhöhe ins Gesicht gemalt. Das Weiß der Augen kontrastierte effektvoll mit dem finsteren Band und den eingebetteten Pupillen.

      Mit gelassener Ruhe blieb Eirik nahe den letzten Bäumen des Waldstückes stehen, durch das sie gerade gekommen waren. Dahinter lag ein weites, längliches Tal und wiederum dahinter erhoben sich die nächsten bewaldeten Bergketten. Tausend tanzende Geister hoben sich als Nebelschwaden faserig aus den Bäumen. Wie ausgemergelte, mehrfach gebrochene Finger, die sich langsam dem Himmel entgegenreckten und ihn nie erreichen würden, da die aufgehende Sonne sie vorher auflösen würde.

      Cullum, Eiriks bester Krieger, trat zu ihm und hob eine Hand zum gegenüberliegenden Wald. Sein ausgestreckter Finger schien einen der Nebelfinger aufzuspießen. Diese graue Säule stieg zu kompakt und gerade nach oben. Ihr fehlte die Zufälligkeit und die Männer erkannten dies augenblicklich.

      »Das ist kein Nebel«, sagte Cullum überflüssigerweise.

      Eirik nickte nur und spreizte die Finger einer Hand auseinander. Ohne ein Wort verteilten sich alle in einer weit gezogenen Linie, blieben aber an der Grenze zum freien Tal stehen.

      Für einige Minuten standen sie still und beobachteten die Nebelfinger. Tatsächlich verhielt sich einer der grauen Schleier ungewöhnlich; er strebte kerzengerade nach oben. Anstatt sich aufzufasern und zu verschwinden, stieg er stetig auf. Auch seine Farbe war ein wenig schmutziger als die grauweißen Fahnen des Morgennebels.

      Eirik hob beide Arme und spreizte jeweils drei Finger ab. Sofort folgten sechs seiner Männer dem Befehl und huschten in losen Dreiergruppen in das Tal hinein. Nur wenige Büsche und vereinzelte Felsbrocken dienten ihnen als Deckung. Aber diese nutzten sie konsequent und näherten sich rasch der Mitte des Tales, das von einem breiteren Bach, fast schon einem Flüsschen, durchzogen wurde, dessen eiskaltes Wasser munter plätschernd das Gefälle hinuntersprang.

      In diesem Augenblick riss die Fahne des Lagerfeuers abrupt ab, denn nichts anderes konnte der ungewöhnliche Rauch gewesen sein.

      »Man hat uns gesehen«, murmelte Cullum seinem Anführer zu und beobachtete, wie seine sechs Kameraden dies ebenfalls registriert und sich sofort in die kleinste Deckung geworfen hatten, die sie finden konnten.

      »Vielleicht … vielleicht auch nicht«, antwortete Eirik und wie zu seiner Bestätigung trat eine Frau am gegenüberliegenden Waldrand zwischen den Bäumen hervor und schritt den Hang zum Bach hinab. Sie trug einen braunen langen Einteiler, der um ihre Hüften mit einem Seil zusammengebunden war. Ihr Haar hatte die gleiche Bräune wie der grobe Stoff. Der tönerne Krug, den sie trug, war nur um eine Schattierung dunkler. Ihre Schritte waren kräftig und zielstrebig. Zwar blickte sie sich um, aber jede ihrer Bewegungen drückte Sorglosigkeit aus. Ihr Weg war ein schmaler Pfad und erst jetzt fiel Eirik die dünne Spur niedergetretenen Grases auf, die vom jenseitigen Waldrand geradewegs zum Bach hinunter verlief.

      Nur noch wenige Schritte trennten die Frau von dem hinter einem Grasbüschel liegenden Skoten. Sie bemerkte ihn erst, als dieser sich bewegte und mit drei, vier schnellen Schritten bei ihr war und sie brutal am Haar packte. Sie schrie vor Schmerz und Schrecken auf, der Krug fiel zu Boden und zerbrach in mehrere Stücke. Das Lachen des Skoten, der sie am Haar zerrte, hallte durch das Tal.

      »Dieser Idiot«, sagte Eirik nur und rannte mit Cullum und dem dritten Skoten im Wald ebenfalls ins Freie und auf den Bach zu. Sie hatten das wild raufende Paar noch längst nicht erreicht, als aus Richtung der Rauchsäule ein Mann mit zwei älteren Jungen, fast schon Männern, aus dem Wald herausstürzte. Alle drei hielten einfache Jagdspeere in den Händen und brüllten aus vollen Kehlen.

      Die drei hatten bisher nur den Skoten bemerkt, der die Frau – allem Anschein nach das Eheweib und Mutter der Speerträger – drangsalierte und nun versuchte, ihr den Stoff vom Leib zu reißen. Er war scheinbar so damit beschäftigt, dass er das Gebrüll in seinem Rücken entweder überhörte oder einfach ignorierte. Vielleicht verließ er sich auch auf seine Gefährten. Erst als ihn die drei Jäger fast erreicht hatten, stieß er die Frau in einem Bogen von sich und zog blitzschnell sein Schwert. Beide Bewegungen gingen fließend ineinander über und mit einem hässlichen Grinsen wandte er sich den Gegnern zu.

      »Graigh ist doch kein Idiot. Er weiß, dass die Frau zuerst mir gehört«, grinste Eirik und verfiel in eine langsamere Gangart. Cullum und der andere Skote taten es ihm gleich. Ruhig schritten sie den Hang hinab, langsam ihre Schwerter und Messer ziehend. Nachdem das Angstgeschrei der Frau in ein Weinen gewechselt war und die Jäger ihr Gebrüll einstellten, da sie sich nun vier statt einem Gegner gegenübersahen, klang das Ziehen der Klingen in der morgendlichen Stille unnatürlich laut.

      Cullum zog eine zweite Klinge und ließ beide Schneiden provozierend langsam aneinander entlang schleifen. Man sah es den Jägern förmlich an, wie ihnen eisige Schauder den Rücken hinunterliefen und sie sich gegenseitig in die Augen sahen. Es war ihnen klar, dass sie gegen vier professionelle Kämpfer keine Chance haben würden. Der ältere Mann rief seiner am Boden liegenden Frau irgendein Wort zu und sie griff sich eine der Tonscherben am Boden. Gleichzeitig bildeten er und seine Söhne einen engen Kreis um Graigh, der sich mit halb gebeugten Knien in Kampfstellung auf der Stelle drehte.

      Eirik und seine beiden Begleiter blieben stehen und auch die immer noch in Deckung liegenden restlichen Skoten rührten sich nicht.

      »Das wird interessant«, grinste Cullum und senkte beide Arme mit den Klingen.

      »Du magst Graigh nicht«, sagte Eirik, ließ aber die Jäger und seinen Kämpfer nicht aus den Augen.

      »Du hast Recht, er ist ein Arschloch. Nie weiß er, wann er seinen Verstand benutzen sollte anstelle seines Schwanzes.«

      »Du glaubst, Graigh hat Verstand?« Eirik lachte hart, doch plötzlich rief der Jäger