Werner Karl

Druide der Spiegelkrieger


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und die dahinter verborgene Kraft zeugten von einem starken Charakter. Der Druide beendete den inneren Kampf, den er seit Stunden focht, und rückte einen halben Schritt auf die Frau zu. Dass sie nicht zurückwich, sondern ihm offen entgegenblickte, erfreute und ermutigte ihn.

      »Ich kann dein Leid in … großem Maße lindern, Weib. Doch es ist nicht leicht zu verstehen. Wenn du mir vertraust, kann dein Leben … beinahe … so weitergehen, als wäre dieser Tag nie geschehen.«

      »Wie nur? Meine Familie ist tot, ich geschändet. Vielleicht werde ich ein Kind von diesem Pack bekommen. Wie sollte da mein Leben glücklich weitergehen?« Jetzt wuchs in ihren Augen die Wut.

      »Gegen die Schandtat kann ich nichts mehr tun. Die meisten der Mörder und Vergewaltiger haben ihre gerechte Strafe erhalten. Doch dein Mann, deine Söhne …«

      »… liegen dort im Tal. Willst du mir helfen, sie zu Grabe zu tragen? Soll das deine Linderung sein?« Ihre Stimme war eine Mischung aus Frustration, Zynismus und Angst.

      »Nein, ich werde sie nicht begraben.« Er legte ihr seine riesige Linke auf die Schulter und mit der Rechten hob er ihr niedergesunkenes Kinn nach oben, sodass sich ihre beiden Augenpaare auf gleicher Höhe befanden.

      »Ich kann ihnen das Leben wiedergeben, Weib.«

      Unglauben, gepaart mit neuer Wut, schlug ihm entgegen.

      »Du lügst! Wie soll das gehen? Du treibst ein Spiel mit mir …« Wütend schlug sie seine Hand von ihrer Schulter und stand bebend auf.

      »Beruhige dich, Weib.«

      »Nenn mich nicht immer Weib, mein Name ist Eiylenn!«

      »Gut, Eiylenn. Ich schwöre dir bei den Göttern des Waldes und aller Berge in Breith: Ich kann ihnen das Leben wiedergeben!«

      Kapitel VIII

      Die Lebenden und die Toten

      A. D. 180, Juni

      Argyll Fidach griff nach seinem Schwert, als es hinter ihm im Wald knackte. Das Geräusch war noch fern, aber Argyll wurde nicht umsonst die Eule genannt. Sein ausgezeichnetes Gehör hatte ihm schon als Kind den Respekt seines Clans und später die Aufgabe als vorgeschobener Krieger und Horchposten eingebracht.

      Lautlos ließ seine Linke den Hasen zu Boden gleiten, den er kurz zuvor mit seinem Bogen erlegt hatte und gerade im Begriff gewesen war, ihm das Fell über die Ohren zu ziehen. Jetzt sank das tote Tier in das dichte Moos und Argyll lockerte sein Schwert, ließ es aber in der Scheide stecken.

      Während seine Augen den Wald absuchten, fingerte die nun freie Linke nach dem Bogen, den er zu Boden gelegt hatte.

      Es sind sicher keine Römer, überlegte er und versuchte, in den Schwaden des Morgennebels etwas auszumachen. Aber außer schummrigen Baumstümpfen und Büschen war nichts zu entdecken. Er verzog verächtlich die Mundwinkel, als er daran dachte, dass anrückende Römer immer schon von weitem ihr Kommen durch das Geklapper ihrer Waffen und Ausrüstungsgegenstände verrieten.

       Wenn es aber keine Römer sind, könnten es Skoten, Südländer oder andere Fremde sein. Ein Cruithin würde nicht so unbedacht durch den Wald stapfen.

      Einen Moment lang schoss ihm die Möglichkeit durch den Kopf, dass auch ein Südländer, also ein Britannier, die Fähigkeit besitzen könnte, sich lautlos durch den Wald zu bewegen. Oder überhaupt Fremde vom Kontinent. Was wusste er schon? Er war auf seinen Streifzügen nie weiter als fünfzig Meilen von Zuhause weggekommen.

      Er schob sich gerade in die Deckung einer mächtigen Esche, als im Weißgrau des Nebels sich bewegende Schatten abzeichneten.

       Mehr als einer!

      Fast automatisch fuhr seine Rechte in den Nacken und zog einen Pfeil aus dem Köcher, der prall gefüllt auf seinem Rücken befestigt war. Wie von selbst ordneten sich Bogen und Pfeil zu einer todbringenden Einheit und warteten auf ein Ziel.

      Argyll Fidachs Augen standen seinen Ohren an Leistungsvermögen in nichts nach und nur eine echte Eule hätte vor ihm entdeckt, was sich da aus dem Nebel schälte. Doch das, was nun auf ihn zukam – erst zwei, dann fünf, plötzlich Dutzende Menschen –, das hätte er niemals erwartet.

      Es waren Picten, zweifellos, doch die seltsamsten, die er je in seinem Leben gesehen hatte. Nackte Picten kannte er gut, vor allem die weiblichen Ausgaben waren seine bevorzugte Beschäftigung, und Argyll verstand meisterhaft, es zu vermeiden, eine davon zu ehelichen. Es gab ihrer einfach viel zu viele und warum sollte er seine Aufmerksamkeit nur an eine verschwenden?

      Doch diese vier Pictinnen, die in seine Richtung marschierten, waren in mehrfacher Hinsicht eine Sensation: Nur eine von ihnen war spärlich bekleidet, die drei anderen völlig nackt. Und ihre Körper waren das Perfekteste, was er je gesehen hatte. Sie waren alle rothaarig, mit prächtigen Locken, die bis zu den sehr, sehr schmalen Taillen baumelten und zu seinem Leidwesen fast alle Brüste verdeckten, welche die Haarpracht deutlich nach vorne wölbten.

      Sie waren dreckig und trotz der morgendlichen Kühle stand ihnen Schweiß auf den Gesichtern, die irgendwie abwesend wirkten. Nur die leicht Bekleidete schien wacher zu sein. Als wolle sie seinen Eindruck bestätigen, blieb sie stehen. Sie hatte ihn gesehen. Ihre drei Begleiterinnen folgten ihrem Beispiel umgehend und sahen ebenfalls in seine Richtung.

      Argyll ließ augenblicklich den Bogen sinken und starrte die Frauen an. Erst als sich hinter ihnen weitere Picten, Männer wie Frauen, aus dem Nebel hervorschoben, legte sich seine Erstarrung und wandelte sich augenblicklich in Faszination und zugleich in zunehmende Beklemmung.

      Ganze Gruppen gleich aussehender Pictenkrieger und -kriegerinnen traten auf ihn zu und sammelten sich zu einer stummen Menge, deren staunenden Mittelpunkt er bildete.

      Es dauerte nur Minuten, dann war Argyll von rund einhundert Picten umringt.

      Die leicht bekleidete Kriegerin blickte ihn eine Zeit lang an und ihre Augen schienen sich durch seine bis in sein Gehirn vorzutasten, so als suche sie dort etwas. Als ihre Prüfung schließlich Unbehagen in ihm erweckte und sie es ebenfalls zu fühlen schien, schüttelte sie plötzlich den Kopf und wandte sich an ihre Schwestern und alle anderen um sie herum.

      »Das ist nicht er«, stellte sie nüchtern und ein wenig enttäuscht fest.

      Argyll Fidach verstand sofort, dass sie jemand Besonderen mit er gemeint hatte und war sich nicht sicher, ob er froh oder unglücklich darüber sein sollte, dass er nicht der Gesuchte war.

      »Wen sucht ihr? Vielleicht kann ich euch helfen?« Seine angestrengt neutrale Stimmlage entsprach nicht im Geringsten seinem inneren Zustand.

      »Du siehst nicht so aus, als kämest du viel herum … Freund«, begann die Kriegerin vor ihm und zeigte nicht die geringste Scham, als Argyll ihren halb nackten und die völlig nackten Körper ihre Schwestern mit sichtlichem Interesse musterte.

      »Aber in dieser Gegend kenne ich mich sehr gut aus. Und ich glaube auch, dass ich weiß, wer du bist. Fiona von den Taexalae?«

      Sie nickte und machte eine umfassende Geste.

      »Wir alle sind Taexalae.«

      Argyll fiel ihr Zögern auf und er hakte nach.

      »Bist du dir nicht bei allen deinen Gefährten sicher, dass sie von deinem Stamm sind?« Sein Blick auf ihre identischen Schwestern war eine Mischung aus sexuellem Interesse und Vorsicht. »Ich habe schon Zwillinge gesehen, die sich wie ein Ei dem anderen glichen, aber du und deine … Schwestern sind wohl das Verrückteste …«

      Er stoppte abrupt und seine Nackenhaare sträubten sich wie bei einem räudigen Hund, als sein Blick auf die anderen Krieger fiel, die hinter Fiona standen. Ein vollbärtiger Riese ragte hinter der Frau auf und auch neben ihm standen zwei Männer, die dem ersten bis aufs letzte zerzauste Haar glichen. Argylls Blick wanderte durch die ganze Gruppe und je länger er sich die Gesichter besah, umso blasser wurde sein eigenes. Ein dumpfes Grauen