Katherina Ushachov

Zarin Saltan


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in die andere. In ihrer Schürzentasche steckte – unauffällig aber dennoch sichtbar – ein Smartphone und sie schielte regelmäßig darauf, statt auf den Dreck zu ihren Füßen. Sie nahm ihm die Sicht auf das Eichhörnchen – und rannte beinahe gegen die Kellnerin, die gerade die Bestellung am Nebentisch aufnahm.

      »Entschuldige, Anechka!« Eilig hastete sie weiter, mit den rosaroten Resten einer geplatzten Kaugummiblase im Gesicht.

      Die Angesprochene drehte sich zu Viktor um und lächelte.

      In diesem Moment ging im Restaurant die Sonne auf und der Kitsch verwandelte sich in echtes Gold. Die staubverkrusteten Deckenlampen strahlten mit den Sternen um die Wette und ihr Leuchten machte aus dem schäbigen Lokal ein Paradies. Funken brachen sich im Kristall des Wodkakruges und bedeckten Viktors Hände mit glitzernden, regenbogenfarbenen Pünktchen.

      Weil Anechka lächelte.

      Ihre Schicht musste gerade erst begonnen haben, die Karaffe mit dem Wodka und eine Schale mit Salzgürkchen hatte ihnen noch eine andere Kellnerin gebracht. Eine, deren Gesicht er sich nicht gemerkt hatte.

      Fieberhaft überlegte er, was er bestellen könnte, nur um wenigstens kurz mit ihr ins Gespräch zu kommen, aber nichts von dem, was auf der Karte stand, erweckte sein Interesse.

      Kurschakovs Zahlengerede hörte er längst nicht mehr. Zu sehr war er damit beschäftigt, dem brünetten Engel nachzustarren und sich vorzustellen, wie er sie ansprach und auf einen Kaffee einlud. Oder auf ein Stück Torte.

      Und irgendetwas sagte ihm, dass er sich den Mut dafür nicht antrinken konnte – nicht mit allem Wodka dieser Welt.

      2. Anna

       »Mama, ich glaube, ich habe mich verliebt.« Normalerweise hasste Anna die täglichen Pflichtanrufe bei ihrer Mutter. Die konnte ewig darüber schwafeln, was Anna ihrer Meinung nach als nächstes kochen sollte – und dann sofort anfangen, ein Rezept zu diktieren. Oder über Promis, und was bei denen wieder los war. Doch dieses Mal … Dieses Mal hatte sie ihrer Mutter tatsächlich etwas zu erzählen.

      »Wer ist es? Ein Student? Jung? Alt? Ist er Russe? Nicht, dass ich was gegen einen Deutschen hätte, aber man will doch auch mit dem Schwiegersohn reden können und du weißt, wie die Deutschen so sind …«

      Okay, es war definitiv keine gute Idee gewesen, sofort damit herauszuplatzen. »Mama! Jetzt sei mal still!«

      »Redet man so mit seiner Mutter?« Anna hörte sie schnaufen.

      »Lass mich doch erstmal erzählen.«

      »Ja, aber ich sterbe vor Neugier, bis du es raus hast.«

      Anna rollte mit den Augen. Zum Glück konnte ihre Mutter DAS nicht sehen. »Er ist kein Student. Er … er saß in dem Restaurant, in dem ich kellnere. Und ich glaube, er hat ganz kurz in meine Richtung geschaut.« Bei dem Gedanken daran spürte sie, wie ihr Gesicht heiß wurde. Sie hatte wie eine dumme Pute den Blick gesenkt und war davon gehastet. Furchtbar.

      »Jünger? Älter?«

      »Eher etwas älter als ich.« Anna klemmte sich den Hörer zwischen Ohr und Schulter und fuhr sich durch die Haare. Dass er ein Geschäftsmann im Anzug war und Wodka exte, erzählte sie ihrer Mutter besser nicht. Und mit ›etwas älter‹ hatte sie vermutlich auch hoffnungslos untertrieben.

      »Und?«

      »Nichts und. Ich habe mich nicht getraut, ihn anzusprechen!« Außerdem war er ein Kunde und es würde sie ihren Job kosten, mit einem Kunden zu flirten. Etwas, was sie ihrer Mutter schon tausende Male erklärt hatte. Trotzdem fragte die jedes Mal wieder, ob sie niemanden auf der Arbeit aufgerissen hatte.

      »Du willst, dass ich sterbe, bevor ich Oma werden kann, oder?«

      »Es geht doch nicht immer um Kinder!« Anna würgte ihre melodramatische Mutter kurze Zeit später ab. Da wollte sie einmal von sich aus etwas Privates erzählen und ihre Mutter kam ihr mit sowas. Sie war müde und wollte eigentlich nur noch ins Bett. So eine Abendschicht hatte es in sich.

      Wenn sie nur auch in der Lage gewesen wäre, abzuschalten und einzuschlafen. Ruhelos wälzte sie sich im Bett, bis sie endlich in einen erschöpften Schlaf fiel.

      Am nächsten Morgen eilte sie mit einem Thermobecher voll Kaffee die drei Straßenblocks von ihrem Studentenwohnheim zum Campus. Wieso hatte sie sich nach so einem langen Tag eigentlich so früh zum Referatstreffen mit ihren Freundinnen verabredet? Ausschlafen wäre eigentlich eine ganz nette Option gewesen.

      Beinahe wäre sie über ein Eichhörnchen gestolpert, das direkt vor ihr zwischen einem Gartenzaun und dem nächsten Baum vorbeiflitzte. Waren diese Tiere nicht eigentlich scheu?

      Tanja und Sabrina saßen bereits an ihrem Stammplatz, an einem der Tische neben dem Eingang zur Institutsbibliothek. Sabrina balancierte ihr Smartphone und ihre Handtasche gleichzeitig auf ihrem Schoß, während sie einhändig auf einem Netbook herumtippte. Tanja nippte an ihrem Soja-Latte.

      »Warum so spät?« Tanja zog ihre Handtasche vom Stuhl neben sich und ließ sie unter ihren Stuhl plumpsen. »Die Muffins sind schon fast kalt.« Sie holte eine Papiertüte mit selbstgemachten Schokokaramellmuffins heraus und verteilte das Gebäck an die Freundinnen.

      Anna ließ sich auf die so frei gewordene Sitzfläche fallen und atmete erst einmal tief durch. »Sorry, Mädels. Das war eine wirklich lange Schicht gestern und ich bin noch ganz durcheinander …« Sie fuhr sich durch die Haare.

      »Meine Schicht war genauso lang wie deine!« Sabrina verzog das Gesicht.

      »Durcheinander?« Tanja beugte sich interessiert vor.

      Anna winkte ab. »Nicht so wichtig. Sabrina, du hast den Märchenfilm auf Youtube und ich habe das Buch.« Sie holte eine etwas abgegriffene Ausgabe von ›Puschkins Kunstmärchen‹ heraus. »Und du, Tanja, hast du die biografischen Informationen zu Puschkin?«

      Beide nickten.

      »Dann können wir ja mit dem Referat anfangen.« Anna schlug demonstrativ das Buch auf. »Findet ihr nicht auch, dass die Referate und Hausarbeiten immer die Freude an der eigentlich total schönen Geschichte nehmen? Ich meine, hört euch das an …« Sie begann, aus ›Zar Saltan‹ vorzulesen.

      Ein bisschen Magie konnte schließlich nicht schaden.

      3. Viktor

       Geradezu verboten gut gelaunt, ließ Kurschakov einen Packen Briefe auf seinen Schreibtisch fallen. »Da, Eure Majestät. Die morgendlichen Depeschen.« Er deutete eine spöttische Verbeugung an, ehe er sich an seinem eigenen Arbeitsplatz auf den Bürostuhl fallen ließ.

      Und mittendrin der knallpinke Umschlag einer beliebten russischen Datingshow. An ihn adressiert und mehr als ausreichend frankiert, sein Name sogar vollkommen richtig geschrieben.

      »Kurschakov, was ist DAS?« Er wedelte damit in der Luft und drehte sich zu seinem Assistenten um. Die zu hastige Bewegung ließ Blitze durch sein Hirn schießen und er griff sich mit der freien Hand an den Kopf.

      »Lass mich sehen.« Kurschakov pflückte den Umschlag aus seiner Hand und riss ihn an der Seite auf. »Das sind Unterlagen für deinen Sendetermin in Frankfurt. Man freut sich über deine Anmeldung und darauf, dich während der Sendung im Studio zu haben.«

      »Man freut sich über meine … was?«

      »Über deine Anmeldung. Für ›Liebling, lass uns heiraten‹.« Kurschakov hob eine Augenbraue. »Stimmt etwas nicht?«

      »Nein, ich … Ich kann mich da unmöglich angemeldet haben. Das … Also … Wer. . Ich meine … So verzweifelt bin ich nicht!« Viktor hatte das Gefühl, jedes einzelne Glas Wodka vom Vortag würde nun von innen gegen seine Schläfen pochen. Nicht einmal die doppelte Menge ungewöhnlich starken Kaffees machte das Ganze wesentlich erträglicher und nun musste er auch noch erfahren, dass er irgendwann so dicht gewesen war, dass er sich bei einer Datingshow angemeldet