Christiane Kriebel

Dita und die 70er


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       Die Autorin

       Impressum neobooks

      

      

       Christiane Kriebel

      

       Dita und die 70er

      Copyright by Primär Verlag Berlin

      Alle Rechte vorbehalten

      Umschlagsgestaltung: Exakt Werbung, Simone Stolz

      Coverfoto © Christiane Kriebel

      Urheber: Christiane Kriebel

      Lektorat: Stefan Ment

      Ebookversion

      ISBN 978-3-948414-04-7

      Dieser Roman ist ein Gemisch aus realer und erfundener Biografie der Autorin

      Die Namen der Protagonisten sind, wenn nicht geschichtlich belegt, frei erfunden.

      1. Kapitel

      „Die Wölfe schleichen ums Haus“, sagte ich und gähnte. „Bei uns gibt es keine Wölfe“, antwortete meine Schwester ängstlich. „Doch“, entgegnete ich, „Sie kommen aus dem Erdengraben und heulen die ganze Nacht den Vollmond an.“ Hätte Luise nur zum sternenlosen Himmel geblickt, sie hätte sofort bemerkt, dass ich wieder einmal übertrieb. Versteckt unter der Decke flüsterte sie Minuten später: „ich ersticke“. Ich liebte es, unter der Decke zu liegen, so dass nur meine Nase hervor sah, dann fühlte ich mich geborgen. Oft träumte ich von einem schwarzhaarigen Schäfer, der mich mit einem Kuss sanft weckte. Allabendlich spann ich unter der Decke Geschichten. Ich sah mich als mildtätige Helferin in Angola, fuhr zu den Indianern an den Orinoko. Mein Lieblingstraum aber war, nach bestandenem Abitur Regie zu studieren. Das wäre was - Regisseurin sein und mindestens so berühmt werden wie der schwedische Regisseur Ingmar Bergman. Wie ich das in der DDR 1968 anstellen sollte, wusste ich nicht. Aber ich würde einen Weg finden. Nach dem Abitur bewarb ich mich beim Deutschen Fernsehfunk in Berlin. Mein Abgangszeugnis gefiel der Prüfungskommission nicht, die schlechten Noten in Staatsbürgerkunde und Betragen störten. Aber von meiner kreativen Seite zeigten sie sich angetan. Wochenlang war ich durch meinen kleinen Ort getigert. Mit meiner neuen Kamera, einer Exa, die sogar ein Zeiss-Objektiv hatte, fotografierte ich die wehrlosen Bewohner. Ich fotografierte die Maurer beim Richtfest, kletterte mit meinen Freunden auf den Kirchturm und fotografierte das Goethe-Schloss aus der Vogel- perspektive. Ich nahm eine Hochzeit im Altersheim auf, ich fotografierte die Bauern auf dem Feld und meine Schwester Luise bei ihrem ersten Versuch Fahrrad zu fahren. Dazu schrieb ich lustige Geschichten und schickte sie zur Prüfungskommission nach Berlin. Irgendwie muss denen das in der Hauptstadt gefallen haben. Ich wurde eingeladen, um eine Prüfung abzulegen, obwohl die Studienplätze für das Jahr 1968/69 belegt waren. Ich saß mit vielen Bewerbern tagelang in der Betriebsakademie und wurde auf Herz und Nieren geprüft. Meine Organe hatten wohl funktioniert, denn ich bekam einen Studienplatz für das Jahr 1969/70 und gehörte zu der neuen „Kader- schmiede“ - ausersehen, Kunst und Kultur im Fernsehen der DDR zu gestalten. „Schicken sie uns vierteljährlich Fotos, damit wir ihre Entwicklung sehen können“, verabschiedete mich der Vorsitzende der Prüfungskommission des Deutschen Fernsehfunks der DDR. Da er mir tief in die Augen sah, wusste ich nicht hundertprozentig, welche Entwicklung er meinte, die meinige, die meiner kleinen Stadt oder die unserer sozialistischen Gesellschaft. Ich musste ihn so verdutzt angesehen haben, dass er noch einige erklärende Sätze hinzufügte. Bewerben sie sich in der Produktion, arbeiten sie das Jahr bis zum Studienbeginn. Voller Optimismus und Tatendrang fuhr ich nach Hause. Ja, ich wollte mich bewähren, mein eigenes Geld verdienen und meinen Eltern zeigen, dass ich nicht nur träumen, sondern auch arbeiten konnte.

      Körperliches Arbeiten kannte ich seit meiner Kindheit, jedes Frühjahr ging ich zum Rübenverziehen. Das hieß, stundenlang auf den Knien Ackerfurchen entlang zu rutschen, die kleinen Rübenpflanzen, die überzählig waren, herausziehen und möglichst nur ein Pflänzchen stehen lassen. Am liebsten nahm ich drei Reihen, das trauten sich nur die großen Jungen zu. Wenn das Geld am Abend ausgezahlt wurde, hielt ich in meinen grünen klebrigen Händen neun Mark, eine Summe, die sich sehen lassen konnte. Für das Geld kaufte ich mir diese teure Exa. Die ersten Fotos schoss ich mit schmerzendem Rücken und wunden Fingern. Gute Fotos, es hatte sich gelohnt.

      Sommer 1968.

      Meine Eltern und Luise tummelten sich an der Ostsee. Luise war mitten in der Pubertät. Pickel zeigten sich auf ihrer Stirn und ihr blondes Haar hing ihr oft strähnig in den Nacken. An der Ostsee ließ sie sich in ihrem ersten Bikini von der Sonne braun brennen, ihr Haar bleichte weißblond. Ich lag in unserem Garten. Eigentlich sollte ich die Eierpflaumen ernten, doch bei der sengenden Hitze fiel mir das schwer. Mein Vater hatte befohlen, jede Pflaume einzeln abzupflücken, vorsichtig in den Korb zu legen, und sie so wie rohe Eier zu behandeln. Er nahm wie immer alles wörtlich: Eierpflaumen. Träge stand ich auf und rüttelte müde am Baum, einige wurmstichige Pflaumen bequemten sich hinunter- zufallen. Da ich meinen Fotoapparat überall dabei hatte, stieg ich auf die Leiter und fotografierte Pflaume für Pflaume. In meinem Kopf türmten sich Gedanken. Wo sollte ich während meines freien Jahres arbeiten? In der hiesigen Brauerei? Meinem Vater wäre es recht, dann bekäme er Abend für Abend mein Deputat Bier. Es war immer noch drückend heiß und ich trank aus unserem Brunnen eiskaltes Wasser. Nach einiger Zeit des Überlegens musste ich auf unser Holzhäuschen. Durch das große Herzchen fiel genügend Licht in den Raum, so dass ich die zurechtgeschnittenen Zeitungsrechtecke lesen konnte, bevor ich sie benutzte.

      Eine Annonce fiel mir sofort ins Auge: Arbeiterinnen in der Maschinenpappfabrik gesucht! Guter Lohn garantiert. Ich spazierte von unserem Garten in den Schlossgarten, stellte mich an die Schlossmauer und sah durch den Sucher meines Fotoapparates aufs Saaletal. Am Horizont entdeckte ich verschwommen die alte Maschinenpappfabrik. Fragen kostet nichts, ich spaziere da einfach mal hin, dachte ich und ging langsam durch