nehme an, dass wir das nicht verhindern können.“
Dass es nicht mehr dazu kommen würde, ahnten beide Kriminalbeamten nicht.
5.
„So eine Scheiße!“ Adrian warf wütend seine Tasche weit von sich, als er und sein Freund Bernd den Parkplatz des Supermarktes erreicht hatten. Hier war der Treffpunkt der beiden, zu denen noch vier weitere Freunde gehörten. „Der ganze Mist kommt jetzt wieder an die Oberfläche. Alle werden mit den Fingern auf uns zeigen! Jeder wird sich an den Vorfall mit Kathi erinnern!“
„Denkst du, das weiß ich nicht?“ Bernd war außer sich und hatte keine Ahnung, was er machen sollte. Er hatte bereits mehrfach versucht, seine Mutter zu erreichen, die in solchen Fällen immer eine Lösung parat hatte, aber sie ging nicht ans Telefon. Das war so typisch! Ihre dämliche Arbeit ging immer vor, für ihn hatte sie kaum Zeit. Dass diese Gedanken so nicht stimmten, war dem Teenager nicht bewusst. „Vielleicht sollten wir einfach wieder zurück in die Schule gehen und abwarten.“
„Das kannst du vergessen! Ich gehe nicht mehr zurück! Dort ist bestimmt immer noch die Polizei, die vielleicht schon weiß, was vor einem Jahr war. Die werden uns mit Fragen löchern!“ Adrian war außer sich. „Mein Vater reißt mich in Stücke! Nach dem Vorfall mit Kathi habe ich ihm versprechen müssen, mich bis zum Abitur ruhig zu verhalten. Und jetzt? Jede Kleinigkeit mit Kathi wird an die große Glocke gehängt. Wir sind erledigt!“
„Wenn dein Vater erfährt, dass du die letzten Schulstunden geschwänzt hast, wird er darüber auch nicht erfreut sein.“
„Du hast Recht! Ich gehe jetzt nach Hause und lege mich ins Bett. Dass ich krank geworden bin, kann er mir nicht übelnehmen.“
„Das nützt dir auch nichts. Er wird von Kathis Tod erfahren.“ Bernd machte eine Pause und stellte jetzt die Frage, die ihm auf der Seele lag. „Du hast doch nichts mit ihrem Tod zu tun, oder?“
Adrian starrte seinen Freund an. Dann holte er seine Tasche und lief los.
„Hey, bleib doch hier! Du hast mir nicht geantwortet!“, rief ihm Bernd hinterher.
Adrian dachte nicht daran, noch ein Wort mit seinem vermeintlichen Freund zu wechseln. Was erlaubte der sich?
Bernd war schlecht geworden. Ja, das mit Kathi damals war echt übel gewesen, er hatte sich von Adrian dazu anstiften lassen. Aber das war lange her und er hatte sich bei dem Mädchen entschuldigt, worauf vor allem seine Mutter großen Wert gelegt hatte. Trotzdem gab es kleinere Stänkereien, die aber niemals der Grund für einen Selbstmord sein könnten. Oder doch? Warum hatte er das Mädchen nicht einfach in Ruhe gelassen! Bernd war wütend auf sich selbst und auf Adrian. Ja, sie waren beide nicht nett zu Kathi gewesen, aber mit deren Tod hatte er nichts zu tun. Was war mit Adrian? Hatte er Dinge gemacht, die sie in den Tod getrieben hatten? Würde er seinem Freund das zutrauen? War Adrian überhaupt ein Freund? Unschlüssig saß Bernd auf der schmutzigen Mauer. Was sollte er jetzt machen? Es verging sehr viel Zeit, bis er sich endlich dazu entschloss, zu seiner Mutter zu gehen.
Von all dem ahnten Leo und Hans nichts. Das Gespräch mit dem Rektor der Schule war endlos lange, aber nicht ergiebig. Belzig lobte sein Gymnasium und betonte die Vorzüge, die nach seinen Schilderungen alle auf ihn zurückzuführen waren. Leo und Hans war klar, dass er von dem ablenken wollte, weshalb die Polizisten hier waren.
„Kommen wir auf das Opfer zurück. Wir haben gehört, dass die Schülerin gemobbt wurde?“
„Nein, nein, Mobbing gibt es bei uns nicht“, wiegelte Belzig sofort ab. „Wir haben diesen Punkt in unser Lehrprogramm aufgenommen und der wird von jedem Kollegen konsequent eingehalten. Darauf achte ich persönlich!“
„Trotzdem wurde die Schülerin Katharina Oberwinkler mit Fäkalien beschmiert, das hat uns eine Lehrerin bestätigt.“
„Welche Lehrerin? Das war sicher Frau Seizinger, oder? Die kann was erleben! Wie kommt sie nur darauf, solch einen Blödsinn zu verbreiten?“
„Sie behaupten, dass es den Vorfall nicht gab?“
„Nein, so habe ich das nicht gemeint. Es gab einen kleinen Streich zweier übermotivierter Schüler, mehr aber nicht. Wir konnten den zugegebenermaßen etwas aus dem Ruder gelaufenen Spaß mit Hilfe der Eltern klären. Das ist nichts, womit sich die Polizei beschäftigen muss, das ist längst Schnee von gestern.“ Belzig war sehr nervös geworden. Warum wurde diese Sache jetzt wieder aufgewärmt, nachdem längst Gras darüber gewachsen war?
„Sie können uns glauben, dass wir Spaß verstehen“, sagte Leo, der spürte, was in Belzig vorging. „Jemanden mit Fäkalien zu beschmieren finde ich nicht lustig. Du etwa?“, wandte er sich an Hans.
„Nein, auf keinen Fall! Das ist ganz klar Mobbing.“
„Mobbing ist das nicht, es war nur ein Spaß unter Kindern. Sie sollten sich nicht länger damit beschäftigen.“
„Hören Sie endlich auf, diesen Vorfall herunterzuspielen!“ Leo war sauer. „Eine Ihrer Schülerinnen ist auf dem Schulgelände ums Leben gekommen und es ist für uns selbstverständlich, dass wir die Todesumstände klären. Und dazu gehört auch das Umfeld und alle Vorkommnisse der letzten Jahre! Die Tote war ein Mobbing-Opfer! Je eher Sie das endlich kapieren, desto leichter wird unsere Arbeit. Machen Sie die Augen auf, Herr Belzig, und sehen sie die Tatsachen so, wie sie sind. Auf Ihrem Schulgelände ist eine Ihrer Schülerinnen gestorben und Sie sollten in Ihrer Position alles daransetzen, die Polizei zu unterstützen und damit die Umstände des Todes zu klären.“
„Sie haben ja Recht, ich möchte mich in aller Form entschuldigen.“ Belzig war leichenblass geworden. „Die Schülerin Katharina Oberwinkler hatte es nicht leicht in der Klasse, das war nicht nur mir, sondern auch den Kollegen bekannt“, entschied er sich für die Wahrheit, auch wenn er wusste, dass das riesigen Ärger vor allem von Seiten Doktor Neuwirths nach sich ziehen würde. „Ja, es gab diesen unschönen Vorfall, der in meinen Augen geklärt wurde. Katharina war eine Außenseiterin, die es nicht geschafft hat, sich in die Klasse einzufügen. Alles, was über den normalen Schulunterricht hinausging, wurde von Seiten der Eltern verboten. Wenn es galt, außer der Reihe etwas anzuschaffen, musste Katharina passen. Die Eltern sahen nicht ein, extra Geld auszugeben, was ich auf deren finanzielle Lage zurückführe. Nicht alle Eltern sind vermögend, was sich vor allem in den oberen Klassen herauskristallisiert. Die Mehrheit der Eltern besteht auf mindestens einen Auslandsaufenthalt, auch Ski-Ausflüge sind heute die Norm. Dass wir heute von Seiten der Schule davon ausgehen, dass jeder Schüler einen Laptop, PC oder ein Tablet besitzt, ist für viele normal, für einige wenige aber nicht. Auch einen Drucker und viele weitere Dinge setzen wir voraus. Es gibt Eltern, die das alles finanziell nicht tragen können, was ich gut verstehen kann. Aber mir sind die Hände gebunden und muss der Mehrzahl der Elternwünsche entsprechen. Für finanzschwache Eltern gibt es spezielle Hilfsprogramme, die hervorragend und zuverlässig greifen. Katharinas Eltern haben jede finanzielle Unterstützung abgelehnt. Auf Klassenfahrten durfte sie nicht mit, Hausaufgaben musste sie hier im Computerraum erledigen. Dass die Schülerin dem Hohn und Spott einiger Mitschüler ausgesetzt war, liegt auf der Hand. Und letztes Jahr ist die Sache durch diesen unschönen Vorfall eskaliert. Ich habe wiederholt um ein Gespräch mit Katharinas Eltern gebeten, was sich sehr schwierig gestaltete. Es ist nicht üblich, dass sich Eltern bei Problemen zurückziehen und eine Einladung der Schule ausschlagen. Bei der Gelegenheit hätte ich den beiden sehr gerne nochmals die finanziellen Möglichkeiten von Seiten des Staates erläutert, aber das Ehepaar Oberwinkler blockte alle Einladungen ab. Mir ging es nicht nur um die finanzielle Seite, sondern vor allem um diesen Vorfall, dem man nachzugehen hatte. Sie müssen mir glauben, dass ich alles versucht habe. Aber das Ehepaar Oberwinkler wollte offenbar kein klärendes Gespräch und verschob einen Termin nach dem anderen. Als sie sich endlich dazu bereiterklärten, war ich leider verhindert. Die Kollegin Seizinger hat mit den Eltern gesprochen und gemeinsam wurde eine Lösung erarbeitet. Von einer finanziellen Unterstützung wollten sie aber nichts hören und haben das Thema sofort unterbunden.“ Belzig atmete tief durch. „Hören Sie, meine Herren: Wir