Tabea Thomson

BEYOND – Eine andere Wirklichkeit


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hier meine Schicht übernehmen!

      Zeitgleich mit dem drückten vom Versende Button schwenkte er um und stürmte hinauf Richtung Portierplattform. Als er die Kabine betreten wollte, piepte sein Hemdknopf großes Interface am Kragen vom Shirt. Arun stöhnte genervt, das Signal gehörte zu Captain Matise Delune.

      »Arun wo stecken Sie?

      »Ich bin noch zu Tisch.«

      »Ich brauche Sie sofort hier …«

      Delune's Anliegen war ein schwieriges Unterfangen. Und solange es sich nicht in Wohlgefallen auflöst, ist der Swa Auftrag hier an Bord nicht erledigt.

      In Gedanken schlug sich Arun erkennend an die Stirn und zu sich selber sprach er: »Deshalb der springende Punkt im Terminkalender.«

      Das Jingle von der Portierplattform erklang und gleich danach trafen Portierstrahlen ein, darin materialisierte sein Aiws Doppelgänger. Er hielt einen frischen Dienstoverall in den Händen.

      Indessen Arun in den Dienstoverall schlüpfte befahl er: »Aiws warte hier oben. Ich bin gleich zurück.«

      Arun wandte sich ab und schlenderte hinunter zum Captains Bereitschaftsraum. … Bevor er eintrat, lauschte er an der Metalltür. Gewöhnlich vernahm er ohrenbetäubendes Stampfen, das den auf Dauerschleife eingestellten Song "New York Groove" begleitet. Der Song kommt, das hatte er von Delune erfahren, ursprünglich von einer irdischen Band mit dem Namen Hello. Ihr Song gehört zur klassischen Tanzmusik der Richtung Rockmusik.

      Wenn Captain Delune sich den Song reinzieht, wie er es nennt, vollzieht er zuckende Bewegungen, es sieht für Aruns Verständnis suspekt aus. In den Händen hielt Delune eine Luftgitarre, die zupft er hingebungsvoll. Leider bekam Arun das Instrument noch nie zusehen, anscheinend wirbelte sie da gerade durch die Luft.

      »Vielleicht sieht er sie heute.« – Zu den Gedanken Aruns spitzen Ohren abwechselnd an der Tür. In seiner Mimik lag Freude, das verwünschte röhrende Gitarrensolo schwieg. Aber still war es dennoch nicht, Matise Delune führte mit sich einen recht lautstarken Monolog.

      Kopfschüttelnd betrat Arun den Bereitschaftsraum. … Nach zwei Minuten kam er fluchtartig auf die Brücke zurück und hetzte, ohne sich umzudrehen, zu seinem Terminal. Er stützte sich auf der Arbeitsfläche ab und schnappte nach Luft.

      »Ey Mann. Jetzt hab ich es versaut.« Sein rechter Nebenmann – der Offizier – warf Arun einen genervten Blick zu. »Will er dir an die Unterwäsche, oder was ist los?«

      Arun unterdrückte ein Glucksen. Er rutschte auf seinen Arbeitsplatz Sessel, der vom Captain ist links daneben. Sein Blick huschte zum Bereitschaftsraum, – die Tür war zu.

      »Nein. Ich trage nichts darunter.« – Ein tiefgründiger Blick ruhte auf seinem knielangen Kilt. – »War ein Scherz«, es lachte aus ihm heraus. »Der Captain sucht bloß einen Planeten ...« Bevor er weitersprach, gab er zu verstehen, dass der Nebenmann näher kommen soll. Mit knappen Sätzen schilderte Arun das Szenario im Bereitschaftsraum. Danach hetzte er zur Oberbrücke, und während ihm die Portierstrahlen erfassten, schlenderte sein Doppelgänger Aiws hinab zur Hauptbrücke.

      * * *

      KAPITEL 2

       24. November 2262.

       Raumschiff Visitor alpha U P.

       Separate Brücke.

       Mittelschicht .

      Im hinteren Teil vom Bereitschaftsraum stand Captain Matise Delune in Lauerhaltung vorm Schreibtisch.

      Obwohl seine Dienstzeit erst vor zwei Bordstunden begann, sah der 30-Jährige im Gesicht abgehetzt aus.

      Seitlich von Delune schwebten unzählige holographische Sternenkarten. Zum x-ten Male stupste er aufs Abbild eines riesigen Minenfeldes vorm Eridani alpha System. Sobald er dazu eine Citraa (Computer) Anfrage stellte, erhielt er ein und dieselbe Warnung:

       V erseuchtes System der Stufe Omega!

       Eridani alpha System tödlich verstrahlt!

      Delune wandte sich von den Sternenkarten ab, die Wand hinterm Schreibtisch geriet in den Fokus, in einem der offenen Ablagefächer lag ein grünes PAD. Er nahm es in die Hand, ihr letzter Lieferauftrag wurde angezeigt, der merkwürdige Wortlaut entriss seiner Kehle ein erbostes Schnaufen.

      ›... vier lebendige Handelsposten sind heute noch (vor einbrechen der Dunkelheit) im Eridani alpha System auf den Planeten Advenu in der Stadt Sinu i abzuliefern.

      Sein jugendlicher schlaksiger Körper lungerte an einer der rauen, blassgrün getünchten Deckwände.

      »Prima! Bloß dazu müsste ich die Koordinaten kennen. Und wie sollen wir dann unbeschadet dorthin kommen«, fluchte es lautstark über die gut durchbluteten Lippen.

      Indessen er weitere Suchoptionen überlegte, zausten die Finger aufgebracht in den kurz geschnittenen und durchgestylten hellbraunen Haaren, als er davon abließ, sah es zerfleddert aus. Blubbernd trat er vorm Schreibtisch, über dem schwebten virtuelle Sternenkarten. Für einen flüchtigen Moment stierte Delune auf einen Ausschnitt vom Minenfeld. Ein Gedankenblitz wurde zu einer neuen Citraa Suchanfrage. Doch anstelle einer Antwort erhielt er abermals die Warnungen.

      Seine angestaute Wut entlud sich auf der Schreibtischplatte. Die Faustschläge, mit der Stärke eines Vorschlaghammers, ließ das robuste Metallding respektvoll summen. In den Händen fühlte es sich wie Stromschläge an, unwillkürlich hob er die schmerzenden Fäuste von der Tischplatte.

      »Ich hätte es wissen müssen, von den spitzohrigen Halunken kommen nur Psychospielchen.« Aus der Kehle rutschte ein aufbäumender Laut. »Es war nicht in Ordnung, die Untergrund Kameraden im Stich zu lassen. … Verdammt! Ich wünschte, ich könnte die Zeit zurückdrehen.«

      Harte Worte von einem der es im Leben nicht leicht hatte.

      Delune's Leidensweg begann am Tag seines 14. Geburtstags. Damals am 9. März 2246 holten ihn weiß gekleidete Beamte vom U P C Säuberungskomitee aus dem Klassenzimmer, und die leiblichen Eltern, fleißige Londoner Tagelöhner, hatten solche Beamten am Arbeitsplatz abgeholt. Die Eltern wurden wegen wiederholt systemkritischer Äußerungen in ein Straflager überführt.

      Arun steckten sie danach aus unbekannten Gründen nicht in ein Umerziehungslager, sondern er kam mit seinem Butler Seeker zu U P C Systemtreue Zieheltern den Appeldoms nach Jersey. Die grüne Insel liegt im Ärmelkanal. Wer dort leben darf, gehört zu den privilegierten Menschen der Erde.

      Delune war in Armut aufgewachsen, er liebte seine warmherzigen Eltern. Sie hatten ihn vermittelt das wenige, das man besitzt, mit anderen zuteilen. Und nun das!, man verschleppte ihn in den Wohlstand. Das riesige Appeldoms Domizil, mit all dem Luxus, bescherte Delune einen Kulturschock. Und die, wie vereiste und nur stur nach Befehlen hantierenden Marionetten wirkenden Zieheltern stürzten den ohnehin instabilen Jungen in ein abgrundtiefes Gefühlschaos.

      Trost fand er bei Butler Seeker. Der Aiws – eine künstliche Intelligenz – war erst fünf Tage vor den Schicksalsschlag in Delune's Familie gekommen. Seeker war das Erbstück einer verstorbenen weit entfernten Großtante.

      Zwei Tage nach Delune's "Zwangsadoption" zog Seeker los, um "seine Leute" aus dem Straflager zu befreien. Er kam nicht zurück.

      ~

      Die Appeldoms sind viel beschäftigte Günstlinge in einer höheren U P C Verwaltung. Sie sahen in dem spindeldürren 16-Jährigen stillen Zögling ein Umerziehungsobjekt, das wegen seines pfiffigen Verstandes und der schönen Gesichtszüge prima zum Vorzeigen geeignet ist.

      Im goldenen Wohlstandskäfig, wie es Delune nannte, war er viel allein. In seiner Freizeit schraubte und schweißte er alles mögliche zusammen.