Michael Schenk

Für Freiheit, Lincoln und Lee


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      „Wo sind wir hier eigentlich?“

      „Keine Ahnung.“ Friederike beugte sich ein wenig vor und klopfte gegen die Trennscheibe. „Kutscher, wo sind wir hier?“

      „Nur ein paar Minuten noch, Madam und Sir.“ Der Kutscher hatte sie offensichtlich als Paar anerkannt, obwohl dies für Friederike und Timothy keine Rolle spielte. „Es wird Ihnen gefallen.“

      Wenig später hielten sie im Vorortbereich New Yorks. Als sie aus dem Fenster spähten, erkannten sie ein zweistöckiges Gebäude, das inmitten eines ausgedehnten Gartens lag. Die Holzfassaden waren weiß gestrichen, mit Ausnahme verspielter Ecktürme, die ungewöhnlich für die Gebäude in der Stadt waren. Über dem Gartentor hing ein sanft schaukelndes Schild, das auf freie Zimmer hinwies.

      „Das ist die Pension der Witwe Parker“, erklärte der Kutscher und kletterte vom Bock herunter. „Nehmen Sie es mir nicht übel, Madam und Sir, aber ich denke, dies wird Ihnen gefallen. Sehr ruhig und ausgesprochen diskret.“

      Der Mann öffnete den Schlag und Friederike und Timothy sahen sich lächelnd an und stiegen dann aus. Timothy gab dem Kutscher Geld, was den Mann sichtlich zufrieden und ehrerbietig seinen Zylinder lüften ließ. Ohne ihn weiter zu beachten, gingen sie Hand in Hand auf das Gartentor zu und öffneten es. Während hinter ihnen die Kutsche davonrollte, schritten sie über den weißen Kies des Weges. Die hölzernen Stufen der Veranda knarrten ein wenig, als sie die kleine Treppe hinaufgingen.

      Timothy blickte Friederike fragend an. „Sollen wir wirklich? Ich möchte nichts tun, das…“

      Friederike lächelte und griff an ihm vorbei an die Türglocke, zog den Griff. „Ich möchte es, mein Liebster.“

      Timothys Gesicht zeigte erneut die beiden Grübchen und dieses entrückte Lächeln, mit dem verliebte Menschen die Welt umarmen könnten. Dieser Ausdruck wandelte sich auch nicht, als eine ältere Dame an der Tür erschien und sie öffnete.

      „Wir suchen eine Unterkunft, gnädige Frau“, sagte Timothy lächelnd. „Leutnant Timothy Arguille von der R.M.S. Celeste und… äh, und…“

      „Gattin“, ergänzte Friederike hilfreich. Das Wort kam ganz selbstverständlich über ihre Lippen.

      Die Witwe zog für einen Moment die Stirn in Falten, dann gab sie ihnen die Tür frei. „Das Zimmer kostet 10 Cents, mit Frühstück macht es 30.“ Sie musterte Friederike nachdenklich und ihr Blick wanderte wieder zu Timothy. „Dies ist ein anständiges Haus, Herr Leutnant. Ich sehe keine Ringe.“

      Timothy Arguille räusperte sich. „Noch nicht, gnädige Frau, noch nicht. Doch ich versichere Ihnen, dass wir sie bald tragen werden.“

      Die Witwe lächelte verständig. „Nun, vielleicht sind Sie noch nicht kirchlich getraut, junger Mann, aber mein guter Charly hat immer gesagt, wenn zwei Herzen sich vereinigt haben, so sind sie vor Gott verbunden. Haben Sie Gepäck?“

      Mechanisch schüttelten beide den Kopf und die Frau geleitete sie durch den geräumigen Vorraum an einen hölzernen Tresen, damit sie sich im Gästebuch eintragen konnten. Durch eine offen stehende Schiebetür erkannte man einen kleinen, aber gemütlichen Speiseraum, in dem zwei Männer saßen.

      „Es ist derzeit sehr ruhig“, erklärte die Witwe Parker. „Ich biete gute Hausmannskost und wenn Sie viel Appetit verspüren, so können Sie auch einen Nachschlag haben.“

      Sie hatten Hunger und vielleicht war es auch eine seltsame Scheu, die sie veranlasste, nicht auf das Zimmer zu gehen, sondern sich in den Speiseraum zu setzen.

      Während sie Tee tranken und auf das warme Essen warteten, hielt Timothy die Hand Friederikes. Nervös leckte er sich über die Unterlippe und schien noch immer nicht fassen zu können, dass sie einander gefunden hatten. „Ich möchte, dass du meine Frau wirst, Friederike Ganzweiler. Mit allem drum und dran. Ich weiß, es wird nicht leicht für dich, weil ich so oft auf See bin und vielleicht werden deine Eltern nicht mit mir einverstanden sein, aber ich wünsche mir nichts sehnlicher, als dich zum Weibe zu haben.“

      „Es ist mir egal, was meine Eltern denken“, sagte sie entschlossen. „Aber ich glaube, sie werden einverstanden sein. Und wenn nicht, so werde ich dennoch deine Frau, Timmy. Ich habe so lange auf dich gewartet, ohne zu wissen, worauf ich eigentlich warte. Aber als ich heute den Namen Celeste in der Zeitung las, da war es mir mit einem Mal klar. Ich liebe dich, Timothy Arguille.“

      Er strahlte sie an und nippte an seinem Tee. „Ich… ich muss dich das fragen, bitte sieh es mir nach. Doch auf dem Schiff, da… da sprachst du manchmal von… äh…“

      Friederike dachte daran, wie selbstsicher Timothy als Seeoffizier war und wie schüchtern er ihr gegenüber in diesem Augenblick wirkte. Sie drückte seine Hand. „Friedrich? Das ist vorbei, Timmy.“ Jetzt, wo sie es aussprach, wurde ihr bewusst, dass sie nichts mehr mit Friedrich Baumgart verband. Eine Freundschaft, ja, doch keine gemeinsame Zukunft. Die saß hier vor ihr und sie würde dies Friedrich, ihren Eltern und aller Welt deutlich machen. „Er ist ein guter Freund, doch du bist mein Mann.“

      Das Essen wurde serviert, doch sie registrierten es gar nicht, sahen sich an und die Welt versank um sie herum. Witwe Parker sah das Essen kalt werden, doch sie wollte nicht durch das Abräumen stören, wartete mit verständnisvollem Lächeln, bis das Paar sich vom Tisch erhob und untergehakt und lachend die Treppe ins Obergeschoss hinauf ging. Sie dachte an ihren verstorbenen Mann Charly und was der Reverend wohl zu dem Paar gesagt hätte. „Wenn zwei Herzen sich vereinigt haben, so sind sie vor Gott verbunden, nicht wahr, Charly?“

      Die Zimmertür fiel hinter Timothy und Friederike zu und sie standen in dem kleinen Zimmer, ohne es wirklich wahrzunehmen. Beide verspürten eine undefinierbare Unsicherheit, Furcht, den anderen zu verletzen, und doch war es so selbstverständlich, was sich zwischen ihnen ergeben musste. Sie standen voreinander, hielten sich in den Armen und küssten sich. Ihre Küsse wurden leidenschaftlicher und erfüllt von Gier.

      Noch nie hatte sich Friederike Ganzweiler einem Mann wirklich hingegeben. Da war immer diese Furcht gewesen, den letzten und unwiderruflichen Schritt zu tun. Doch nun löste sie bereitwillig ihr Kleid und schlüpfte aus den Röcken.

      Friederike empfand einen kurzen Schmerz, als sie zur Frau wurde, doch dann schwemmte die Leidenschaft alle Ängste fort und sie gaben einander hin.

      Kapitel 11 1858 – Harpers Ferry

      Im Jahr 1958 kämpfte Abraham Lincoln für einen Sitz im Senat. Er nahm die blutigen Vorgänge in Kansas zum Anlass, dass die bisherige Politik nicht geeignet sei, dem Morden zu begegnen. Würde man es tolerieren, so würde dies den Sklavereibefürwortern Tür und Tor öffnen, eine Expansionspolitik der Sklaverei in den Westen zu betreiben. Lincoln sah nun jene Bedrohung auf den Norden zukommen, welche der Süden, als Argument zur Aufweichung des Missouri-Kompromisses, angeführt hatte – der jeweils Andersdenkende könne die neuen Territorien nutzen, um der eigenen Sache Stimmen zuzuführen. In seinem Wahlkampf machte Lincoln klar, dass der einzige Weg, dies zu verhindern, darin bestehe, die republikanische Partei zu wählen. Sie, die Republikaner, seien es, die sich mit ganzem Herzen dafür einsetzten, die Sklaverei als moralisches, soziales und politisches Unrecht zu brandmarken.

      Der Südstaatler Douglas trat dem entschieden und ebenso engagiert entgegen. „Lincoln meint, der Neger sei sein Bruder. Ich glaube nicht, dass der Neger in irgendeiner Weise mit mir verwandt ist. Die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika wurde von Weißen etabliert, zum Nutzen der Weißen und ihrer Nachkommen, und in dem Bestreben, dass die Regierungsgewalt von Weißen ausgeübt und gelenkt werde. Der Neger muss für immer in einer untergeordneten Position bleiben.“

      Douglas beschwor die Apokalypse einer Gleichstellung der Farbigen, bis hin zu der unaussprechlichen Vorstellung, ein Neger könne um die Hand einer weißen Farmerstochter anhalten. Eine solche Vorstellung war selbst für die Gegner der Sklaverei absurd. Douglas drängte Lincoln somit dazu, zu definieren, wie dieser sich denn einen befreiten Sklaven vorstelle. Lincoln geriet in Zugzwang. Trat er für die völlige Gleichstellung