Michael Schenk

Für Freiheit, Lincoln und Lee


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Als er den ausbildenden Sergeant darauf ansprach, sah der ihn spöttisch an. „Willst du dich damit rasieren, Private? Der Säbel ist eine Stoßwaffe, mein Freund. Natürlich kannst du damit auch Hauen. So wie du gebaut bist, wird dir wohl auch gar nichts anderes übrig bleiben. Aber mit einem Hieb erreichst du nicht viel. Ein paar Beulen oder gebrochene Knochen. Wir sind hier keine mexikanischen Grenzbanditen, die alles aufschlitzen, was ihnen begegnet. Nein, mein Junge, ein sauberer Stoß, eröffnen und zurückziehen, und die Sache ist erledigt. Da ist eine scharfe Klinge nur hinderlich. Außerdem haben wir gerne ein paar Gäule im Regiment, die noch einen vollen Satz Ohren haben.“

      Da war etwas Wahres dran. Denn beim Säbeldrill zu Pferd, wenn der Säbel aus der Scheide zischte, musste man darauf achten, ihn gerade nach oben zu zücken. Die fehlenden linken Ohren etlicher Kavalleriepferde wiesen darauf hin, dass dies nicht jedem auf Anhieb gelang.

      Der Sergeant zeigte es ihnen und er drillte sie unbarmherzig, bis sie die Waffe beherrschten. Besonders überzeugt war Karl trotzdem nicht. „Äh, Sergeant, das mit dem Säbel ist ja ganz nett. Aber wäre es nicht sinnvoller, wenn wir ein paar ordentliche Pistolen oder Karabiner hätten?“

      Der Sergeant sah ihn an, als mache er sich ernsthafte Sorgen um Karls Gesundheit. „Junge, fühlst du dich nicht wohl bei uns? Möchtest du lieber zu den Dragonern? Oder zu den Fußlatschern von der Infanterie?“

      „Äh, nein, Sergeant“, stammelte Karl verwirrt. „Es, äh, gefällt mir ganz gut hier.“

      „Fein, mein Junge, fein.“ Der Unteroffizier blickte die Gruppe an, die schwitzend vor ihm stand. „Möchte noch jemand in der Gegend herumknallen? Nein? Na, keine Sorge, Schießeisen bekommt ihr auch noch. Weiß einer von euch, wie weit ein Infanteriegewehr schießt? Ich meine, eine Entfernung bei der so ein Ding noch trifft?“

      „So um die 180 Meter“, meldete sich ein anderer Private.

      „So um die 180 Meter“, wiederholte der Sergeant bedächtig. „Und ein guter Infanterist, sofern es so etwas überhaupt gibt, kann drei Schuss in der Minute abfeuern, wobei seine Muskete kaum auf hundert Meter ernstlich trifft.“

      Karl hätte dem Sergeant gerne ein Bataillon englischer oder preußischer Linieninfanterie vorgeführt, dann hätte der Unteroffizier sicherlich anerkannt, dass es verdammt gute Infanteristen gab. Und das waren nicht einmal Schützenregimenter. Aber es war jetzt sicher nicht der Zeitpunkt, den Sergeant zu unterbrechen. Es gab sicher ein paar Latrinen zu reinigen oder Ställe auszumisten, und der Sergeant sah so aus, als könne er sich bei einem Widerspruch an diese Tatsachen erinnern.

      „Also, Jungs, 180 Meter und drei Schuss in der Minute. Was meint ihr, wie schnell ihr bei vollem Galopp diese Distanz überbrücken könnt? Im Schritt reitet ihr 90 Meter in der Minute, im Trab sind es 180 Meter und beim Galopp 360 Meter. Eine halbe Minute, Jungs, dann sind wir in der Infanterie. Die kommt zu zwei Schuss, dann bekommt sie unsere Klingen.“

      Karl empfand das als etwas optimistisch. Sein Vater hatte damals in den napoleonischen Kriegen in der Landwehr gedient. Da hatte die Infanterie bei einem Kavallerieangriff einfach ein Viereck, ein Karree gebildet. Vier Seiten, die also nach allen Seiten feuern konnten und die Männer standen in vier Reihen, die nacheinander feuerten. Sein Vater hatte behauptet, kein Kavallerieangriff könne ein formiertes Karree zerschlagen.

      Der Sergeant schien allerdings doch nicht so unbedarft. „Natürlich kann sich die Infanterie zu einem Karree formieren. Was bedeutet, dass aus der langen Gefechtslinie ein Viereck wird und wir können den Schlammfüßlern nicht einfach in den Rücken reiten. Aber durch ein Karree haben die auch nur ein Viertel der Feuerkraft. Die Infanterie steht dann ziemlich dicht gedrängt, Jungs. Und dafür bekommen wir Rifle-Karabiner. Dafür sind eure hübschen Bandeliers da. Eine Salve in die dichtgedrängte Masse, die Klinge frei und hinein ins Getümmel.“

      „Haben Sie das schon mal gemacht, Sergeant?“, fragte einer der anderen Privates.

      Karl sagte sich, dass der Mann entweder Mut hatte oder Langeweile. Oder die Latrinen und Ställe schlicht vergessen hatte.

      Aber der Sergeant blieb ganz ruhig. „Ja, mein Junge, das habe ich. Gegen mexikanische Linieninfanterie. Aber ich denke, wir haben genug geschwätzt. Ihr wollt mich nur von der Arbeit abhalten. Also los, Männer, den Säbel in Grundstellung.“

      Nach einigen Wochen bekamen sie ihre Pferde. Pferde kannte Karl schon, nicht aber die mörderischen Sättel, welche die US-Kavallerie benutzte.

      Sie waren ganz neu und Sergeant O´Malley pries sie ihnen derart an, dass sie schon glaubten, der Hersteller gebe dem Unteroffizier eine Gewinnbeteiligung. „Nagelneu, Männer. McClellans. Wie ihr seht, unterscheiden sich die Sättel ein wenig von den bisher genutzten.“ Ja, das konnte man ohne Frage behaupten. Im Grunde bestanden die Sättel aus zwei Seitenteilen, die mit Stegen verbunden waren. Somit lag der Sattel auf dem Widerrist der Pferde überhaupt nicht auf. „Gute Sache“, sagte O´Malley, „das schont die Pferderücken.“

      „Aber nicht die Ärsche“, knurrte einer der Männer und er behielt Recht, obwohl er für diese Bemerkung die Latrine reinigte.

      Karl Baumgart und die anderen lernten auf die harte und schonungslose Weise, was man mit einem Pferd alles anstellen konnte und das in der Kavallerie das Wohl des Pferdes noch vor dem des Reiters kam. Sie lernten die Formationen und lebten förmlich nach den Trompetensignalen. Die Pferde waren manchmal besser als die Reiter. Ein guter Kavallerist mit einem gut trainierten Kavalleriepferd konnte mühelos bei der Parade im Sattel schlafen und die Bewegungen seinem Pferd überlassen.

      Bei der US-Armee schien alles durch Trompetensignale oder Trommeln und Pfeifen geregelt zu sein. Vom Wasserholen über den Stalldienst bis zum Gottesdienst. Für alles gab es ein besonderes Trompetensignal. Jede Kompanie hatte zwei Trompeter, die an ihren Uniformjacken zusätzliche quer verlaufende Litzen vor der Brust hatten. Am Anfang dachte Karl sich manchmal, dass diese besondere Uniform vielleicht nicht schlecht war. Ein aufmerksamer Feindschütze könnte den Lärm rasch beenden. Aber irgendwann ertappte er sich dabei, dass er die Trompetenklänge tatsächlich lieben lernte.

      Er lernte auch die verschiedenen berittenen Truppen der US-Armee zu unterscheiden. Die Kavallerie war eine sehr neue Waffengattung. Die beiden Regimenter der ersten und zweiten US-Kavallerie waren erst 1855 gegründet worden. Bis dahin hatte es zwei Dragonerregimenter und ein Regiment berittener Schützen gegeben. Die Uniformen waren im Wesentlichen identisch, nur dass die Dragoons Orange als Waffenfarbe trugen und die „Mounted Rifles“ Grün. Dragoner waren Reiter mit Schützenbefähigung. Sie konnten gleichermaßen zu Pferde und zu Fuß kämpfen, wohingegen die berittenen Schützen die Pferde nur benutzten, um rasch den Kampfplatz zu erreichen und dort abgesessen zu kämpfen. Die Kavallerie sollte nun jene Waffengattung sein, die ausschließlich zu Pferde kämpfte. Die Idee gefiel Karl. Er ging immer weniger gern zu Fuß. Leider musste er es oft tun. Selbst wenn eine Kavallerieeinheit ausritt, kam auf jede Stunde Reiten mindestens eine Stunde Fußmarsch, bei dem die Pferde geführt wurden.

      „Das hält sie jederzeit schön frisch für eine rasche Attacke“, erklärte O´Malley. Danach, wie frisch die Reiter waren, fragte er nicht.

      Das Regiment war in drei Schwadronen zu je vier Kompanien gegliedert.

      Jeden Morgen und Abend trat das Regiment an, die Vollzähligkeiten beim „Roll Call“ wurden überprüft und die Tagesbefehle ausgegeben. Kommandeur war ein Colonel. Albert Sidney Johnston, der Colonel des zweiten Kavallerieregiments, war ein preußisch wirkender Soldat, der die Paraden mit einer eleganten Selbstverständlichkeit abnahm. Ansonsten trat er kaum in Erscheinung.

      Anders war das mit seinem Stellvertreter, Lieutenant-Colonel Robert E. Lee.

      Lee war ein Gentleman mit angegrauten Schläfen und mit einer väterlichen Ausstrahlung. Die meisten Männer des Regiments wären wohl versucht gewesen, ihn „Daddy“ zu nennen. Was vor allem darauf zurückzuführen war, dass er sich um jeden Vorgang im Regiment kümmerte. Er hatte seine Augen überall und gehörte irgendwie zu den Offizieren, denen man das nicht übel nahm. Vor allem die taktischen Formationen schienen es Lee angetan zu haben. Nie hörte Karl, dass der Mann einen Untergebenen ungerecht oder unhöflich