Michael Schenk

Für Freiheit, Lincoln und Lee


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wir sollten es hier versuchen. Wenn wir bei Mainz über die Brücke sind, dann wenden wir uns nach Kaiserslautern rüber, durch die Pfalz.“ Er deutete auf die verblichene Kokarde an der Kopfbedeckung des Bruders. „Und den Hut solltest du zumindest abnehmen. Steck ihn dir sonst wo hin. Aber behältst du ihn auf dem Kopf, dann fehlt dieser dir beizeiten.“

      „In Mainz stecken auch die Preußen“, warf Karl ein.

      Friedrich zuckte die Achseln. „Wo stecken die nicht? Gott, es sind doch überall die Soldaten. Von welchem König oder Fürsten auch immer. Ich sage, wir ziehen durch die Pfalz. Die Mosel runter nach Westen. Hinab ins Saarland und ins Land der Franzosen.“

      „Und wenn wir rauf gehen, nach Hamburg? Und dort ein Schiff nehmen? Von dort fahren sie doch nach Amerika.“ Hans zupfte erneut einen Grashalm aus und begann darauf zu kauen. „Oder ins bayerische hinunter. Die Bayern sind keine Freunde der Preußen. Die haben sich ordentlich mit denen geschlagen.“

      „Auch die haben einen König“, knurrte Karl. „Von da müssten wir nach Toulouse oder nach Triest. Mann, wisst ihr überhaupt, wie gewaltig da die Berge sind?“

      „Lassen wir das. So oder so wird es hart.“ Friedrich erhob sich. „Wenn wir uns ranhalten, dann erreichen wir die Brücke nach Mainz in der Abenddämmerung. Da achtet man nicht so auf Gesichter. Und wenn wir erst im pfälzischen sind, dann schlagen wir uns ins Hinterland. Über Kreuznach nach Idar-Oberstein und Birkenfeld. Wisst ihr noch? Der Mayer? Der war Schleifer in Idar-Oberstein, bevor er nach Frankfurt kam.“

      Der Mayer? Ja, denn hatten die Soldaten auf der Barrikade vor der Paulskirche erschlagen. Aber die Brüder konnten sich noch gut an die dicke Hornhaut an seinen Daumen und Zeigefingern erinnern. Er war Edelsteinschleifer gewesen und, wie er sagte, ein guter.

      Friedrich war der Älteste und seine Brüder wussten es ohnehin nicht besser. So sattelten sie die Pferde wieder und ritten vom Hügel hinunter an den Rhein. Am Ufer verlief der Treidelpfad, wo man früher Boote den Fluss entlang zog. Man band starke Taue an die Boote und auf dem Pfad waren jene Menschen oder Ochsen gegangen, welche die Boote und Nachen dann den Fluss entlang zogen. Jetzt wurde der Pfad nur selten zum Treideln genutzt. Viele Boote verfügten bereits über den Dampfantrieb oder wurden von solchen mit diesem Antrieb gezogen.

      Die drei Brüder ritten, unterhalb von Wiesbaden an Biebrich vorbei, zur Brücke. Es war schon dunkel, als sie hinüber ins pfälzische ritten und sie waren froh darüber. Es waren Soldaten des Großherzogs auf der Brücke, doch die kümmerte es wenig, wer sie passierte. Friedrich war darüber erleichtert. Vielleicht auch die Soldaten. Vielleicht gefiel es denen auch nicht besonders, andere Leute totzuschießen.

      Die Brüder merkten rasch, dass sie auffielen. Drei abgerissene Bauernburschen auf Pferden, auch wenn dies Ackergäule waren, wirkten zu ungewöhnlich. Keiner von ihnen hatte Lust, die Aufmerksamkeit einer Patrouille von Soldaten oder Gendarmen zu erregen. Hinter Mainz fanden sie einen größeren Hof. Es schien eines der älteren Wehrgehöfte zu sein, denn eine stabile Mauer umgab die Anlage, in der sich Schießscharten befanden. Die mit Steinen gepflasterte Zufahrt war mit Stroh gestreut, um den Lärm eiserner Hufeisen oder Wagenräder zu dämpfen. Als sie durch den steinernen Torbogen ritten, sahen sie ein eingearbeitetes Wappen.

      Karl wollte instinktiv umkehren, doch Friedrich hielt ihn zurück. „Lass gut sein, Karl. Der Adel hat wenigstens genug Geld, um uns die Zossen abzukaufen.“

      Karl schnaubte durch die Nase. „Der Adel hat auch die Macht, uns die Pferde einfach abzunehmen.“

      Sein älterer Bruder zuckte die Achseln. „Gib du nur Acht, dass man deinen Hut nicht sieht.“

      Vor dem Gutshaus stand ein vierschrötiger Mann in derber, aber sauberer Kleidung. Er sah die drei Brüder kritisch an. „Verschwindet hier!“, rief er herüber. „Gesindel hat hier nichts verloren.“

      Es war wohl die verdächtige Kombination von Bauernburschen und Pferden, die den Mann misstrauisch machte.

      Friedrich hob beschwichtigend die Hände. „Wir wollen nichts Böses. Ein wenig zu Essen täte uns wohl, wir sind auf der Reise.“

      „Oder auf der Flucht“, knurrte der Vierschrötige. „Mein Herr wird nicht erfreut sein, euch hier zu sehen. Also, reitet vom Hof.“

      „Habt ihr Verwendung für die Pferde?“ Friedrich beugte sich auf dem Pferderücken vor und klopfte seinem Gaul gegen den Hals. „Es sind gute Arbeitstiere, wirklich.“

      „Gestohlen?“ Der Mann trat näher und Karl bemerkte drei andere, die aus einem angrenzenden Stall heraus traten. Sie hielten Mistgabeln in den Händen und machten durchaus den Eindruck, sie auch gebrauchen zu wollen.

      „Nicht gestohlen.“ Friedrich zuckte die Achseln. „Unseren Hof hat es erwischt. Lag bei Klarenthal, im hessischen.“

      Der Mann kniff die Augen zusammen und trat näher. „Ihr seid auf der Flucht. Gehört zu den deutschen Revolutionären, wie? Frankfurt?“

      „Auch“, sagte Karl automatisch, obwohl Friedrich ihn mahnend ansah.

      Der Mann lachte. „Dachte es mir. Kommen viele herum, in diesen Zeiten. Suchen Unterschlupf, bis sich alles beruhigt hat und wieder beim Alten ist.“ Er kratzte sich am Kopf. „Papiere für die Gäule habt ihr nicht, wie? Hätte mich auch gewundert. Aber es sind Arbeitspferde und gut beieinander. Aber wohl kaum von eurem Hof, wie? Dann wären eure Sachen besser, wie?“

      Friedrich taufte den Mann im Geiste auf den Namen „Wie“ und nickte. „Wir brauchen nicht viel. Ein wenig Geld für die Gäule und etwas für den Schnappsack.“

      „Steigt erst mal ab und geht in die Küche. Der Hagen wird sie euch zeigen.“

      Sie folgten einem der Knechte in die Küche des Gesindehauses. Sie konnten nur hoffen, dass „Wie“ es ehrlich mit ihnen meinte. Wahrscheinlich würden die Königlichen ein Kopfgeld auf jeden flüchtigen Demokraten ausgesetzt haben. Bei einem Batzen Gold hörte die Loyalität rasch auf, das musste man einfach akzeptieren.

      Der Vierschrötige kam nach einer Weile herein und setzte sich zu ihnen, sah zu, wie sie den heißen Eintopf in sich hinein schaufelten und kräftig vom Brot abbissen. „Ich kann euch zwei Taler geben. Tut mir leid, mehr ist nicht drin. Nicht ohne Papiere. Aber ich gebe euch was für den Schnappsack mit und ein paar Klamotten könnt ihr auch noch bekommen.“

      Als sie den Gutshof in Richtung Kreuznach verließen, befanden sich etwas Wurst und Brot in ihren Schnappsäcken. Friedrich hatte sogar eine neue Hose erstanden. Neu bedeutete, dass sie weit weniger Löcher aufwies, als seine alte. Aber sie waren recht zufrieden.

      „Wie“ hatte sie kurz ins Arbeitszimmer des abwesenden Gutsbesitzers geführt und ihnen eine Landkarte gezeigt. Friedrich fertigte eine einfache Skizze davon und „Wie“ nickte dazu anerkennend. „Solltest wohl Pfaffe werden, wie? Oder wie hast du sonst lesen und schreiben gelernt? Wart ihr auf der Schule?“

      Dafür hatte die Zeit nie gereicht, denn es gab immer etwas zu tun. Karl und Hans konnten sich zumindest die Schriftzüge der Städte und Ortschaften einprägen, die ihren Weg nach Frankreich markierten. Friedrich hingegen hatte den Vorzug genossen, dass seine Friederike gelegentlich ein Buch mit ihm gemeinsam las. Dabei war ihr aufgefallen, dass Friedrich sich Zeichnungen und Karten ungewöhnlich gut einprägen konnte und er zudem über ein außergewöhnliches räumliches Vorstellungsvermögen verfügte. An den Globus, im Arbeitszimmer ihres Vaters, waren sie ja nie herangekommen. Friederike hatte ihren Geliebten mit ins Wiesbadener Museum genommen und mit ihm begeistert die Karten in den Büchern mit dem dortigen Globus verglichen.

      So ganz hatte der Friedrich dem runden Erdball nicht getraut. „Warum fallen wir dann nicht auf der unteren Seite herunter?“, hatte er gefragt und damit endlich eine Frage erwischt, bei der auch Friederike nicht weiterwusste.

      Als die drei Brüder vom Hof gingen, hatte der Vierschrötige ihnen ermunternd auf die Schultern geklopft. „Lasst euch nicht erwischen, wie? Ich denke, in ein paar Wochen ist eh wieder Ruhe und die Truppen sind wieder in den Garnisonen. Ihr solltet einfach abwarten.“

      Sie