Michael Schenk

Für Freiheit, Lincoln und Lee


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auf den Weg nach Lyon. Sie mieden die Städte. Nicht aus Furcht, sondern weil sie sich dachten, Arbeit eher in den kleineren Orten und Gehöften zu finden. Doch in der Nähe von Lyon hatten sie unerwartetes Glück.

      Am Ufer der Rhone lagen mehrere Schleppkähne. Ein Teil davon war bereits mit Balken und Stämmen beladen. Am Ufer herrschte geschäftiges Treiben. Fuhrwerke brachten Stämme aus den Wäldern herbei und eine ganze Anzahl von Männern war damit beschäftigt, die Rinde von den Stämmen zu schälen und das Holz zu sägen. Es sah nach einer Menge Arbeit aus und man würde vielleicht ein paar zusätzliche Hände gebrauchen können.

      Sie wandten sich an einen wohlgekleideten Herrn, der einen feinen Wollanzug und einen der modischen hohen Zylinder aus Wollstoff trug, die eine typische konische Form aufwiesen. Der Mann hielt ein Buch und einen Stift in den Händen und schritt murmelnd zwischen den anderen Arbeitern einher. Zunächst bemerkte er die Brüder gar nicht oder beachtete sie zumindest nicht, doch als Friedrich sich ihm in den Weg stellte, blickte er unwirsch auf.

      Friedrich lächelte den Mann entwaffnend an. „Verzeiht, mein Herr, wenn wir Euch stören. Aber wir sind drei Burschen auf Wanderschaft und suchen Arbeit.“

      Sie konnten sich verständlich machen und der Mann nahm ihre Arbeitskraft gerne an. Unter seinen Arbeitern trafen sie unerwartet einen Landsmann.

      „Bernd Kahlmann“, stellte dieser sich mit breitem schwäbischen Akzent vor. „Ich bin Zimmermannsgeselle und war auf der Walz.“

      Als Walz wurden jene Jahre eines Gesellen bezeichnet, in denen er frei im Land herumzog und bei verschiedenen Meistern seines Berufes lernte, um sein Handwerk zu perfektionieren und somit selber zum Meister zu werden. Schon seit vielen Jahren wurden auf diese Weise die Techniken der Holzverarbeitung und Holzbearbeitung zu gegenseitigem Nutzen verbreitet. Bernd Kahlmann war Anfang der Zwanzig. Neben seinem breiten schwäbeln war sein ebenso breites Grinsen offensichtlich sein Markenzeichen.

      „Wie hat es dich ausgerechnet nach hier verschlagen?“, wunderte Friedrich sich.

      Kahlmann zog die Brüder ein Stück zur Seite, so dass der Mann im grauen Anzug sie nicht sehen konnte und setzte sich mit ihnen auf einen Stapel Hölzer. „Ist ganz einfach“, gestand er treuherzig. „Ich hatte Ärger mit dem Herzog.“

      „Warst du bei der Revolution dabei?“

      Bernd Kahlmann lachte auf. „Gott, nein. Ich habe im herzoglichen Schloss gearbeitet. War eine gute Arbeit. Gutes Essen und gutes Geld.“

      „Warum bist du dann fort“, fragte Karl wissbegierig. „Hast du etwas mitgehen lassen?“

      Kahlmann lachte erneut. „Eher im Gegenteil. Ich hab was dagelassen.“ Er sah ihr Unverständnis. „Die zweite Tochter vom Herzog. Sie hat einen dicken Bauch bekommen und das hat dem Herrn Papa nicht gefallen. Da bin ich lieber über die Grenze.“

      Karl grinste breit. Auch wenn er ein gottesfürchtiger Bursche war, so hatte auch er sein Auge für die Schönheiten des Lebens. Vor allem jenen, deren Formen so angenehm und weich waren. Friedrich nahm einen langen Schluck aus der angebotenen Weinflasche. „Und wo machst du hin, wenn das hier fertig ist? Wir wollen nach Amerika.“

      Bernd Kahlmann hatte eigentlich keinen besonderen Plan. Er sprach fließend Französisch und fühlte sich hier durchaus wohl. Es gab Arbeit, gutes Essen und schöne Mädchen. Es trieb ihn nicht weiter in die Ferne.

      Es dauerte mehrere Tage, bis die Kähne alle beladen waren. Bernd Kahlmann wies auf den Mann im Anzug. „Das ganze Holz geht runter nach Marseille. Dort bauen sie wie verrückt. Häuser und Schiffe. Fragt ihn doch nach einer Passage. In Marseille muss ja auch entladen werden. Vielleicht nimmt er euch mit.“

      Der Mann willigte ein. Er brachte sie zu einem stämmigen Franzosen, der sie zu einem der Kähne schob. Die Holzkähne hatten ganz vorne einen kleinen Mast mit einem Segel, doch hauptsächlich wurden die Schiffe durch lange Staken und die Strömung bewegt. Der Mann im Anzug verschwand. Er fuhr über Land mit einer Kutsche, während die Brüder, in Begleitung von Kahlmann, auf den Kähnen fuhren.

      „Was soll´s?“, sagte Kahlmann, als er auf den Kahn sprang. „Schöne Mädchen gibt es auch in Marseille.“

      Sie fuhren die Rhone herunter und es war eine der schönsten Landschaften, die sie je gesehen hatten. Kahlmann behauptete allerdings, das Tal der Loire mit seinen Burgen und Schlössern sei noch weit schöner. Trotz der Arbeit genossen sie die Fahrt. Ihre Aufgabe war nicht kompliziert. Die Stake ins Wasser, am Rumpf seitlich entlang laufen und dabei kräftig drücken, und am Bootende die Stake aus dem Wasser, wieder zum anderen Ende zurücklaufen und das Ganze von vorne beginnen. Es blieb genug Gelegenheit, dabei die Landschaft zu betrachten und eventuell den Kopf einzuziehen, wenn der kleine Mastbaum mit dem Segel herumschwang. Spätestens nach der ersten Beule hatte man den Dreh rasch heraus. Ein einziges Mal reagierte Friedrich zu spät und landete im Wasser, doch sie fischten ihn rasch genug heraus.

      Im Sommer 1850 erreichten sie dann tatsächlich Marseille. Jene Stadt, die der Nationalhymne der französischen Republik ihren Namen gegeben haben sollte. Die Stadt barst förmlich vor Leben und geschäftigem Treiben. Wo im Stadtkern noch die üblichen verwinkelten und engen Gassen vorherrschten, da wurde in den Außenbezirken eifrig gebaut. Marseille entwickelte sich von der Hafenstadt zu einer Industriestadt. Nur bei Frankfurt hatten die Brüder zuvor eine solche Anzahl rauchender Schlote gesehen. Doch sie trieb es zum Hafen, der für sie das Sprungbrett nach Amerika werden sollte. Je näher sie kamen, desto deutlicher wurde der intensive und ihnen ungewohnte Fischgeruch. Deutlich war das Wachstum des Hafens zu verfolgen. Von steinernen Molen und Kais führten neue hölzerne Anlegestege in das Hafenbecken.

      Eine scheinbar unüberschaubare Anzahl unterschiedlichster Boote und Schiffe bevölkerten den Hafen. Und selbst außerhalb des Hafenbeckens waren ankernde Schiffe zu erkennen. Zahlreiche kleine Boote pendelten zwischen den Wasserfahrzeugen, brachten Waren und Menschen, sogar Tiere an Land oder zu den Schiffen hinüber. Es gab eine große Zahl kleiner Fischerboote, doch diese interessierten die Brüder und Bernd Kahlmann wenig. Sie suchten nach jenen Schiffen, die über den Atlantik fahren würden.

      Ein Abschnitt des Hafens schien den Kriegsschiffen vorbehalten. Sie sahen eines der älteren Linienschiffe, mit seinen zwei längs verlaufenden Batteriedecks. Es war schwarz gestrichen und seine Stückpforten, hinter denen die Geschütze standen, waren ebenfalls schwarz lackiert, und hoben sich von den weiß gemalten Streifen der Batteriedecks ab, die sich am Rumpf entlang zogen. Seine drei Masten ragten unglaublich weit empor und ein paar Seeleute, die oben an den Rahen irgendwelche Segelarbeiten ausführten, erschienen winzig. Zwischen dem mittleren und dem hinteren Mast ragte ein dünner schwarzer Schornstein auf, der verriet, dass man das Linienschiff, es schien eines der klassischen 72-Kanonen-Schiffe zu sein, modernisiert hatte. Dennoch war seine Zeit vorbei. Der Bug des hölzernen Schiffes hatte noch die alte rundliche Form, mit dem weit nach vorne ragenden Bugspriet. Das Schiff schien teilweise entwaffnet worden zu sein, denn der Rumpf ragte über die Wasserlinie hinaus und man konnte den mit Algen und Muscheln bewachsenen Kupferbeschlag des Unterschiffes erkennen. Direkt daneben lag ein modernes Kriegsschiff. Eine der neuen Dampffregatten. Der Rumpf war schnittig geformt und dieses Schiff hatte keine Batteriedecks mehr. An seinen Seiten erkannte man die mächtigen Radkästen des Schaufelradantriebes, flankiert von vereinzelten Kanonenluken. Die Hauptbewaffnung bestand jedoch aus zwei größeren Geschützen, die offen auf dem Oberdeck standen. Auch dieses Schiff hatte noch Masten, doch die Schaufelräder und der Schornstein verrieten, dass die Segel höchstens noch in Notfällen gesetzt würden, wenn die Dampfmaschine ausfiel.

      Die beiden Schiffe führten die französische Trikolore. Doch dies war nicht die dominierende Flagge bei den großen Schiffen. Sie sahen die englische, holländische, portugiesische, spanische und preußische Fahne an den Hecks der Schiffe auswehen und etliche, deren Bedeutung sie nicht kannten. Eine fand Hans besonders hübsch.

      „Was ist das für eine?“, fragte er neugierig und zupfte Bernd Kahlmann am Ärmel.

      Der zuckte die Achseln und fragte einen Hafenarbeiter, der gerade eine Seekiste in ein Boot hob. Kahlmann lachte auf und schlug dem Mann kameradschaftlich auf die Schulter, half ihm, die schwere Kiste in das Beiboot