Michael Schenk

Für Freiheit, Lincoln und Lee


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Mann stellte sie neben den Eingang des Hauses, bevor er eintrat.

      Eine ganze Weile später trat Hans aus dem Haus, blickte zum Hang hoch, wo seine Brüder warteten und winkte unbefangen. Dann kam er zu ihnen herauf. Seine Brüder bestürmten ihn mit Fragen. Hans grinste sie an und öffnete seinen Schnappsack. Er hatte einen frischen Laib Brot darin und auch eine halbe Wurst und etwas Käse.

      „Der Junge hat dir wohl den Schneid abgekauft“, sagte Karl und biss herzhaft in ein Stück Wurst. „Was war da los?“

      „Der Bursche hat eine Schleuder und weiß damit umzugehen“, sagte Hans lachend. „Aber wir haben Glück. Sie haben einen Sohn, der war bei Struves Freischärlern.“

      „Ist nicht wahr.“ Karl sah auf den Hof hinunter. „Gott, ich hätte selbst hinunter sollen.“

      „Ja, mit deinem Zweispitz“, bestätigte Friedrich. „Beim nächsten Hof sollten wir das vielleicht machen.“

      „Beim nächsten Hof sind es vielleicht Königstreue“, warf Hans ein. „Dann würde es kein Brot geben, sondern Keile.“

      Friedrich leckte sich die Finger ab. „So, Brüder. Jetzt gehen wir hinunter zu ihnen und bedanken uns. Vielleicht können wir ihnen ein wenig zur Hand gehen.“

      Hans und Karl sahen ihn verwundert an. Doch dann nickten sie.

      So schlugen sie sich durch. In stillem Einvernehmen war der Vorsatz, notfalls zu stehlen, aufgegeben worden. Irgendwie schafften sie es immer, für Tagelohn zu arbeiten und eine Mahlzeit zu bekommen. Notfalls ernährten sie sich von den Früchten des Waldes und manchmal hungerten sie auch. Aber sie erreichten die Grenze zur Republik Frankreich und überschritten sie im Winter.

      Nach Süden hin hätten sie wohl über die steilen Gebirge und die wenigen Pässe gemusst. Doch hier war die Grenze von niedrigen Bergen, sanften Hügeln und Wald bestimmt. Es war leicht, die Grenzpatrouillen zu umgehen und französischen Boden zu betreten.

      „Die Wiege der Demokratie“, sagte Karl andächtig. Sie standen auf einem kleinen Berg, den sie gerade erklommen hatten und blickten auf das Land, das sich vor ihnen ausbreitete. „Hier hat sich das Volk zum ersten Mal gegen den König erhoben.“

      Friedrich schnaubte durch die Nase. „Amerika war´s. Ich hab es selbst gelesen. Da haben sich die englischen Kolonien gegen den König erhoben und ihre Freiheit erstritten. Gegen König Georg.“

      „Meinethalben.“ Karl betrachtete seinen rechten Schuh. Die Sohle hatte sich gelöst und Karl hatte sie mit zwei Streifen aus seinem Hemd an den Schuh gebunden. Doch der lange Weg, der sie bis hierher führte, hatte den Stoff förmlich zerrieben. Karls Schuhe waren kaputt und seine Füße wund, doch das erging seinen Brüdern nicht anders. „Wir brauchen Schuhe.“

      „Und was zu essen“, pflichtete Hans bei.

      „Und Kleidung“, ergänzte Friedrich. „Gott, wir sehen aus wie eine Räuberbande. Wie Schinderhannes persönlich.“

      „Dem seine Leute haben sich die Schuhe besorgt, wenn sie welche brauchten.“ Karl zog die fadenscheinige Jacke und sein Hemd aus und riss zwei neue Tuchstreifen ab. Sorgfältig befestigte er die Sohle aufs Neue.

      „Dafür haben seine Leute und er auch alle einen langen Hals bekommen“, knurrte Friedrich. „Hier wird es schwer für uns.“

      „Hier?“ Hans sah ihn fragend an. „Wieso hier? Hier jagt uns keiner mehr.“

      Friedrich blickte über das Land. „Kann einer von uns das französische? Seht ihr? Wie sollen wir unsere Arbeit anbieten, wenn die Leute uns nicht einmal verstehen?“

      „Ein paar werden das schon tun“, hoffte Karl.

      Der Älteste wies in das Tal hinab. „Dort hinten stehen ein paar Hütten. Zuerst müssen wir etwas zu essen bekommen. Lasst es uns dort versuchen.“

      Sie stiegen den Hügel hinab. Aus dem Klettern zwischen den Felsen wurde ein holperiges Gehen, als zwischen dem Geröll zunehmend Grün wuchs. Sie sahen eine kleine Schafherde nebst Schäfer, doch der Mann musterte sie derart feindselig, dass sie sich ihm nicht näherten. Bei dem Mann befanden sich zwei große Hütehunde, die einem zusätzlichen Bissen Fleisch nicht abgeneigt schienen.

      Die Gebäude vor ihnen waren klein, aber sauber bearbeitet. Es gab ein paar kleinere Felder, die bestellt wurden, und doch wirkte das Ganze nicht wie ein Gutshof. Als sie sich den aus Stein und Holz gefügten Hütten näherten, hörten sie den dünnen Klang einer Glocke und entdeckten ein paar Gestalten in langen Kutten, die sich zwischen den Gebäuden bewegten. Eine von ihnen winkte den Brüdern freundlich zu.

      „Wir haben Glück“, sagte Friedrich erleichtert. „Das sind Klosterbrüder. Ich weiß zwar nicht, was sie hier verloren haben, aber die werden uns im Namen Christi sicherlich helfen.“

      Als sie die Mönche erreicht hatten, wurden sie freundlich, wenn auch in unverständlicher Sprache begrüßt. Ein paar Brocken Französisch hatten die Brüder gelegentlich schon gehört, aber nie die Gelegenheit erhalten, die Sprache zu erlernen. Die Mönche trugen graue Kutten und Karl, den es schon immer am meisten zur Kirche gezogen hatte, hielt sie für Franziskaner.

      Die abgerissene und klägliche Erscheinung der Brüder machte ihre Lage deutlich. Das vernehmliche, wölfisch wirkende Knurren ihrer Mägen, mochte ein Übriges beitragen. Die Mönche schoben sie in das Gebäude mit der kleinen Glocke. Es war die Kapelle des kleinen Bergklosters. Sie verstanden Teile der lateinisch gelesenen Messe und konnten immerhin bei Gebet und Lied ein wenig mithalten. Danach folgten sie den Mönchen in eine andere Hütte und es gab einen Gemüseeintopf mit Brot und wundervoll klarem kaltem Bergwasser. Sie glaubten, nie zuvor etwas Besseres gegessen zu haben und langten ordentlich zu. Hans schaufelte begeistert einen dritten Holzteller voll, bis er bemerkte, dass die Mönche offensichtlich weniger zu sich nahmen, um ihre ausgehungerten Gäste satt zu bekommen. Errötend schob Hans den Teller von sich und murmelte eine Entschuldigung. Doch einer der Mönche lächelte nur und hob den Teller wieder vor den jüngsten der Brüder.

      Mit Händen und Füßen versuchte man Konversation zu betreiben. So schwer schien dies gar nicht zu sein. Einer der Mönche hatte die schwarz-rot-goldene Kokarde an Karls Zweispitz entdeckt und erklärte seinen Mitbrüdern wohl, was es damit auf sich hatte.

      Der Mönch legte plötzlich zwei Hände in der Geste des Schlafens an seine Wange. „France?“

      Friedrich ahnte, was der Mann meinte und schüttelte den Kopf. „Amerika.“

      Der Mönch lachte leise auf. „Ah. Amerique.“

      Die Nacht teilten sie eine der Hütten mit zweien der frommen Brüder und am nächsten Morgen spottete Karl gutmütig, das laute Schnarchen der Gemeinschaft würde mit Sicherheit jedes Raubtier vertrieben haben. Während sie sich am Brunnen wuschen, erschien einer der Mönche mit einem anderen, den sie zuvor noch nicht gesehen hatten.

      „Ich bin Bruder Markus“, stellte der Mann sich in fehlerfreiem Deutsch vor. „Das hier ist Bruder Philipe, der Abt unserer Gemeinschaft. Ich habe gehört, ihr seid auf dem Weg nach Amerika?“

      „Ihr seid Deutscher?“, fragte Friedrich erstaunt.

      Der Mönch lachte auf. „Nicht mehr. Jetzt bin ich ein Bote des Herrn. Aber es gab eine Zeit, da ich das Schwert geführt habe. Ich war bei der Kings German Legion. Im großen Krieg.“

      Der Mann mochte um die Sechzig sein. Vielleicht hatte er wirklich noch in den napoleonischen Kriegen gekämpft. Die Legion und ihr exzellenter Ruf waren bekannt. Als Napoleon das Haus Hannover überrannte, da waren viele deutsche Soldaten nach England geflohen. Sie hatten in der englischen Armee den Kampf gegen den französischen Kaiser fortgesetzt. Jene Deutschen gehörten damals zu den besten Truppen des englischen Königs und als der Kaiser geschlagen war, kehrten die meisten von ihnen in die Heimat zurück.

      „Ihr wart in England?“, fragte Hans neugierig. Er benutzte automatisch die höfliche Anrede in der dritten Person, denn Bruder Markus war noch immer eine respektheischende Person.

      Bruder