Michael Schenk

Für Freiheit, Lincoln und Lee


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von vier Pfund verschießen konnten. Friedrich war das egal. Ihm waren Kanonen zuwider. Vor allem Kanonen wie diese, die sehr gepflegt aussahen. So, als würde man damit rechnen, sie benutzen zu müssen.

      Die Verpflegung war nicht schlecht. Zumindest hatten sie schon übleres gegessen. Es gab Brot, Wurst, Käse und Fisch. Einmal am Tag kochte einer der Männer. Meist eine undefinierbare Masse, die an Haferschleim erinnerte und die undefinierbare Brocken enthielt. Aber es war essbar. Vor allem, wenn man hungrig genug war. Regelmäßig ließ der Kapitän Sauerkraut ausgeben. Die Brüder und Kahlmann erinnerte das wehmütig an die Heimat. Die anderen schienen es mit Widerwillen zu sich zu nehmen.

      „Gegen den Skorbut“, erklärte Lerousse. „Bei der Überfahrt nach Amerika werden wir auch Zitronen an Bord haben.“

      Skorbut war ihnen bekannt. Davon hatte auch Hauptmann Wenzel gesprochen, als er ihrer Kompagnie erklärte, auf genügend Kraut zu achten, da sonst die Zähne ausfallen könnten. Gott, sie hatten einige in der Freischar gehabt, die schon aus Altersgründen keine mehr besessen hatten.

      An die Schaukelbewegungen des Schiffes gewöhnten sie sich allmählich. Die ersten Tage konnte nur Hans sein Essen bei sich behalten und als er sich einmal gegen den Wind erbrach, lernte er auf die harte Weise, wie man es richtig machte. Aber das mit den Segeln, das war nichts für sie, da hatte Pierre Lerousse Recht. Lieber im Maschinenraum, mit seiner drückenden Enge und Hitze, Holz und Kohle schaufeln. Bei den Segeln, da ging es über dreißig Meter hinauf, bevor man die Rahen erreichte. Unter diesen zogen sich Leinen entlang, die sogenannten Fußpferde, auf welche die Matrosen ihre Füße stellten, wenn sie mit den Segeln arbeiteten. Oh, sie alle hatten schon auf Bergen gestanden, die weit höher als dreißig Meter waren. Aber die hatten sich nicht bewegt. Karl probierte es ein einziges Mal aus und versuchte nach oben aufzuentern. Schon auf halber Strecke krallte er sich in die Wanten und stierte mit aufgerissenen Augen auf Deck und Bordwand unter sich. Und das Wasser. Mal war das Deck unter ihm, mal hing er scheinbar frei über dem schäumenden Meer. Es brauchte zwei Männer, um ihn wieder nach unten an Deck zu bringen und während die Seeleute lachten, konnten die Brüder und Bernd seine Gefühle nachempfinden.

      Die Marbelle befuhr das Mittelmeer. Bernd Kahlmann kannte sich ein wenig mit den Sternen aus und wusste, dass sie nach Süden fuhren.

      „Das ist nicht der Weg nach Amerika“, sagte Friedrich nachdenklich. Soviel war ihnen allen klar. Sie hatten die Karten von Bruder Markus noch in Erinnerung.

      „Afrika“, sagte Bernd lakonisch. „Es geht nach Afrika.“

      Friedrich dachte daran, dass der Maat davon gesprochen hatte, sie würden auf der Weiterfahrt nach Afrika Zitronen an Bord haben. Wahrscheinlich lud die Marbelle in Afrika die dortigen Früchte. Er hatte keine Ahnung, ob sich damit Geld machen ließe. Zumal es in der Marbelle weiß Gott nicht nach Früchten roch.

      Obwohl sie das Mittelmeer befuhren und sie wussten, dass es eigentlich recht klein war, gemessen an den Ozeanen der Welt, begegneten sie kaum einem anderen Schiff. Dabei sollte das Mittelmeer dicht befahren sein. Doch nur zwei oder drei Mal sahen sie am Horizont Segel oder eine dünne Rauchfahne, die auf ein Dampfschiff hinwies.

      Abends kehrte eine friedvolle Stille auf dem Schiff ein. Manchmal war eine Fidel zu hören oder eine Flöte und auch Gesang. Dann standen die Brüder oft an Deck, lehnten an der Reling und sahen hinaus über das Meer und genossen den Sonnenuntergang oder die Pracht des Sternenhimmels. Das waren die Momente, in denen die Baumgarts und Bernd Kahlmann von Zuversicht erfüllt wurden.

      Sie waren auf dem Weg nach Amerika und in die endgültige Freiheit von jeglicher Knechtschaft und Abhängigkeit.

      Kapitel 3 Passage

      Der steinerne Kai am Dock wirkte übervölkert und der Träger hatte Mühe, dem Ehepaar Ganzweiler und ihrer Tochter Friederike zu folgen. Immer wieder wurde der Mann von anderen angerempelt, die den verschiedensten Verrichtungen nachgingen.

      Friederike verstand nicht viel von Seefahrt, obwohl sie einiges darüber gelesen hatte. Vor allem spannende Geschichten mit tapferen Seeoffizieren, die unschuldige Maiden vor blutrünstigen Piraten erretteten. Doch in solchen Büchern wurde immer von stolzen Segelschiffen geschrieben und Friederike fühlte sich verwirrt, wie sehr hier im Hamburger Hafen die Qualmwolken von Dampfmaschinen dominierten. Sie war das Zischen der Gaslaternen in den besseren Vierteln von Frankfurt gewohnt, doch der Lärm der Dampfmaschinen war um ein vielfaches lauter. Zudem roch es bei weitem nicht so gut, wie es in ihren Romanen immer beschrieben worden war. Der viel gerühmte Duft der See bestand aus einem Gemisch von fauligem Gestank und den Gerüchen von Teer und Kohlestaub, die sich mit denen der verschiedenen Ladungen, und dem von Obst und Gemüse mischten.

      Friederike rümpfte ein wenig die Nase und drehte unbewusst den Sonnenschirm in ihrer behandschuhten Hand. Sie irritierte nicht nur die Maschinen der mächtigen Schaufelraddampfer, die ihre Rauchfahnen aus dünnen Schornsteinen bliesen. Nein, erst vor wenigen Minuten war sie erschrocken zusammengefahren, als neben ihr eine Dampfpfeife schrillte. Sie hatte erstaunt gesehen, wie ein dampfbetriebener Kran seine Lasten aus einem Zubringerboot an Land hob.

      Es gab nur wenige Frauen hier im Dockbereich des Hafens und die eine oder andere mochte nicht zu jener Sorte Damen gehören, die sich eigentlich geziemte. Karolina, Friederikes Mutter, zog ihre hübsche und neugierige Tochter immer wieder hastig mit sich, wenn sie ein solches „loses“ Frauenzimmer zu Gesicht bekam.

      Es gab sicher nicht viele Männer, die sich nach einer Begegnung mit Karolina Ganzweiler gesehnt hätten, obwohl sie früher ein hübsches Mädchen gewesen sein sollte. Inzwischen hatte sie jedoch ebenso viel an Umfang gewonnen, wie an Liebreiz verloren. Es bereitete der fülligen Frau keine Probleme, in all dem Gedränge eine Gasse für sich und ihre Tochter zu bahnen.

      Sogenannte Schauerleute entluden Schiffe oder Fahrzeuge und trugen die Waren zum nächsten Transportmittel oder in die angrenzenden Lagerhäuser. Dazwischen waren die Uniformen von Matrosen und Schiffsoffizieren zu erkennen. Die Stimmen von Händlern oder Lagerverwaltern schienen alles zu dominieren. Ein Stimmengewirr unterschiedlicher Sprachen mischte sich, bei dem die deutschen Dialekte und das Englische vorherrschten. Einige Zollbeamte kontrollierten Warenstapel oder Papiere, und die Ganzweilers wichen einer Gruppe Männer aus, welche, mit Kohlenstaub bedeckt, Säcke voller Brennstoff für die Dampfmaschinen zu wartenden Booten trugen. Entlang des Kais lagen Dutzende von Schiffen, größere und kleinere. Nur wenige davon waren noch reine Segler, denn hier lagen überwiegend jene Schiffe, welche den Atlantik überquerten und das waren überwiegend Schiffe mit Dampfantrieb. Es gab einige davon, die zur Reserve auch noch eine Beseglung aufwiesen. Das Schiff, auf dem die Ganzweilers ihre Passage gebucht hatten, sollte einer der schnellen Postdampfer sein. Friederike freute sich auf die Reise mit dem Schiff, auch wenn ihr der endgültige Abschied von der Heimat ein wenig schwer fiel.

      „Ich hätte nicht gedacht, dass der Hafen so groß ist“, sagte sie fasziniert. „All diese Leute und diese Schiffe.“

      „Nun, mein Liebes, der größte Teil des Überseehandels kommt hier herein“, sagte Josef Ganzweiler geistesabwesend. „Und der größte Teil des Passagierverkehrs. Gott, wo ist bloß die verdammte Celeste?“

      „Josef.“ Es war nur dieses einzelne, leise und mahnende Wort, welches Karolina aussprach und das Friederikes Vater zu einem entschuldigenden Räuspern nötigte.

      „Äh, ja“, fuhr er nervös fort, „das Schiff muss hier irgendwo liegen.“

      „Ich könnte einen der Männer fragen“, erbot sich Friederike unbekümmert.

      „Kind.“ Es war derselbe Tonfall wie bei ihrem Vater, doch Friederike hatte eine gewisse Übung darin, ihn zu überhören, und bevor Karolina die Hand der Tochter fester packen konnte, hatte diese sich schon aus dem Griff gelöst.

      Es war heiß hier im Hamburger Überseehafen und die junge Frau schwitzte unter dem dicken Stoff ihres Reisekostüms und den vielen Lagen von Unterkleidern, die den Rock bauschten. Vorhin hatte sie im Hotel heimlich ihr Mieder ein wenig gelockert, damit sie wenigstens leichter atmen konnte. Friederike erblickte