Michael Schenk

Für Freiheit, Lincoln und Lee


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verstand die versteckte Drohung hinter den Worten. „Wir haben ihm nichts getan. Er ist doch sehr freundlich.“

      „Nein, ihr habt ihm nichts getan.“ Lerousse grinste. „Aber euresgleichen. Er war mal ein Mann von Bedeutung im Süden Frankreichs. Bis das Pöbel sich erhob. Heute ist er dort nur geduldet und oft nicht einmal das.“ Er musterte die Deutschen eindringlich. „Er hat Revolutionäre nicht unbedingt in sein Herz geschlossen, oui?“

      „Warum sagte er vorhin Yankees zu den Amerikanern?“

      Der Maat kratzte sich hinter dem Ohr. „Na, so ganz genau weiß ich es nicht. Aber so um 1630 wurde in dem Gebiet um New York eine holländische Siedlung gegründet. Neu Amsterdam. Damals gab es auch englische und schwedische Kolonisten. Die sagten zu den Holländern Jan Cheese. Jetzt sitzen dort die Amerikaner und alle die aus der Gegend kommen, nennt man nun Yankees. Ich persönlich glaube eher, es kommt von den Schreien, die ihre Maultiere ausstoßen.“ Lerousse lachte. „Jedenfalls sind die Yankees ganz schön stur, das werdet ihr noch feststellen.“

      „Sind wirklich so viele von uns drüben?“ Hans mochte es noch immer nicht ganz begreifen.

      „Ihr werdet euch wundern.“ Der Maat blickte kurz zum Heck. „Deutsche, Holländer, Iren und weiß Gott, wer noch alles. Aber genug geschwatzt. Macht euch an die Arbeit.“

      Sie nahmen die Eimer auf.

      An einem heißen Morgen tauchte im Sonnenglast, direkt vor dem Bug der Marbelle, ein schmaler Strich am Horizont auf. Der Ausguck oben im Mastkorb sah es als erster und rief es an Deck hinunter. Kapitän de Croisseux kam aus seiner Heckkajüte nach oben und trat neben das Ruder. Mit einem Fernglas blickte er voraus und nickte dann zufrieden.

      Plötzlich schien wieder eine zunehmende Anspannung über dem Schiff zu liegen. Die Marbelle steuerte die Küste an und folgte ihrem Verlauf.

      „Das also ist Afrika“, sagte Friedrich nachdenklich. Besonders beeindruckt war er nicht. Eher enttäuscht. Vor ihnen breitete sich eine steinige Küste aus. Teilweise hohe und schroffe Klippen, die allmählich in flachere Strände übergingen. Es war kaum Grün zu sehen.

      „Marokko“, sagte Pierre Lerousse. „Wir sind jetzt ungefähr in Höhe von Beni-Saf und fahren östlich auf Oran zu. Wir werden bald an Land gehen.“

      „An Land gehen?“ Karls musterte die Küste. „Gott im Himmel, hier ist doch nichts zu holen. Hier gibt es nichts. Kein bisschen Grün, keine Ansiedlung und keine Menschen.“

      „Mehr als ihr denkt“, lachte Lerousse. „Mehr als ihr denkt. In diesem Moment werden wir sicher von mehr Augen beobachtet, als wir an Bord haben.“

      Unter dem leisen Stampfen ihrer Maschine und begleitet vom Rauschen der Schaufelräder glitt das Schiff in langsamer Fahrt an der Küste entlang. Eine etwas dunklere Stelle tauchte in der Küstenlinie auf und de Croisseux rief ein paar Kommandos. Der Bug der Marbelle schwang ein wenig herum und schob sich näher an die Küste heran. Aus der dunklen Stelle wurde ein Einschnitt, der ins Land hineinzuführen schien. An den Deutschen vorbei hastete ein Besatzungsmitglied, das eine lange Leine mit dem Lotblei mit sich führte. Sie sahen, wie der Mann frisches Wachs in das unten offene Senkblei füllte und dann zum Bugspriet ging. Er trat auf die darunter befindlichen Rüsten, schwang die Leine und ließ das Blei ins Wasser klatschen. Die Leine glitt durch die Hände des Mannes und man konnte deutlich die Knoten erkennen, die sich in regelmäßigen Abständen in ihr befanden. Der Mann rief etwas nach hinten und de Croisseux nickte sichtlich zufrieden.

      Die Fahrt wurde noch langsamer. Der Kapitän trat an den Rudergänger heran und übernahm selbst das Steuerrad. Lerousse ging gemessenen Schrittes nach vorne zu dem lotenden Matrosen. Als das Blei aus dem Wasser auftauchte, betrachtete der Maat das Wachs an seiner Unterseite und betastete den daran klebenden Sand. Dann klatschte das Lot wieder ins Wasser. Langsam schob sich die Marbelle in den Einschnitt und vor ihnen öffnete sich eine kleine, abgeschiedene Bucht mit weißen Stränden. Ein paar Palmen wurden sichtbar und am Ende der Bucht ein hölzerner Steg und ein paar Hütten. De Croisseux ließ die Maschinen im Leerlauf fahren und das Schiff glitt, nur durch seine Eigenbewegung, durch das klare Wasser. Man konnte den Schatten des Schiffes auf dem Grund der Bucht erkennen. Ein paar Fische eilten geschäftig umher und wichen hastig aus, wenn der Schatten auf sie fiel.

      Lerousse schaute angespannt auf den Schatten unter ihnen, der sich verkürzte. Er blickte kurz zum Heck und bemerkte dabei die interessierten Blicke der Brüder und Kahlmanns. „Sandet schnell zu, die Bucht. Müssen Acht geben, dass wir nicht auflaufen. Das könnte sehr peinlich werden, oui?“

      Man musste neidlos anerkennen, dass die Crew das Schiff beherrschte. De Croisseux brauchte nicht in der kleinen Bucht zu ankern und mit dem Beiboot zum Ufer zu fahren. Gekonnt legte die Marbelle an dem Steg an. Sofort sprangen Besatzungsmitglieder auf die hölzernen Bohlen und legten Leinen über die aufragenden Balken. Als das Schiff zur Ruhe kam, ächzte der Steg protestierend, doch er hielt.

      Sie blickten auf den Steg und die Hütten, die im Hintergrund sichtbar waren. Alles wirkte verlassen und heruntergekommen. Die Hütten lagen im Schatten eines kleinen Palmenhains und ihre Lehmwände und Strohdächer hoben sich deutlich vom Hintergrund ab. Doch keine Bewegung war zu erkennen.

      „Willkommen in Ashouff“, sagte Lerousse grinsend. „Sieht aus wie der Arsch der Welt, nicht wahr?“ Der Maat lachte auf. „Aber ich sage euch, es ist ein goldener Arsch. Kommt mit, wir müssen uns ausrüsten.“

      Der Maat ging mit ihnen nach hinten und der Kapitän begleitete sie in seine Heckkajüte. Sie sahen das Allerheiligste des Kapitäns zum ersten Mal. Die Kajüte war niedrig und sie mussten die Köpfe einziehen, um nicht an die Decksbalken zu stoßen. Ansonsten war die Kajüte erstaunlich geräumig. Sie ging über die gesamte Breite des Schiffes, und das gesamte Heck und ein Teil der Seiten waren verglast. Der Schliff des Glases war nicht einwandfrei und seine Schlieren verzerrten den Hintergrund. Durch ein Oberlicht fiel Licht von oben, direkt auf einen wertvoll gedrechselten Schreibtisch. Ein dicker Teppich bedeckte den Boden und sie sahen zwei mit samt bezogene Stühle sowie die Koje des Kapitäns.

      In der Koje lag eine schwarzhäutige Frau. Die vier Deutschen stierten sie gleichermaßen geschockt und ungläubig an. Keiner von ihnen hatte geahnt, dass sich ein weibliches Wesen an Bord befand. Die Frau war für sie ein unglaublicher Anblick. Nicht nur, weil sie scheinbar vollkommen nackt war und sich offensichtlich nichts daraus machte, sondern weil ihre Haut tiefschwarz war. Nie zuvor hatten sie einen Menschen mit einer solchen Hautfarbe gesehen.

      Noch bevor sie etwas sagen oder fragen konnten, zerrte Lerousse sie zu einem Schrank an der Seite der Kajüte, den der Kapitän aufschloss. Gezielt nahm de Croisseux eine Reihe von Waffen heraus und gab sie den Brüdern und Bernd Kahlmann.

      Verwirrt betrachtete Friedrich die Pistole und das ungewohnte Entermesser, dass der Kapitän ihm gab. „Waffen? Ich... wieso sollen wir Waffen...?“

      „Dies ist ein gefährliches Land und unsere Geschäftspartner sind auch nicht ohne“, sagte der Kapitän trocken. „Es ist besser, vorbereitet zu sein. Dann kommen sie gar nicht erst auf dumme Gedanken.“ Er bemerkte die Blicke, die sie der nackten Frau zuwarfen. „Das Privileg des Kapitäns. Für euch werden sich andere Gelegenheiten ergeben. Doch nun an Deck.“

      Bernd Kahlmann warf erneut einen Blick auf die Frau. Was hatte sie hier zu suchen? „Wer ist das? Sie sieht... ungewöhnlich aus. Ihre Nase und ihre Lippen...“

      „Afrikanerin“, sagte Lerousse, als erkläre dies alles. „Schöne volle Lippen, nicht wahr?“ Er lachte auf. „Manchmal sind sie besonders voll.“

      Lerousse griff sich in einer eindeutigen Geste in den Schritt und die Männer begriffen errötend, was er damit meinte. Lerousse sah ihre Verlegenheit, lachte erneut auf und schob sie aus der Kajüte. Nervös standen sie dann an Deck und befingerten die Waffen. Auch die anderen Besatzungsmitglieder waren nun bewaffnet. Die meisten trugen die langen und breiten Entermesser mit dem Handschutz, einige hatten merkwürdig lange Gewehre.

      Der Maat wies auf die ungewöhnlichen Flinten. „Davor nehmt euch