Michael Schenk

Für Freiheit, Lincoln und Lee


Скачать книгу

Gibraltar hinter ihnen lag, verließ die Anspannung das Schiff und das Entsetzen begann. De Croisseux verließ die Brücke und ging in seine Kajüte, wohl um sich seinem Privatvergnügen hinzugeben, denn nun gab sich auch der Rest der Crew der Lust hin. Zwischen die Anfeuerungsschreie der Männer mischten sich die Entsetzensschreie und das Stöhnen der Frauen, die nun missbraucht wurden.

      Die Baumgarts und Kahlmann waren froh, an Deck Wache zu schieben. Zum ersten Mal durfte Friedrich dabei das Steuerrad der Marbelle führen. Doch er verspürte keine Freude daran, das Schiff in seiner Hand zu wissen, wenn er an das Grauen unter Deck dachte, und seinen Gefährten ging es ebenso. Aber sie waren hilflos, denn der Kapitän und sein Maat hatten alle Waffen wieder unter Verschluss genommen.

      Es mochte gegen Mitternacht sein, als es eine der Frauen irgendwie schaffte, an Deck zu gelangen. Friedrich stand hinter dem Rad und sah sie als erster. Auf ihn wirkte sie wie ein Gespenst aus einer anderen Welt. Der dunkle Körper, der sich gegen den Hintergrund schwach abhob, dazu das Weiß der Augen und der Zähne. Im schwachen Licht der Kompasslaterne konnte er ihre Nacktheit sehen und die Spuren, welche die Vergewaltigungen hinterlassen hatten.

      Sie sahen sich für einen Moment schweigend an, während auf dem Niedergang Tumult einsetzte. Mehrere Männer drängten nach oben, um das entflohene Opfer wieder einzufangen. Als einer von ihnen mit einem triumphierenden Aufschrei nach der Schwarzen griff, erwachte Friedrich aus seiner Erstarrung. Er schob sich zwischen Mann und Frau, stieß diesen nach hinten. Im ersten Moment war der Matrose erstaunt, doch dann überzog ein gehässiges Grinsen sein Gesicht. Ein drohendes Murren stieg von den anderen auf und Friedrich sah seine Brüder, die sich von der Seite zu ihm heran drängten. Von Bernd Kahlmann war nichts zu sehen.

      „Was ist hier los?“, klang die herrische Stimme des Maats auf. Lerousse tauchte aus dem Niedergang auf und sah sich um.

      Einer der Männer sprach hastig auf ihn ein, wies auf Friedrich und die schwarze Frau, die sich instinktiv hinter den Deutschen zurückzog. Dann fielen andere Stimmen ein, bis der Maat wütend die anderen niederschrie. Er blickte Friedrich und dessen Brüder kalt an und trat näher.

      „Nichts als Ärger, meine Freunde, oui?“ Er streckte die Hand aus und bevor Friedrich reagieren konnte, riss er die Schwarze an sich heran. „Wir können keinen Ärger auf der Marbelle brauchen, oui?“

      Der Franzose hielt den Kopf der Schwarzen in den Nacken gebogen und plötzlich blitzte eine Klinge. Blut spritzte hervor, traf den geschockten Friedrich, sprühte über Steuerrad, Kompassgehäuse und seine Brüder. Die drei Baumgarts standen wie erstarrt. Lerousse hielt die Tote aufrecht, schob das Messer wieder in seinen Gürtel und griff ungeniert an Brüste und zwischen die Schenkel der ermordeten Frau, bevor er sie achtlos fallen ließ. Das seltsame Klatschen, mit dem die Leiche auf die Deckplanken schlug, holte die Deutschen aus ihrer Lähmung.

      „Gott im Himmel“, sagte Friedrich tonlos. „Ihr seid Tiere. Ihr habt... habt diese Frau einfach... ermordet.“

      „Kein Streit an Bord“, sagte Lerousse langsam. „Vor allem nicht wegen einer Niggermöse. Wir haben genug davon an Bord.“ Er sah auf die verkrümmt liegende Leiche. „Fast schade. Sie fühlte sich recht gut an. Die hätte guten Gewinn gebracht.“

      Friedrich stürzte vor, spürte einen heftigen Hieb und dann versank die Nacht um ihn in tiefer Finsternis.

      Er konnte nur ein paar Minuten bewusstlos gewesen sein. Als er zu sich kam, lag er neben der Heckreling und seine Brüder knieten bei ihm. Die anderen Männer waren verschwunden.

      Pierre Lerousse stand am Rad. Er blickte Friedrich abschätzend an. „Ah, wieder wach, mein Freund?“

      Der Maat wandte Friedrich sorglos den Rücken, während dieser sich mit Hilfe der Brüder ächzend erhob. „Ihr habt nun zwei Möglichkeiten, meine Freunde. Ihr fügt euch und geht in Amerika eures Weges, ohne dumme Dinge über die Marbelle zu sagen, oder ihr werdet sang- und klanglos über Bord gehen.“

      Friedrich sagte nichts. Die Selbstverständlichkeit der Drohung hätte ihn eigentlich nicht schockieren dürfen. Im Grunde war er sogar eher überrascht, dass er und seine Brüder überhaupt noch lebten.

      Vor ihnen auf dem Niedergang ertönten erneut Schritte und schon sah Bernd Kahlmann sie grinsend an. Dieser schien überhaupt nicht mitbekommen zu haben, was sich an Deck ereignet hatte. Der Zimmermannsgeselle lachte Lerousse an und die Brüder sahen, wie ihr Freund seine Hose zuknöpfte. Dann lachte er auf und zuckte die Achseln. „Auch nicht anders, als die Tochter eines Herzogs.“

      Friedrich erbrach sich über die Reling und seine Brüder stützten ihn.

      So ging die lange Reise weiter und die Brüder waren sich an keinem der Tage sicher, ob sie lebend an ihrem Ziel ankommen würden. Die Marbelle befuhr nun den atlantischen Ozean. Manche Tage waren ruhig und die Baumgarts hätten die Fahrt genießen können, wäre ihnen nicht immer wieder bewusst geworden, auf was für einem Schiff sie sich befanden. Es wurde ihnen immer wieder vor Augen geführt. Etliche der afrikanischen Frauen wurden von der Mannschaft der Marbelle vergewaltigt, und nur die Gewissheit, damit Selbstmord zu begehen, hielt die Brüder davon ab, dagegen einzuschreiten. Sie sonderten sich von den anderen ab, so gut es ging, und versuchten, die Augen vor dem Elend und der Not zu verschließen. Gelegentlich wurde ein lebloser Körper über Bord geworfen, doch das geschah selten. Das schwarze Gold war zu kostbar, um sinnlos verschwendet zu werden. Der Hass der Geknechteten im Unterdeck schien selbst durch die Bohlen der Deckbeplankung spürbar und schließlich riskierten es selbst die Berber nicht mehr, sich alleine zu den angeketteten Gestalten zu begeben.

      Neben dem inneren Ansturm ihrer Gefühle lernten die Deutschen auch die Stürme des Ozeans kennen. Der Kapitän und die Crew schienen ein Gespür dafür zu haben, aber für die Deutschen war es überwältigend, wie rasch der klare Himmel plötzlich schwarz wurde, und dann Blitze zuckten und peitschende Wellen das kleine Schiff herumzuwirbeln schienen. In solchen Momenten waren sie nicht die einzigen, denen es übel wurde. Auch wenn sie die Männer der Mannschaft aus tiefster Seele verachteten, so mussten sie doch deren Mut anerkennen. Klaglos hingen diese Seeleute in der Takelage, auch wenn das Schiff weit zur Seite kränkte und die Matrosen frei über dem tobenden Meer hingen. Mehr als einmal schlugen die Brecher über das Schiff, spülten alles lose mit sich und wer an Deck war, der musste sich an den sogenannten Sorgleinen sichern, um nicht selbst zum Treibgut zu werden.

      Irgendwie überstand die Marbelle alle Unbilden und drängte unentwegt dem Kontinent Amerika und ihrem Ziel entgegen. Das Schiff brauchte für die Überfahrt fast zwei Monate und die Deutschen hatten keine Ahnung, ob das eine schnelle oder langsame Fahrt gewesen war, doch der Kapitän war offensichtlich zufrieden. Er blickte auf die Küstenlinie die vor ihnen auftauchte. „Amerika, meine Freunde. Ihr seid am Ziel. Im gelobten Land.“

      Sie hatten erwartet, eine tiefempfundene Freude in sich zu spüren. Friedrich fühlte sich hin und her gerissen zwischen Erwartung auf das Neue, was sich ihnen bieten würde und dem Ekel über das, was er zugelassen hatte. Aber er wusste, dass sie sonst nicht überlebt hätten. Die Marbelle glitt auf die Küste zu, als der Ausguck oben im Mast einen lauten Schrei ausstieß und auf die ferne Küste wies. De Croisseux trat an die Reling und hob sein Fernglas an Auge. Er stieß einen innigen Fluch aus. Dann grinste er die Baumgarts und Kahlmann an.

      „Zum Abschluss der Reise wird euch doch noch etwas Spannendes geboten.“ Er lachte leise auf. „Eine englische Dampffregatte. So wie es aussieht, eine der ganz neuen. Das wird ein aufregendes Rennen.“

      Die Marbelle beschleunigte und die langsame Annäherung des englischen Kriegsschiffes erinnerte an die Verfolgungsfahrt vor der afrikanischen Küste. Aber diesmal stand die britische Fregatte zwischen dem Sklavenschiff und seinem Ziel.

      „Wir sind noch außerhalb der amerikanischen Hoheitsgewässer“, knurrte Lerousse. „Die Engländer sind schneller und wollen uns abdrängen. Und sie sind darauf aus, uns zu entern.“ Er grinste sie an. „Sind vielleicht scharf auf das Prisengeld. Ein aufgebrachtes Schiff wird von der Admiralität verkauft. Da fällt was ab für die Crew, die das Schiff eingebracht hat.“

      Lerousse