Michael Schenk

Für Freiheit, Lincoln und Lee


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ist die Celeste, Herr Leutnant?“, erkundigte sich Josef Ganzweiler.

      „Der große Dampfsegler, direkt voraus. Mit dem schwarzen Rumpf und den weißen Aufbauten“, erklärte Arguille bereitwillig. „Die R.M.S. Celeste ist erst vor vier Jahren in Liverpool vom Stapel gelaufen.“

      „Was heißt eigentlich R.M.S.?“, fragte Friederike und lächelte Arguille an. Sie bemerkte, dass er unter ihrem Blick leicht errötete. Zumindest vertiefte sich seine Bräune. Sie fand, dass ihm das gut stand.

      „Royal Mail Ship, königliches Postschiff“, erläuterte der Seeoffizier. Er räusperte sich und schien unter Friederikes Blick unsicher zu werden. „Wir fahren Liverpool, Hamburg, New York, und ich denke, wir dürften das schnellste Schiff auf der Strecke sein. Wir haben zwei Whittney-Pratt-Dampfmaschinen, die direkt auf die beiden Schaufelräder wirken. Wir können mühelos zwölf Knoten Dauergeschwindigkeit fahren.“

      „Und wofür haben Sie die Segel? Rahbesegelung, nicht wahr?“

      „Oh, Sie kennen sich gut aus, gnädiges Fräulein.“ Arguille sah Friederike überrascht an. „Ja, wir haben drei Masten mit Rahbesegelung. Nur für den Fall, dass mit dem Dampfantrieb etwas nicht in Ordnung ist.“ Er bemerkte Karolinas Blick und fügte rasch hinzu: „Nur für alle Fälle, aber ich versichere Ihnen, wir hatten noch nie Probleme mit den Maschinen. Sind äußerst zuverlässig.“

      „Hoffentlich wackelt das Boot nicht so wie dieses“, seufzte Karolina.

      „Schiff, Mama“, sagte Friederike automatisch. „Das da vorne ist ein Schiff. Das hier, das ist ein Boot.“

      „Hauptsache“, sagte Karolina, „es wackelt nicht so.“

      Kapitel 4 Erkenntnisse

      Die Sonne brannte unbarmherzig auf das Deck der Marbelle. Es war derart heiß, dass der Teer zwischen den einzelnen Planken weich wurde und an den Sohlen der Schuhe zu kleben begann. Friedrich Baumgart fragte sich unwillkürlich, wie die barfüßigen Besatzungsmit­glieder dies aushielten. Immer wieder wurden Eimer mit Wasser aus dem Meer gezogen und über die Holzplanken geschüttet. Zwischen den Masten war das Beiboot der Marbelle auf hölzernen Auflagen festgezurrt. Auch das Boot wurde immer wieder mit Wasser gefüllt. Lerousse erklärte ihnen, dass sich das Holz sonst derart verziehen könne, dass das Boot undicht wurde. Die einstigen Kanonenpforten des Schiffes waren geöffnet, damit etwas Luft in das überhitzte Zwischendeck gelangte. Den dunkelhäutigen Besatzungsmitgliedern machten die Temperaturen kaum etwas aus.

      „Berber“, knurrte der Maat der Marbelle. „Zähe Kerle. Aber wendet ihnen nie den Rücken zu, wenn ihr etwas Wertvolles in den Taschen habt.“

      Inzwischen schlenderte auch Kapitän Jean de Croisseux öfter auf dem Deck seines Schiffes entlang. Oft wirkte er in Gedanken versunken und es war bewundernswert, mit welcher traumwandlerischen Sicherheit er Leinen, Krampen und Ösen an Deck auswich. Er schien jeden Zentimeter seines Schiffes in- und auswendig zu kennen. De Croisseux hob sich deutlich vom Rest der Mannschaft ab. Er trug nun eine Uniform, wie die Brüder sich dies bei einem Seeoffizier immer vorgestellt hatten. Über der weißen Hose einen langen, zweireihig geknöpften dunkelblauen Rock und dazu eine weiche und ebenfalls dunkelblaue Schirmmütze. Den Rock hatte er offen und man erkannte darunter einen braunen Ledergürtel, in dem sich die obligate doppelläufige Pistole befand.

      Einmal hatte Karl behauptet, eine fremde Stimme gehört zu haben, aus der Kajüte des Kapitäns. Aber keiner der anderen hatte sie vernommen und Karl war sich zu unsicher, um de Croisseux danach zu fragen.

      „Was versprecht ihr euch von Amerika?“, fragte der Kapitän eines mittags unvermittelt, als die Brüder Baumgart und Bernd Kahlmann gerade dabei waren, im Schatten des Großsegels auszuruhen.

      „Capitaine?“ Friedrich sah den großen Mann irritiert an.

      De Croisseux lachte leise. Sein Alter war schwer einzuschätzen. Er mochte um die Fünfzig oder auch älter sein. Die langen Jahre auf See hatten ihre Spuren in seinem Gesicht hinterlassen. Sein rundliches Gesicht war von einem graumelierten Vollbart eingerahmt, über dem zwei blaue Augen blitzten. Er strahlte eine Freundlichkeit aus, die in krassem Gegensatz zu der Ausstrahlung stand, die von seinem Schiff und dessen übriger Mannschaft ausging.

      „Ihr hättet euch doch auch in der Republik niederlassen können.“ Er sprach das Wort Republik mit einem merkwürdig verachtenden Ton aus. „Warum zieht es euch nach Amerika?“

      Friedrich zuckte verwirrt die Achseln. „Also, eigentlich weil unser Hauptmann es erwähnt hat.“

      „Hauptmann?“

      „Wir waren seit 48 dabei“, erklärte Friedrich.

      „Auch in der Paulskirche“, sagte Karl eifrig. „Bei den Versammlungen.“

      „Bei den Versammlungen“, wiederholte de Croisseux mit monotoner Stimme. Er lachte leise. „Glaubt ihr wirklich an die Gleichheit der Menschen? An unveräußerliche Rechte?“

      „Äh, ja“, meinte Friedrich zögernd. „So ist es doch auch in Amerika, nicht wahr? Ich meine, die haben doch damals gegen den englischen König revoltiert und ihre Freiheit erstritten. Eben wegen der Gleichheit der Menschen. Da drüben, in Amerika, sind alle Menschen gleich und sie sind frei.“

      Der Kapitän lachte nun lauthals. Die Brüder sahen ihn verwirrt an, während dem älteren Mann die Tränen über die Wangen liefen. De Croisseux nahm seine Mütze ab, wischte sich das Wasser aus den Augen und setzte die Kopfbedeckung wieder auf. Dann sah er die vier Deutschen belustigt an. „Es ging nicht um die Freiheit. Es ging um die Steuern. Um Geld. Es geht immer nur um Geld. Habt ihr von der Bostoner Teeparty gehört?“ Er lachte erneut. „Die Yankees haben sich wegen der hohen Teesteuern empört und schließlich, aus Protest, im Hafen von Boston den englischen Tee ins Wasser geworfen. Das war der Auslöser.“

      „Mag sein“, sagte Bernd Kahlmann, „aber sie haben eine Unabhängigkeitserklärung, die gleiche Rechte garantiert.“

      Der Kapitän sah sie forschend an. „Ihr seid ja Deutsche, nicht wahr? Drüben gibt es viele Deutsche. Wisst ihr eigentlich, dass es nur an einer Stimme in der amerikanischen Nationalversammlung gelegen hat, und in Amerika würde man nun Deutsch sprechen? Die erste Fassung der sogenannten Unabhängigkeitserklärung wurde, glaube ich, sogar in deutscher Sprache verfasst.“

      „Ist das wahr?“ Hans sah de Croisseux mit offenem Mund an. „Das sind Deutsche?“

      „Nein, du Blödmann“, korrigierte Friedrich. „Aber es gibt dort halt viele von uns.“

      „Ja, viele“, stimmte der Kapitän zu. „Damals haben viele deutsche Einheiten auf Seiten des englischen Königs gekämpft. Meist gepresste Regimenter und viele von denen sind nach dem Krieg dageblieben. In der Freiheit.“

      Wieder fiel es Friedrich auf, wie der Kapitän das Wort Freiheit betonte. „Ihr haltet wohl nicht viel von der Freiheit und der Demokratie.“

      Der Kapitän wies über das Wasser. „Das hier, das ist Freiheit. Die See. An Land gibt es immer einen Herrscher. Egal ob er sich Kaiser, König oder Präsident nennt.“ De Croisseux spuckte aus. „Und immer bestimmt das Geld den Lauf der Dinge.“

      „Ihr klingt so, als wäret Ihr kein großer Freund von Amerika“, wandte Bernd Kahlmann ein.

      „Aber nein.“ Der Kapitän sah sie betroffen an und seine Geste wirkte aufgesetzt. „Ich bin ein großer Freund Amerikas. Ohne Amerika hätte ich wohl kaum mein Vermögen. Es ist fast schon eher meine Heimat, als Frankreich.“

      „Warum seid Ihr fort aus Frankreich?“, fragte Friedrich geradeheraus.

      Der Kapitän richtete sich ruckartig auf. „Das geht euch nichts an. Und nun genug gefaulenzt. Das Beiboot muss wieder bewässert werden.“

      Der Kapitän räusperte sich und ging zum Heck der Marbelle zurück.

      Pierre Lerousse