Michael Schenk

Für Freiheit, Lincoln und Lee


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dienten. Dort wurde musiziert, Theater gespielt oder diskutiert. Zahlreiche Kutschen und Fuhrwerke mit Waren vermittelten einen gelegentlich chaotischen Eindruck. Dazwischen Menschen, die geschäftig umhereilten oder gemütlich zu spazieren schienen. Vor allem die weiblichen Bewohner nahmen sofort die Aufmerksamkeit der Deutschen in Anspruch. Diese Frauen gingen nicht einfach, nein, sie schwebten förmlich über den Boden. Vor allem, wenn sie die weiten Röcke trugen, die von Reifen gestützt wurden. Keine dieser Damen war alleine unterwegs. Dabei war die Begleitung nicht unbedingt männlich. Oft waren es andere Damen oder Diener, die ihren Herrschaften folgten. Immer wieder sahen sie sauber gekleidete Schwarze, die bereitwillig Waren hinter den Frauen her trugen und alle möglichen Dienste verrichteten. Keiner von ihnen machte auf die Deutschen den Eindruck, als sei er besonders unzufrieden, was die Deutschen nach dem Erlebten überraschte.

      Am meisten jedoch verwirrten sie die Vorführungen in einem der Parks, wo eine Gruppe gastierte. Bunte Plakate wiesen auf Daniel Decatur Emmets berühmte Virginian Minstrels hin. Sie hatten keine Ahnung, was das sein sollte, aber da viele Menschen hinüber strömten, schlossen sie sich an. Sie hörten beschwingte und fröhlich wirkende Musik und erkannten eine geschmückte Bühne, auf der Musiker zu sehen waren, dazu eine Gruppe von tanzenden und singenden Negern. Doch als sie näher kamen, stellten sie verblüfft fest, dass es sich überhaupt nicht um Schwarze handelte, sondern um weiße Männer, die sich mit Schminke und Perücke als schwarze Menschen ausstaffiert hatten.

      Die fröhliche Musik ging einem in die Füße und nicht wenige der Parkbesucher tanzten im Hintergrund, auch wenn sich die Vornehmeren zurückhielten. Zwischendurch ertönten auffordernde Rufe. „Dixie! Dixie!“

      Bernd Kahlmann vermutete sofort, es handle sich bei Dixie um eine besonders attraktive Sängerin, die gleich auftreten müsse. Aber er wurde enttäuscht. Der Leiter der Minstrelgruppe trat vor und kündigte ein unterhaltsames Stück an. Es nannte sich „United States Mail and Dixie in difficulties“. Der Inhalt war denkbar einfach. Es ging um einen ausgesprochen dummen Postboten. Natürlich einen Neger.

      „Wirklich“, hörten sie eine junge Dame sagen, „ich hätte nicht gedacht, dass man im Norden Sinn für solchen Humor hat.“

      „Es ist ein ganz neues Stück, meine Verehrte“, sagte ihr Begleiter. „Ich glaube, von den Sabine Minstrels in Portsmouth. Ich habe gehört, die Yankees nennen die Schwarzen alle Dixies.“

      „Ja, das passt“, sagte die Dame. „Dieser Bote Dixie ist wirklich unmöglich. Gott, mein Vater würde ihn sofort von der Plantage jagen lassen.“

      Ihr Begleiter lachte leise auf. „Die Yankees sagen zum Süden inzwischen schon Dixies Land.“

      „Empörend“, echauffierte sich die junge Dame. Sie wedelte aufgeregt mit einem zarten Fächer und drehte in der anderen Hand unbewusst ihren Sonnenschirm. „Wollen die damit sagen, wie seien ein Negerland?“

      „In gewisser Weise“, sagte der Mann.

      „Empörend“, bekräftigte die Dame. „Aber das passt zu diesen kulturlosen Barbaren aus dem Norden.“

      Der Mann lachte und griff in seine Brieftasche. Friedrich erkannte eine Banknote. Der Mann zeigte sie seiner Begleiterin. „Ich persönlich mag eher diesen Dixie.“

      Es war eine Zehn-Dollarnote die in New Orleans hergestellt wurde. New Orleans konnte seine französische Herkunft nicht verleugnen und im Französischen hieß die Zehn „Dix“. Die Dame sah ihren Begleiter ein wenig spöttisch an. „Sie haben eine Yankeementalität, mein Lieber.“

      Ihr Begleiter verbeugte sich und schob die Geldnote in die Brieftasche zurück. „Dann muss ich mich aus tiefstem Herzen bei Ihnen entschuldigen, meine Verehrteste.“

      Das Theaterstück war zu Ende und die Minstrelgruppe spielte „Jordan is a hard road to trabbel“, ein Lied, das offensichtlich religiöse Motive der Schwarzen aufgriff.

      Als die Brüder Baumgart und Bernd Kahlmann später in einer Ecke des Parks Platz nahmen, waren sie noch verwirrter als zuvor.

      „Ein merkwürdiges Land“, seufzte Karl. „Sie halten sich die Neger als Sklaven und zugleich verkleiden sie sich als Schwarze und spielen deren Musik.“

      Friedrich zuckte die Schultern. „Wir sollten uns jetzt eher darum kümmern, was wir in Zukunft machen. Wir brauchen etwas zu Essen, eine Unterkunft und Arbeit. In dieser Reihenfolge.“

      Ohne Geld würden sie all dies nicht bekommen, das wurde ihnen rasch klar. Sie hatten noch einen Goldtaler, doch der würde sie nicht weit bringen. Während sie ihre Zukunft diskutierten, schlenderten sie durch die Straßen, bis sie plötzlich verharrten, weil sie eine Stimme hörten, die ihnen bekannt vorkam.

      „Den kenne ich doch“, sinnierte Friedrich Baumgart. „Verdammt, ich habe die Stimme schon mal gehört.“

      „Du sollst nicht so lästerlich fluchen“, wies Karl ihn zu Recht. „Aber es stimmt. Ja, klar, dass ist dieser Mann, der an Bord der Marbelle kam.“

      Sie blickten auf und erkannten nun, dass sie vor einem hohen Gebäude standen, neben dem sich ein kleiner Platz befand. Es war nicht zu sehen, was dort vor sich ging, denn eine dichte Menge drängte sich dort und laute Rufe ertönten. An dem Haus befand sich ein sorgfältig gemaltes Schild.

      „Grummonds Auctionary“, las Friedrich vor. „Davon hat der Mann doch gesprochen, nicht wahr?“

      Sie konnten sich weit genug vordrängen, um zu sehen, was auf dem Platz stattfand. Es war eine Sklavenauktion. Bewacht von etlichen Bewaffneten standen im Hintergrund die Schwarzen aus der Marbelle. Auf einer kleinen Bühne stand ein gut gekleideter Mann und führte die entführten Afrikaner einzeln vor. Einige der Neger wurden sofort gekauft, andere erst ausgiebig begutachtet. Muskeln und Gebiss wurden geprüft und eine weiße Lady fragte bei einem hageren Farbigen nach, ob er wenigstens als Zuchthengst tauge.

      „Unmöglich“, knurrte ein Mann neben den Deutschen. Er blickte auf und musterte sie. „Was ist? Noch nie bei einer Auktion gewesen?“ Er betrachtete ihre Kleidung. „Nein, wohl nicht.“ Der Mann machte sich Notizen, hob seine Hand und rief einen Betrag, mit dem er einen der Farbigen ersteigerte. Erneut sah er die Brüder und Kahlmann an. „Die Schwarzen sind mies behandelt worden, aber das kennen wir bei de Croisseux ja schon. Hat wohl Glück gehabt, dass überhaupt so viele von der Ladung überlebt haben. Die Leute muss man erst mal ordentlich anfüttern, bevor sie Gewinn bringen.“

      „Die brauchen die Peitsche, dann werden sie schon ordentlich arbeiten“, wandte ein anderer ein.

      Der Mann mit dem Notizbuch lachte auf. „Unsinn. Aber das passt zu Ihnen, George. Immer kräftig prügeln, nicht wahr? Kein Wunder, dass Sie kaum Gewinn erwirtschaften.“ Er sah die Deutschen an. „Nein, man muss sie gut behandeln. Gutes Essen und die Peitsche nur, wo es unbedingt sein muss. Die Schwarzen sind eine gute Kapitalanlage. Eine, die sich selbst vermehrt, wenn man sie vernünftig pflegt. Sucht ihr Arbeit?“

      Friedrich schüttelte automatisch den Kopf. Wer Sklaven hielt, konnte ihm wohl kaum eine rechte Arbeit bieten. Doch er sah irritiert, dass Hans bereitwillig nickte und auch Bernd Kahlmann kratzte sich zustimmend am Kopf.

      „Ich habe eine große Plantage in Virginia“, sagte der Mann mit dem Notizbuch. „Baumwolle und Melasse. Bringt guten Gewinn. Mit dem Schwung an Sklaven, den ich neu erstanden habe, werde ich auch noch ein paar Aufseher brauchen. Wie wäre es? Ich zahle fair und die Arbeit ist nicht besonders schwer.“

      Hans und Bernd sahen Friedrich an. „Na, was sagst du? Klingt doch nicht übel.“

      Friedrich schüttelte den Kopf und auch Karl schien nicht begeistert. „Nehmen Sie es mir nicht übel“, sagte Friedrich zögernd, „aber Menschen zu unterdrücken, das ist nichts für mich.“

      Der Mann sah ihn überrascht an. „Unterdrücken? Gott, wie sollen die armen Kreaturen denn sonst durchkommen? Sie werden nicht unterdrückt. Sie bekommen Arbeit, Unterkunft und Verpflegung und sogar Lohn.“

      „Lohn?“ Sie sahen den Mann erstaunt an. „Also, Geld für Arbeit?“

      „Ja,