Michael Schenk

Für Freiheit, Lincoln und Lee


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zwischen seiner alten Brille und dem Optikermeister hin und her. „Und das funktioniert? Sicherlich recht kostspielig, oder?“

      „Es funktioniert“, bestätigte Fürchtegott. „Sicher, es kostet ein wenig, mein Herr, aber es ist wohl preiswerter, denn zwei vollständige Brillen. Und zudem ungewöhnlich praktisch, werter Herr. Ihr braucht nicht zwischen zwei Brillen zu wechseln.“

      Der Kunde entschied sich für die Schildpattfassung und Gläser nach dem Franklinpatent. Als er ging, seufzte Friedrich leise und Fürchtegott lachte auf. „Ich weiß, ich weiß, mein Sohn. Eine schreckliche Arbeit. Wirklich schrecklich. Aber dafür hast du auch wieder etwas für den Demokratenclub, nicht wahr?“

      Der Bayer wies auf die beschädigte Brille, welche der Kunde dagelassen hatte. Friedrich zuckte grinsend mit den Achseln.

      New York war eine erschreckende und zugleich schöne Stadt. Wenn man durch die Straßen der City ging, mochte man kaum glauben, dass die ersten Siedler hier erst um 1600 begonnen hatten, ihre Häuser zu errichten.

      Die Stadt war ein krasser Gegensatz zu Charleston. Massige Steinbauten, die trotz ihrer Verzierungen und Säulen eine trotzige Atmosphäre vermittelten. Es gab wohlhabende Viertel und ausgedehnte Slums. Letztere überwiegend von den zahlreichen Einwanderern bewohnt, die im New Yorker Hafen aus Übersee eintrafen und dann irgendwie in der Stadt hängen blieben.

      Den weitaus größten Teil stellten die Iren, welche immer wieder, durch Hungersnöte in der Heimat, nach Amerika getrieben wurden. Aber es gab auch Mengen an Deutschen, Italienern und Menschen zahlloser anderer Nationen, bis hin zu gelbhäutigen Chinesen, die Friedrich nie zuvor gesehen hatte. In San Franzisko sollte es gar einen ganzen Stadtteil dieser merkwürdigen Menschen geben, welche ihre Augen stets zusammenkniffen, als schiene die Sonne zu grell, und die stets ein freundliches Lächeln zeigten.

      Die größeren Einwandererkontingente organisierten sich zu Gemeinschaften. Nicht nur aus Verbundenheit, sondern um sich behaupten zu können. Es gab Viertel in der Stadt, die fest in Hand von organisierten Banden waren. Friedrich hielt sich möglichst fern davon. Vor allem in Hafennähe wurde es oft sehr intim zwischen den streitenden Gruppen. Die Stadt hatte Industrie, doch bekannter war sie durch den Broadway, eine hölzerne Flanierstraße, an der sich zahlreiche Theater und Musikhallen befanden.

      Ihn zog es eher zum „Demokratieclub“ in der Kingston Road. Aus zweierlei Gründen. In diesem deutschen Debattierclub trafen sich vor allem jene, welche ihre Hoffnungen auf die deutsche Demokratiebewegung gesetzt hatten und schließlich in die Vereinigten Staaten von Amerika auswanderten Selbst Carl Schurz war dort gelegentlich zu Gast und bei der Gelegenheit hatte Friedrich dessen junge und hübsche Frau Margarete gesehen. Schurz war noch immer ein fesselnder Redner und glühender Verfechter der Demokratie. Zudem war er ein Held. Er hatte Kinkel gerettet. Gottfried Kinkel war einer der Führer der Revolution gewesen und Schurz hatte sich ihm 1848 ohne zu zögern angeschlossen. Gemeinsam hatten sie das Bonner Zeughaus gestürmt und waren in das pfälzische Volksheer eingetreten. Nach der Zerschlagung der Demokratiebewegung war Kinkel verhaftet worden und man kerkerte ihn im Zuchthaus Spandau ein. Als Schurz davon hörte, machte er sich in Verkleidung und mit falschen Papieren auf den Weg und es gelang ihm, seinen Freund zu befreien.

      Der Demokratieclub war nicht allein zum debattieren da. Hier sorgte man auch dafür, dass diejenigen, die es zu etwas Wohlstand gebracht hatten, einen Teil davon den Bedürftigen gaben. Friedrich und sein Meister steuerten Brillen dazu bei. Sie reparierten die alten Sehhilfen von Kunden, welche im Geschäft verblieben waren und vermittelten sie an jene, die sich solche Brillen eigentlich nicht leisten konnten. Das Material, welches sie zur Reparatur verwandten, ging von ihrem Gewinn ab, doch das nahmen sie gerne in Kauf.

      Der zweite Grund für Friedrichs Besuche im Demokratieclub war Friederike.

      Gott, wie sehr hatte er sich gefreut, als sie sich endlich wiedersahen und, trotz der missbilligenden Blicke von Karolina Ganzweiler, einander in die Arme sanken. Aber sie beide hatten gespürt, dass etwas anders geworden war. Für Friederike schien es eher die Erleichterung zu sein, sich nicht um Friedrich sorgen zu müssen. Sie schien Friedrichs Sehnen nicht wirklich zu erwidern. Er hatte es genau gespürt, als sie sich für den Abend verabredeten und sich im großen Park trafen. Friederike schmiegte sich bereitwillig in seine Arme, doch ihre Lippen hatte sie ihm verweigert.

      „Es ist alles noch so furchtbar neu“, hatte sie mit traurig wirkendem Lächeln gesagt. „Ich brauche Zeit, um mich an die neue Heimat Amerika zu gewöhnen.“

      „Aber an mich brauchst du dich doch nicht zu gewöhnen“, hatte er entgegnet und seine Lippen auf ihren Hals gelegt.

      Sie hatte es für eine Weile zugelassen, doch dann schob sie ihn von sich. „Friedrich, sei mir nicht böse, doch ich muss so viele Dinge bedenken. Ein neues Land, ein neues Heim und Mama geht es überhaupt nicht gut. Ich glaube, sie trauert um Frankfurt.“

      Eigentlich war es Friedrich ziemlich egal gewesen, ob Karolina trauerte. „Wir sollten deinen Eltern sagen, wie es um uns steht und ihnen reinen Wein einschenken.“

      Friederike Ganzweiler hatte sanft über seine Hand gestreichelt. „Friedrich, ich weiß einfach nicht, wie es um uns steht. Es ist so viel Zeit vergangen, verstehst du? Gib mir Zeit, wieder zu dir zu finden, ja?“

      Alles in Friedrich hatte sich nach ihr gedrängt und er hätte sie gerne gefragt, ob sie ihn denn nicht mehr liebe, aber er verspürte zum ersten Mal Angst, sie dies zu fragen. Was in Deutschland noch so selbst verständlich für ihn gewesen war, erfüllte ihn plötzlich mit Unsicherheit. Seine Gefühle waren noch immer stark für Friederike, doch ihm wurde klar, dass die ihren sich gewandelt hatten. Nein, er scheute davor zurück, sie nun direkt zu fragen. Vielleicht fühlte sie sich dann bedrängt, antwortete mit jenem Nein, das er unvermittelt fürchtete.

      Seitdem waren nun Jahre vergangen und Friedrich war bewusst geworden, dass er Friederike verloren hatte. Ihre Gefühle zu ihm hatten sich zu sehr gewandelt. Sie gingen miteinander aus, zu den Vergnügungsstätten, die den einfachen Leuten Entspannung versprachen, doch Friedrich wusste, dass Friederike ebenso am gesellschaftlichen Leben New Yorks teilnahm. Ihr Vater hatte sich auch in der neuen Heimat zu einem angesehenen Kaufmann entwickelt und Fuß gefasst. Doch Friederike wich einer Entscheidung aus und Friedrich hatte Angst sie zu drängen. Ein wenig waren sie wie Bruder und Schwester, und Friedrich Baumgart traf sie, so oft er konnte, versuchte, ihre Gefühle erneut zu erwecken. Alles in ihm sträubte sich dagegen, sie freizugeben. Sein Meister Fürchtegott versuchte unbeholfen, Friedrichs Aufmerksamkeit auf andere junge Damen zu lenken.

      Seufzend nahm Friedrich Baumgart die neue Schildpattfassung für den Kunden und ging hinter den Vorhang in die kleine Werkstatt. Sein Meister suchte in den gepolsterten Fächern nach den richtigen optischen Linsen. „Wir haben Glück, dass der Mann weitsichtig ist“, rief Fürchtegott und damit meinte er nicht die weise Vorausplanung des Kunden, sondern dessen Fehlsichtigkeit. „Wir haben noch ein paar Rohlinge. Aber wir müssen vorsichtig sein, ist kein Ersatz da. Ich muss unbedingt daran denken, neue zu bestellen. Am besten aus Italien. Die haben einfach noch immer den feineren Quarzsand.“

      „Wir müssen vorsichtig sein“, knurrte Friedrich leise. Fürchtegott war schon ein wenig zittrig. Nicht im Geiste, aber in den Knochen. Das Schleifen überließ er daher Friedrich. Also war es auch Friedrich, der behutsam mit den optischen Rohlingen umgehen musste.

      Er nahm die Glasrohlinge entgegen und betrachtete die bikonvexen Linsen. Sie waren gleichermaßen nach vorne und hinten gewölbt. Solche Linsen bearbeitete er lieber, als die nach innen gewölbten Gläser für Kurzsichtige. Die waren weit empfindlicher. Friedrich legte die Gläser auf die noch leere Brillenfassung und schätzte die Größe ab. Dann setzte er den Schleifstein in Bewegung und öffnete den Knebel der Wasserleitung. Wasser spritzte auf, als er das erste Glas gekonnt und mit dem richtigen Druck an den rotierenden Stein hielt. Inzwischen hatte er den Dreh heraus.

      „Gehst du heute Abend auch in den Club?“, fragte Friedrich seinen Meister, der inzwischen die alte Brille des Kunden untersuchte.

      „Nein, heute nicht. Ich werde in die Mechanic´s Hall gehen. Die führen ein neues Stück auf.“

      „Das