Dr. med. Günther Montag

Die Therapie entdeckt die Familie


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Wesentliche löst sich oft in nur einer Aufstellung, und bleibt gelöst. Bei manchen sind mehrere Aufstellungen sinnvoll, vom Nahen zum Früheren, von Gegenwartsfamilie zu Ursprungsfamilie, vielleicht dann noch zu einem zurückliegenden Geheimnis, das noch wirkt. Aber das zeigt die Zeit. Aber mindestens einige Monate Abstand zwischen den Aufstellungen ist wichtig.

      Wo finde ich Forschungsergebnisse?

      Für so tiefgreifende Veränderungen, wie sie hier beschrieben sind, sind die in der Forschung üblichen Fragebogentests nur ein unvollkommenes Werkzeug. Es gibt zunehmend Studien über Wirkungen von Familien-Aufstellungen. Am meisten überzeugt es im Normalfall, wenn wir jemanden kennen, der schon die Wirkung einer Aufstellung selbst erlebt hat.

      Was kann ich für Euch tun? Vergleich zwischen Ich- und Wir-Therapie

      Ich vergleiche die Verhaltenstherapie als Beispiel für die Heilversuche des „Ich“ mit der systemischen Therapie des Wir, hier greife ich als Beispiel im Wesentlichen das Familienstellen heraus.

      Beide haben Gemeinsamkeiten, sie sind verhaltensorientiert und praktisch. Sie haben aber auch große Unterschiede.

      Die systemischen tiefen Erkenntnisse über Liebe, Gewissen und Ordnung helfen zu verstehen, dass VT oft nicht wirken kann, wenn der Klient unter dem Einfluss tiefer Kräfte sein Symptom behalten will. Hier geht das Systemische weit über die Verhaltenstherapie hinaus, es macht sie durch die neu hergestellte Ordnung in der tiefen seelischen Schicht oft erst möglich. Manchmal macht es sie sogar überflüssig. Doch nicht alle Klienten sind dafür offen.

      Was haben persönliche und systemische Therapie gemeinsam?

      Da ich mich täglich mit beiden Wegen beschäftige, habe ich schon lange überlegt wie ich sie zusammenbringen kann. Es gibt viel Gemeinsames. Die VT hat einen systemischen Aspekt, denn sie ist auf unser Verhalten gegenüber Anderen ausgerichtet. Und das Systemische ist stark verhaltenstherapeutisch geprägt, denn es beobachtet Verhalten und dahinter wirkende Haltungen und hilft, sie zu verändern. Dieser Zusammenhang wird vielerorts erkannt. Zunehmend arbeiten Kliniken und Ausbildungsinstitute nach einem Ansatz der „systemischen VT“.

      Grundannahme: „gute Absicht“ des dysfunktionalen Verhaltens

      Beide Sichtweisen gehen im Prinzip von dem „Guten im Menschen“ aus – in der Sicht der VT bezwecken wir etwas Gutes durch unser kindliches Verhalten, denn wir möchten überleben – und auch im Familienstellen wird betont: „Kinder sind immer gut“ - denn sie tun alles, um dazu zu gehören. Sie möchten ein „gutes Gewissen“ haben. Das merkwürdige Verhalten, so sagt die VT und auch das systemische Denken, „funktioniert“ mit einer guten Absicht.

      Der weitgehende Verzicht auf Deutungen

      VT und systemische Therapeuten haben gemeinsam, im Gegensatz zu tiefenpsychologischen Verfahren: Sie gehen mit Deutungen sparsam um. Beide Richtungen würden sagen: Was hilft es wenn einer „durchanalysiert“ ist aber immer noch den gleichen Unsinn macht. Auf das Verhalten kommt es an, nicht auf das „warum“! In der VT gibt es das von der Verhaltensforschng stammende Modell der „black box“. Man stelle sich eine Laborratte im Labor in einem Labyrinth vor. , mit der ein Versuch gemacht wird. Wir ändern Bedingungen des Versuches und beobachten was die Ratte macht, wir können dabei aber nicht in die Ratte hineinschauen. Wir verzichten darauf uns viele Gedanken darüber zu machen. Wir beobachten nur das Verhalten. Die Ratte ist die „black box“. Im systemischen Arbeiten sind wir sparsam mit zu genauen Deutungen und Vermutungen – wie deuten nur so weit, als es zum lösenden Handeln führt. Was der Klient sagt (seine eigenen Deutungen) kann man meistens vergessen, da sie ablenken von der Lösung, da sie die Symptome aufrecht erhalten. Hätte seine Deutung geholfen, hätte er kein Problem mehr. Dagegen erkennt man eine gute Deutung daran: Sie enthält einen Hinweis auf die Lösung . Was für die Deutungen der Klienten gilt, ist zu oft auch für die Deutungen der Therapeuten wahr.

      Praktisch gesehen, wir fragen in und nach Aufstellungen nicht nach, achten Geheimnisse und das Geheimnisvolle in den Klienten und uns. In diesem Sinn ist auch die VT demütig – sie verneigt sich vor der black box.

      Im Vergleich dazu erscheinen mir manche tiefenpsychologische Deutungen zu sehr als an den Haaren herbeigezogen. Dazu festigen manche davon die Opferrolle der Klienten, indem sie nur auf „Defizite“ blicken.

      Das Denken in Bildern

      Was ist Denken? Ich habe mich mal an einer eigenen Definition versucht und fand keine bessere als „ich mache mir Bilder von den Menschen und Dingen, ich werte diese als gut oder schlimm“ Jede gute Rede, jedes gute Lied oder Gedicht zeigt uns: Gedanken erzeugen in uns Bilder. Oft habe ich Luise Ehrhardts Buch „gute Mädchen kommen in den Himmel, böse überallhin“ meinen Klienten zum Lesen empfohlen. Allein der Titel ist eine schöne Metapher, wer will denn nicht überallhin auf Reisen gehen und ankommen? Es geht in dem Buch um Selbstsicherheit: „Du musst ja nicht über Leichen gehen. Aber manchmal darfst du über Leichtverletzte gehen“. Auch dieser Satz wirkt weil er so bildhaft ist.

      Wir machen uns innere Bildern von den Eltern machen, die unsere Haltungen und Handlungen bestimmen. Falls diese Bilder Irrtümer, Tilgungen und Verzerrungen enthalten, ist unser Verhalten entsprechend „dysfunktional“. Um tiefer zu blicken, müssen wir an den Bildern vorbei bis zur Wirklichkeit, so wie sie ist. Auch die kognitive VT versucht, verzerrte Bilder und Gedanken in Frage zu stellen. Wir sollen dem einengenden oder Angst machenden oder bedrückendem Denken aufbauende lichte Gedanken und Bilder gegenüberstellen. Die ressourcenorintierte Traumatherapie benützt „heilende Gegenbilder“ um den Schreckensbildern des Traumas ihre Übermacht zu nehmen. VT-ähnliche Techniken des NLP benützen die Vorstellung von Bildern, die übereinandergelegt werden: Das vorne liegende unangenehme Bild bekommt ein Loch, das immer größer wird, und das dahinter liegende Bild eines sicheren schönen Ortes kommt mehr und mehr zum Vorschein.

      Der Blick auf die Beziehungen

      Bei diesen Bildern geht es vor allem um die Personen und den Beziehungsaspekt – zur Arbeitsstelle, zu den eigenen Kindern, zu den Partnern und den Eltern und darüber hinaus.

      Man könnte es sehr drastisch sagen: „du bist deine Eltern“ und „dein Erfolg / deine Arbeitswelt schaut dich an wie du deine Mutter anschaust“. Auch in der modernen VT gibt es immer mehr Tendenzen, Beziehungen und nicht nur das „Ich“ zu betrachten.

      Die heilsame Macht des Wortes

      Das hypnotische Element in Selbstinstruktion und Prozessinstruktion wird von beiden Verfahren anerkannt und verwendet. In der kognitiven VT werden Selbstinstruktionen herausgearbeitet (z.B. in der Depressionstherapie nach Roth und Rehm) die der Klient sich bedarfsweise selbst zuspricht. Im autogenen Training und in der progressiven Muskelrelaxation spricht der Klient, wenn er alleine übt, Worte wie ein Mantra wiederholt und rhythmisch aus („mein rechter Arm ist ganz warm...“) Die verhaltenstherapeutisch orientierte Hypnose in der Art des Milton Erickson ist ein im wahrsten Sinn des Wortes bezauberndes Beispiel dafür. Die in Familienaufstellungen immer wieder kreativ neu gefundene Lösungsworte können, mit innerer Sammlung ausgesprochen, eine unglaublich tiefe befreiende und stärkende Wirkung entfalten. Die äußerste Verdichtung ist die „Therapie in einem Satz“, wenn ein Helfer, im inneren Kontakt mit dem System eines Klienten, gleichsam inspirierte Worte spricht und sie dem Klienten mitgibt. Ein Beispiel:

      „Sag zu jemand: Wir beide!“

      Das Handeln und das Üben

      VT und Familienaufstellung sind beide,im Gegensatz zu tiefenpsychologischen Verfahren, auf das praktische Handeln ausgerichtet. Die Ziele in der VT sollen ebenso wie die Frage nach dem Anliegen beim Familienstellen konkret und praktisch sein. Milton Erickson fragte oft: „Woran wirst du merken, dass du dein