C. W. Badtke

Measure of Happiness


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und ich nickte.

      Der Pastor schritt durch die spärlich besetzten Reihen und trat nach vorne an die Kanzel. Seine kleinen, wässrigen Augen glitten über jeden Einzelnen der Kirchgänger. Meinen Eltern nickte er kurz zu, ehe er schließlich mit dem Gottesdienst begann. Meine Gedanken drifteten ab und ich war froh über jede verstrichene Minute. Selbst in den langweiligsten Vorlesungen konnte man sich besser wachhalten. Ich war mir nicht sicher, wie ich das achtzehn Jahre jeden Sonntag durchgestanden hatte.

      Als der Pastor endlich seinen Segen über die Gemeinde sprach, seufzte ich erleichtert auf und erhob mich als Erster. Dem empörten Blick meiner Mutter spürte ich im Rücken durch meinen Wintermantel hindurch, als würde sie mich erdolchen wollen. Doch weder sie noch ihr Blick konnten mich davon abhalten, eilig nach draußen zu gehen. Erleichtert atmete ich aus, als ich in der kühlen Winterluft stand und mich streckte. Von der harten Kirchenbank tat mir alles weh, vor allem meine Beine schmerzten. Diese Bänke waren einfach nicht für große Leute ausgelegt. Gwendolyn trat kurz nach mir aus der Kirche, zog ihre Haarspange aus den Haaren und schüttelte ihre langen Locken. Unsere Mutter mochte es nicht, wenn meine Schwester oder ich mit offenen Haaren in die Kirche gingen. Sie hatten die gleiche lockige Struktur aber Gwendolyns waren ein ganzes Stück länger als meine und glänzten in einem sanften Dunkelbraun, das sie von unserem Vater hatte. Meine hingegen waren hellblond, beinahe weiß und glichen der Haarfarbe meiner Mutter.

      Wir lehnten uns an die Mauer vor der Kirche und warteten darauf, dass unsere Eltern ihr Gespräch mit dem Pastor beendeten. Jetzt war es tatsächlich nicht mehr lange, bis ich mich endlich in mein Auto setzen und allem hier den Rücken zudrehen konnte.

      „Mum plant, dich bald zu besuchen. Im Januar wahrscheinlich“, meinte Gwen plötzlich.

      „Mit dir und Dad?“

      Sie lächelte. „Jep, mit Dad und mir. Wir wollen uns ein Hotel nehmen. Mum möchte endlich deine Unistadt kennenlernen. Und die Kirchen in der näheren Umgebung.“

      „Das sagt sie schon seit ich vor anderthalb Jahren umgezogen bin und es hat noch nie geklappt, Gwen. Wahrscheinlich wirst du deine zukünftige Unistadt nicht sehen, bevor du dann tatsächlich auch studierst.“

      Gwen lachte bitter. „Ich hoffe, dieses Mal klappt es. Du hast mir so viel von Jessy und Simon erzählt, ich würde sie gerne mal treffen.“

      „Das bekommen wir bestimmt noch hin“, sagte ich und lächelte aufmunternd, als unsere Eltern aus der Kirche traten.

      „Wir könnten dann auch mal shoppen gehen und deine Garderobe etwas auffrischen“, schlug sie vor und ich zog die Augenbraue hoch. So ein typischer Mädchenvorschlag konnte nur von meiner siebzehn-jährigen Schwester stammen.

      „Kommt, wir gehen nach Hause, dann gibt es noch Mittagessen, bevor du deine Heimfahrt antrittst, Samuel“, unterbrach meine Mutter unser Gespräch und ich stieß mich von der Mauer ab. Eines war mir klar, während wir nach Hause gingen: So schnell würde meine Familie sicher nicht bei mir auftauchen.

      Zwei Stunden später saß ich endlich im Auto, die Reisetasche auf dem Rücksitz, und winkte meiner Familie aus dem fahrenden Wagen zu, ehe ich um die Ecke bog und Richtung Freiheit fuhr. Die Musik stellte ich erst lauter, als ich die Ortschaft verlassen hatte und durch die grünen Hügel Englands brauste. Ich liebte die Heimfahrten. Sie gaben mir jedes Mal das Gefühl, vollkommen unabhängig zu sein und wieder in mein eigenes Leben eintauchen zu können. Meine Eltern wohnten etwa fünf Stunden von Needle entfernt. Die Zeit vertrieb ich mir mit all der Musik, die ich in der Woche zuhause nicht gehört hatte, um den Frieden im Haus zu wahren. Laute Metalmusik hallte aus den Lautsprechern und begleitete mich, bis ich in Needle ankam und den Motor abstellte. Mein Handy piepte und ich griff danach. Jessy hatte mir eine SMS geschickt.

      „Heute Abend Reunion! Keine Widerrede. 20 Uhr. Wohnheimparty!“

      Ich schrieb eine Zusage. Jessy sagte man nur mit gutem Grund ab, sonst wurde sie biestig. Im Anschluss schrieb ich meinen Eltern, dass ich angekommen war, griff nach meiner Reisetasche und stieg aus dem Wagen. Der Straßenlärm in Needle war in meiner Gegend zum Glück nicht sonderlich laut, aber doch deutlich präsenter als in meinem Heimatdorf. Wenn ich noch duschen wollte, musste ich mich ein bisschen beeilen, also sog ich nur kurz die gewohnten Eindrücke auf, ehe ich mich auf den Weg in meine Wohnung machte.

      Kapitel 2

      Zweifelnd stand ich vor meinem Kleiderschrank. Entgegen vieler Vorurteile, die Männer und ihre Garderobe betrafen, überlegte ich mir auch immer sorgfältig, was ich zu einer Party tragen sollte. Viel Auswahl hatte ich im Grunde nicht, insbesondere farblich. Schwarz an Schwarz. Ein dunkelgrünes Sweatshirt und ein weißes Hemd. Vielleicht sollte ich endlich mal Gwendolyns Angebot annehmen und mit ihr einkaufen gehen. Ich entschied mich schließlich für das dunkelgrüne Sweatshirt, dazu eine schwarze Jeans und schwarze Boots. Die Haare band ich wieder mit einem schwarzen Band zusammen. Ja, irgendwie sah ich tatsächlich aus wie der typische Philosophie- und Kunststudent.

      Ich nickte meinem Spiegelbild kurz zu und verließ dann mein Zimmer, um mich auf den Weg zur Party zu machen, die im Wohnheim nahe der Uni stattfinden würde.

      Die Musik hörte man bereits von Weitem und ich zweifelte stark daran, dass die Polizei heute Abend nicht auftauchen würde. Diese Wohnheimpartys nach Weihnachten waren ziemlich bekannt für ihre Lautstärke und ihre ausschweifende Art. Als ich ankam, warteten Jessy und Simon bereits am Eingang auf mich. Das war überraschend. Normalerweise war Jessy immer zu spät. Simon lehnte mit dem Rücken an der Backsteinwand, die Hände lässig in die Manteltaschen geschoben, Jessy hüpfte vor ihm auf und ab, offensichtlich war ihr kalt. Sie strahlte, als ich zu ihnen trat.

      „Na, Samuel, hast du Weihnachten überlebt?“, fragte Simon und klopfte mir zur Begrüßung auf die Schulter.

      „Gerade so!“, erwiderte ich seine Begrüßung und ließ mich von Jessy umarmen. „Und bei euch beiden?“

      „War schon okay. Es hätte wesentlich schlimmer sein können“, antwortete Jessy.

      „Ja, Tante Meldrid hätte noch betrunkener sein und sich noch mehr entkleiden können. Aber immerhin gab es Muffins mit Spekulatius“, murmelte Simon.

      Die beiden waren zweieiige Zwillinge und hätten tatsächlich nicht unterschiedlicher sein können. Trotzdem hielten sie zusammen wie Pech und Schwefel und nach allem, was ich mitbekommen hatte, hatten sie eine recht lustige Familie, die an solchen Festtagen gern etwas über die Stränge schlug. Halloween sollte bei Ihnen wohl der große Renner sein.

      „Dann lasst uns heute mal ausschweifend feiern, dass wir endlich wieder in unserem echten Leben sind!“, strahlte Jessy, hakte sich bei uns beiden ein und wir marschierten schnurstracks in das Wohnheimgebäude.

      Die Musik schallte uns entgegen, die ersten sehr angetrunkenen Menschen torkelten auf uns zu. Dabei war es erst elf Uhr. Ich war mir ziemlich sicher, dass es noch frische Erstsemester waren, die ihre erste After-Christmas-Party erlebten, und grinste. Wir gingen zuerst zur selbst gebauten Bar, wo uns Simon je einen Flasche Bier organisierte. Dann überblickte ich die Lage und betrachtete die einzelnen Gäste. Ziemlich viele sehr junge Mädchen in äußerst knappen Outfits. Und wenn ich knapp sagte, dann meine ich wirklich knapp. Ich war zwar nicht prüde, aber in manchen dieser Fummel würde ich Gwen nicht vor die Tür lassen. Simon schien das jedoch gar nichts auszumachen, er sabberte gerade zu. Und auch seine Schwester war sehr angetan von den vielen weiblichen Körpern, die sich halb nackt zum Takt der Musik bewegten. Zumindest das hatten die beiden gemeinsam: ihre Vorliebe für das weibliche Geschlecht. Jessys Eltern hatten es ziemlich locker aufgenommen, als sie ihre erste Freundin mit nach Hause gebracht hatte. Doch mit dieser war nun schon seit etwa vier Monaten Schluss und Jessy war nach jeder Menge Spaß zumute. Zum Glück waren sie und Simon sich dabei bisher noch nie ins Gehege gekommen. Das hätte Potenzial, einen bösen Streit zu provozieren. Aber bisher halfen sich die Zwillinge meist bei ihren Eroberungen.

      „Schau dir nur diese ganzen Unerfahrenen und Unentschlossenen an, Schwesterherz. Sie wissen noch gar nicht, was sie wollen. Das könnte man perfekt ausnutzen.“

      „Du