Markus Roentgen

"dein Gott, ist drinnen bei dir" (Zefanja 3,17) Spirituelle Profile


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Enthöhen Gottes hier ist keine Selbstentäußerung oder Katabasis (Kenosis) wie im Philipperhymnus, vielmehr meint das Enthöhen Gottes die Überwindung der Distanz und Transzendenz Gottes durch seine Immanenz in der Seele, wodurch diese erhöht wird im Eins-GottMensch.

      Bei Eckhart sind also die „Halbverwandelten“ und der „Enthöhte“ der erhöhte Mensch und der enthöhte Gott. In der Innung ist der Prozess abgeschlossen.

      62 Vgl. „In eins“ : Paul Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden, hg. v. Beda Allemann u.a. Frankfurt/M. 1983 = Gw I, S. 270.

      Der Enthöhte steht in bewusster Opposition zum Erhöhten. Wie in den Gedichten „Tenebrae“ und „Spät und tief“ ist der Enthöhte der Leidende, nicht mehr und weniger nicht.

      Der Tod des Todes scheint nur mit dem Tod Gottes ermöglicht. Celan wendet also Eckharts Höhepunkt der 52. Predigt „Beati pauperes spiritu“, die Bitte an Gott, „daz er mich ledic/quitt mache gotes“ am Ende von „Treckschutenzeit“ ins Materiale.

      Das Wort Hegels brennt auf, dass am Kreuz Gott wirklich gestorben ist – „Gott ist tot“.

      Verlegt Eckhart die Vorgänge in die Psyche des Menschen bar jeglicher Wahrung der heilsgeschichtlichen Dimension, so totalisiert Celan die geschichtliche Situation des Menschen so weit, dass kein Abhub des Geistes daraus gestattet wird.

      „Nicht der Mensch wird in Celans Gedicht „Treckschutenzeit“ in die Position Gottes eingesetzt, sondern Gott in die Position des Menschen, und das heißt, daß er auf dem Weg seiner Entäußerung auch am menschlichen Schicksal mitträgt und es erleidet.“ (Lydia Koelle, a.a. O. 184, siehe Angabe hinter dem Kapitel.) Radikalisiert bis ins Äußerste wird der Gottverlassenheitsschrei Jesu am Kreuz „Eli, Eli, lama asabtani“ (Mk 15,34) für den nichttrinitarisch verwurzelten Juden Paul Celan zum Gebet Gottes vor seinem eigenen umröchelten Tod. (Siehe auch in der Tradition das Wort Luthers: „da streydet Got mit Got auf Golgatha“; zitiert nach Kerygma und Dogma 36 (1990) S. 275. Vgl. auch Helmut Gollwitzer in seinem Buch: Krummes Holz – aufrechter Gang, München 1970, S. 258.: „Der Riß geht nicht durch Jesus, er geht durch Gott selbst; Gott selbst ist von Gott verlassen, Gott selbst stößt sich aus.“)

      Zu DU SEI WIE DU

      Wie im Triptychon in der Regel üblich, nimmt DU SEI WIE DU die mittlere, d.h. die zentrale Position ein. Celan thematisiert hier, im Sprachdurchgang vom Hochdeutschen, durchs Mittelhochdeutsche zum Hebräischen (kumi/ ori übersetzt von Gunther Fleischer: „erhebe Dich/ leuchte“ ; 2. Sg. Imp. fem. – es macht so im Hebräischen, anders als im Deutschen, die Anrede Jerusalems als Frau sichtbar!) das unauflösliche Spannungsverhältnis zwischen christlicher Tradition, im deutschen Sprachgewand, zurück durch die mittelhochdeutsche Sprachtradition des Meister Eckhart, hinunter, hinein, ins Ziel der jüdischen Überlieferung, ins Wort, in die Vor-schrift des Propheten Jesaja, erinnert in der Ursprungssprache.

      In der ersten Fassung sollte das Gedicht noch: „Nichts ist wie du, nirgends“ lauten. Der Eckhart-Zusammenhang, der die Gott-Rede ins Eins-Nichts hinein münden lässt leuchtet auf und wird zugleich gebrochen durch den Modus der, in der Endfassung durchgehaltenen, An-Redeform: „Du“.

      Zugleich ist die Jhwh-Selbstprädikation in Ex 3,14, die in der Exodus-Theologie Eckharts ebenso eine große Rolle spielt, im Titel schon präsent („Ich bin da, wie ich da bin“), verliert aber hier den geschichtslos-allegorischen Deuterahmen Eckharts in der Anrufung Jerusalems als konkretem Ort: „Du sei wie Du“.

      In der hebräischen Tradition ist Jerusalem der tatsächliche Ort, den Gott als Wohnsitz sich erwählt hat!!

      Das zerschnittene Band „zu dir hin“ gibt doppelter Assoziation Raum. „Band“ und „Bund“ haben im Deutschen eine Wurzel. Jerusalem ist Ort für das Bundesband zwischen Gott und Israel. Die Bundestreue Gottes bleibt und ist unwiderrufene Zusage seit dem Noachbund – auch wenn das Volk den Bund bricht.

      Bund evoziert auch „Bindung“; im Traditionszusammenhang Israels wird der „Bindung Isaaks auf dem Berg Moria“ (Akedah) gedacht; er wird nicht geopfert, er wird nicht getötet – aber er wird auf den Altar gebunden. In der jüdischen Tradition ist diese Akedah, seit den Kreuzzügen und bis hinunter in die Shoah ein zentrales Symbol für das jüdische Martyrium in der Heiligung des göttlichen Namens (Kiddusch Haschem). Die Erwählung, die bindet, wird und wurde zum „Schlammbrocken“, der im Turm (im Ort für Gefangenschaft, Exil und Isolation), heruntergeschluckt werden musste, heruntergeschluckt werden muss (vgl. Jeremia 38,6 – Jeremia in der Zisterne, der Schlamm als Materie der Todesbedrohung; vgl. auch Psalm 69, wo der Beter tief im Schlamm versunken ist). Die Bindung an den Bund, das Band, das zerissen wurde und das nur im Eingedenken, im Gedächtnis wieder geknüpft werden kann, sie ist durch eine unfassliche Blutspur der Opfer gezeichnet.

      In „Du sei wie du“ geschieht eine Rückbindung des Neuhochdeutschen durch das Mittelhochdeutsche der Mystik Eckharts bis hinunter in die jüdische Wurzel kumi ori als Wahrung der Traditio, als Übergabe und Übernahme der messianisch-prophetischen Botschaft Israels in ihrem Ursprung.

      Die Sprache wird hier („inde wirt/erluchtet“) zur Leuchtspur des Geschehens, wird zur „Finster-Lisene“, sie ist der Schwärze Lichtsaum. „Lisene“ entstammt dem franz. „lisière“ = Saum, Leiste, Rand, Grenze, in der Architektur ein flacher, senkrechter Mauerstreifen. Die Sprache wird Rand der Finsternis, sie spricht das Finstere und, indem sie Ort des Gedächtnisses („der Gehugnis“) ist, als Erinnerungs- und Bewahrungsort, der dem Vergessen entreißt, ist sie, die Sprache, die ephemere und angefochtene, die auch wie ein Nichts ins Schweigen tendiert, so und vielleicht nur so, als Finster-Grenze Lichtsaum und, in ihrer vollendeten Armut und Ausgesetztheit, Hoffnungsspur. Permanentes wechselseitiges Durchdringen und Durchdrungensein von Schweigen und Sagen, Licht und Finsternis.

      Ist „gehochnysse (= gehugnisse)“ in Eckharts Predigt noch das geheim-verborgene Wissen, so wendet Celan es in den Ort des Eingedenkens, in das akut-aufmerkende Gedächtnis als den Ort der memoria passionis. Wesentlich ist, dass er „Gehugnis“ an dieser Stelle nicht kursiv als Zitat aus dem Eckhart-Werk kennzeichnet, sondern er dieses mhd. Wort als Eigenes sich anverwandelt, es gleichsam als dem jüdischen Erbe im Kern zugehörig markiert – selbst in seiner mhd. Sprachausgießung. „Zachor!“-Erinnere Dich!“ – das ist das Zentrum der Bundestreue Israels mit seinem Gott – es ist die anamnetische Dimension des Menschen in seinem eingedenkenden Einstehen (solidarisch nach rückwärts und vorwärts mit den Zernichteten, den Leidenden, den Entrechteten der Geschichte) und in seiner bewahrend-akuten Sprache.

      Deshalb kann am Ende „kumi ori“ auch nicht durch ein deutsches Wort vertreten werden. Im Original hat Celan diese beiden Worte auch in hebräischer Konsonatenschrift geschrieben. Das „Aufstrahlen des Lichtglanzes“, im Jesajawort „kumi ori“ als Hoffnungsgestalt im Eingedenken der Leidenden und der Opfer der Geschichte Israels, erträgt keine Sprachübertragung. Die mit dem jesajanischen „Jerusalem“ verbundene Hoffnung auf Neuschöpfung, in der Weltanfang und –ende einander endgültig entsprechen, ereignet sich nicht in Geist und Bewusstsein, sie ist angewiesen auf den konkreten Ort, ist material. Jerusalem – die Stadt.

      Celan hat die drei Gedichte zeitnah zum „Sechstagekrieg“ Israels gegen Ägypten 1967 geschrieben. Durch diesen war Jerusalem wiedervereinigt worden, hatte das Volk Israel wieder ungehinderten Zugang zu allen heiligen Stätten. Der Wallfahrtsort ist konkret, raumgebunden, material, ja politisch – er wird nicht zeitenthoben spiritualisiert.

      Zu Wirk nicht voraus

      Das Schlussgedicht des Lichtzwang-Gedichtbandes verschränkt nochmals christlich-mystisches mit jüdisch-kabbalistischem Gedankengut.

      Der Mensch, der angesprochen wird, ist aufgefordert, sich jeglicher