Markus Roentgen

"dein Gott, ist drinnen bei dir" (Zefanja 3,17) Spirituelle Profile


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er, in De civitate Dei (Gottesstaat) 11, 26 (Bkv 2/16, 184 f) dies kommentieren und aufheben: „Wenn ich mich täusche, dann bin ich. Wer nicht ist, kann sich nicht täuschen; demnach bin ich, wenn ich mich täusche. Wenn ich also bin, wenn ich mich täusche, wie sollte ich mich über mein Sein irren, da es doch gewiss ist, gerade wenn ich mich irre. Also selbst wenn ich mich irre, so müsste ich doch eben sein, um mich irren zu können, und demnach irre ich mich ohne Zweifel in dem Bewusstsein, dass ich bin.“

      Augustinus muss nach Mailand gehen, um im Kreis um Bischof Ambrosius (gleichsam ein Kreis katholischer Intellektueller) sich endgültig von Manichäismus und Skeptizismus zu lösen. Seine Sehnsucht nach einer Lebensentscheidung drängt ihn, das Joch des Glaubens auch tragen zu können. Ambrosius überzeugt durch das Ineins von persönlicher Integrität im Leben aus dem Glauben, bringt Augustinus die geistliche (allegorische und heilsgeschichtliche) Auslegung der ganzen Heiligen Schrift nahe und ist auch in philosophischen Fragen geschulter, als lange Zeit angenommen wurde. Der Neu-Platonismus (Plotin etwa) ist anschlussfähig an das Christentum – überwunden wird der prinzipielle Dualismus; Gott allein ist einziges Prinzip allen Seins, das Böse, das „malum“ keine selbständige Wirklichkeit, vielmehr Mangel an Sein! Es bedarf nur noch einer winzigen Drehung zur vollen Entschiedenheit. Die berühmte Gartenszene, beschrieben im 8. Buch der Confessiones naht, in der Augustinus durch das Hören einer Kinderstimme veranlasst wird, die Heilige Schrift aufzuschlagen, das ihm Zukommende zu nehmen und zu lesen: „Tolle, lege! Tolle, lege! (Nimm und lies!)“ (Confessiones 8, 29)

      Spiritualität – Krise als Wende und Öffnung, Krise als Bruch und Heilung

      Guardini schreibt wunderbar tiefgründig über die Kraft und Not und die Not-Wendigkeit der Krisis und der Skepsis bei Augustinus. In seinem nach wie vor sehr eindrücklichen Werk: „Die Bekehrung des Aurelius Augustinus“ (S. 213 ff.) im Part über die Krisenzeit Augustinus in Rom und Mailand heißt es: „Die Anlage zur Skepsis ist in Augustinus immer lebendig gewesen. (…) Zu dieser gehört vor allem eine besondere Hinordnung auf das Absolute; das Verlangen, zu ihm zu kommen, von ihm erfasst, erfüllt, überwältigt zu werden. Zugleich ein sehr waches Empfinden für die Uneigentlichkeit des Endlichen; auch des endlichen Aktes, seiner Vollzugs- und Erfahrungskraft. Daraus entsteht ein Missverhältnis, das in jedem Erkenntnisakt durchempfunden wird. Sollte diese Sinnesart wirklich befriedigt werden, dann müsste der Erkenntnisvorgang den Geist vollkommen erfüllen und übermächtigen; das erst ergäbe die ersehnte Ruhe. Zu einem solchen Wahrheitsvollzug ist aber die endliche Erkenntniskraft nicht fähig; immer bleibt die Macht des Denkvollzugs hinter dem Gültigkeitsanspruch des gedachten Inhalts zurück. Aus diesem Rest entsteht ein beständiges Unzulänglichkeitsgefühl: eben die Skepsis.

      Diese Art der Skepsis scheint mit der mystischen Anlage verbunden zu sein; ja vielleicht stellt jene besondere Beziehung zum Absoluten, von der die Rede war, schon die vordere Schicht ebendieser mystischen Anlage dar. So die Erkenntnis in Frage stellen, wie es hier geschieht, kann vielleicht nur, wer in einer, ihm selbst unter Umständen ganz unbewussten, Rückverbindung zum Religiös-Absoluten steht. Und erst wenn diese mystische Möglichkeit sich verwirklicht, wird die Skepsis geheilt. Sie erst gibt der ganzen Existenz jene Wirklichkeits- und Sinngrundlage, deren diese bedarf. (…) Augustins Skepsis steht jedenfalls in enger Beziehung zu seiner Lehre vom wesenhaften Hunger der Seele nach Gott; von der Liebesbewegung auf Ihn hin und von der Bedeutung der Liebe im Erkenntnisakt…“

      Dass dieses Ringen und Suchen und Zweifeln alles andere sind als Kopfgeburten, dass sie existentiell erfahren und erlitten werden (Auseinandersetzung mit der Mutter, Ringen um seine Sexualität, Erfahrungen von Krankheit zum Tode eines Herzensfreundes) und auch noch in der „Nachschrift“ der Confessiones derart erkennbar bleiben, dies macht die Aktualität Augustins für uns aus (auch wenn seine Lösungen und Entscheidungen bisweilen befremden müssen). Er ist ein Existenzdenker im Ringen um seine authentische Lebens- und Glaubensform.

      Hören wir zum Abschluss des 2. Teiles einen Abschnitt aus dem 4. Buch der Confessiones und einen weiteren aus dem 10. Buch.

      Sie lassen erahnen, warum Augustinus erst mit fast 32 Jahren darum bat, getauft zu werden.

      Als sein Freund stirbt, schreibt Augustinus zurückblickend über sein Empfinden:

      „Vom Schmerz darüber ward es finster in meinem Herzen, und was ich ansah, war alles nur Tod. Die Heimat war mir Qual, wunders unselig das Vaterhaus, und alles, was ich gemeinsam mit ihm (dem Freund) erlebt hatte, war ohne ihn verwandelt zu grenzenloser Pein. Überall suchten ihn meine Augen, und er zeigte sich nicht. Und ich hasste alles, weil es ihn nicht barg und nichts von allem mir noch sagen konnte: ‚sieh, bald kommt er’, so wie es ehemals gewesen, wenn er eine Weile nicht zugegen war. Ich war mir selbst zur großen Frage geworden (Factus eram ipse mihi quaestio…), und ich nahm meine Seele ins Verhör, warum sie traurig sei und mich so sehr verstöre, und sie wusste mir nichts zu sagen. Und wenn ich ihr sagte: ‚Hoffe auf Gott’ (Augustinus zitiert hier Psalm 42, 5), so gab sie billig kein Gehör: denn wirklicher und besser war der Mensch, mit dem sie den Liebsten verloren hatte, als der Truggott (zu dieser Zeit war Augustinus Gottesbild noch manichäisch geprägt), auf den zu bauen sie geheißen war. Einzig das Weinen war mir süß, und es war an meines Freundes Statt gefolgt als die Wonne meines Herzens.“(Confessiones 4,4,9, übersetzt von Joseph Bernhart)

      Und im zehnten Buch schreibt er, in einer der schönsten Passagen der Confessiones, wie in einem Hymnus, wie in einem Sehnsuchtsgebet, auf seine so lange Suchbewegung auf Gott hin:

      „Spät erst habe ich dich geliebt, Schönheit du, immer alt und immer neu, spät erst habe ich dich geliebt. Siehe, du warst innen, und ich war draußen. Dort habe ich dich gesucht. Formlos stürzte ich mich in die Formschönheit, die du gemacht hast. Du warst bei mir, aber ich war nicht bei dir. Die Dinge, die gar nicht wären, wären sie nicht in dir, sie hielten mich fern von dir. Du hast gerufen, geschrien, hast meine Taubheit aufgebrochen. Du hast geleuchtet wie ein Blitz über mir und hast meine Blindheit verjagt. Du hast deinen Wohlgeruch ausgeströmt, ich habe ihn eingeatmet und wittere dich. Geschmack habe ich an dir gewonnen, jetzt hungere und dürste ich. Du hast mich berührt, und ich brenne vor Sehnsucht nach deinem Frieden.“ (Confessiones 10, 27, 38, übersetzt von Kurt Flasch).

      Literatur:

      Romano Guardini, Die Bekehrung des Aurelius Augustinus. Der innere Vorgang in seinen Bekenntnissen. München 1950. Augustinus, Confessiones/Bekenntnisse (lateinisch und deutsch), eingeleitet, übersetzt und erläutert von Joseph Bernhart. München 1955.

      Leben und Werk III

      Augustinus wird in der Osternacht des Jahres 387 zusammen mit seinem Freund Alypius, mit seinem Sohn Adeodatus und weiteren Gefährten von Ambrosius getauft.

      Schon 391 beginnt Augustinus Dienst als Priester, dann als Bischof von Hippo Regius.

      Dies gestaltet sich alltäglich aus bis zu seinem Tod im Jahr 430, am 28. August. Die Stadt ist da von den Wandalen belagert.

      Es ist erstaunlich, dass Augustinus als suchender Mensch, in seiner Selbstbeschreibung als Sünder, in der Ambivalenz seines Umgangs mit seiner, in den „Confessiones“ namenlos gebliebenen Gefährtin, mit dem gemeinsamen Sohn, der bei Augustinus bleiben wird und mit ihm zusammen von Ambrosius getauft wird, ein vielfach bedachter Mensch ist.

      Danach, in der Zeit als Priester und Bischof, als späterer Heiliger der Kirche, ist er als Person weithin unbekannt geblieben.

      Bis zur Bekehrung brisant, er, der geniale Sucher – aber was nachher kommt erscheint eintönig und langweilig wie alle Tugend alltäglicher Bewährung!

      Die Niederungen des Alltäglichen scheinen der Öffentlichkeit unerheblich; dabei bewährt sich doch da, und im Wesentlichen da, ein Leben – in den Tagen, die ablaufen oft wie gleichförmige Perlen einer schlichten Kette.

      Nicht der funkelnde Edelstein hält zusammen, vielmehr die Bindung durch das, was den Tag je ausformt.

      Der Edelstein, das Genie, mag das Zündende, das Leuchtende geben – aber Charisma braucht Form, und der Blitzeinschlag mystischer Gotterfahrung braucht die Ebenen alltäglicher Bewährung in Begegnungen, Aufgaben,

      Anfragen, Zuweisungen, wie der Tag sie abringt.