Mark Twain

Die Abenteuer des Huckleberry Finn


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ein verlorener Mensch brauche, um gerettet zu werden, sei Sympathie; der Richter stimmte ihm zu, und dann weinten sie wieder.

      Als es Zeit war zum Schlafengehen, erhob sich mein bekehrter Vater, hielt seine Hand hin und sagte: »Sehen Sie hier diese Hand, meine Herrn und Damen, nehmen Sie sie, schütteln Sie sie. Es war einstmals die Hand eines Schweines, aber sie ist's nicht mehr, sie ist die Hand eines Mannes, der ein neues Leben begonnen hat und der eher sterben wird, als daß er ins alte zurückkehrt. Denken Sie an diese Worte, gedenken Sie dessen, der sie sagte. Es ist eine reine Hand jetzt, nehmen Sie, fürchten Sie nichts, schütteln Sie diese Hand!«

      Der Richter, seine Frau und seine Kinder schüttelten sie der Reihe nach, und die Frau Richter küßte sie sogar. Dann sollte er noch ein feierliches Gelöbnis unterschreiben – und er tat's, indem er drei Kreuze druntersetzte. Der Richter bemerkte noch, das sei der schönste Tag seines Lebens, und dann führten sie meinen Alten im Triumph in ihr allerbestes Gastzimmer. Der aber fühlte sich sehr durstig, und in der Nacht, als alles schlief, kletterte er aus dem Fenster aufs Vordach der Haustür, ließ sich am Gitter nieder, witschte in die Stadt, versetzte seinen neuen Rock für eine schwer geladene Schnapsflasche und stieg so bewaffnet wieder in sein warmes Nest und feierte die Bekehrung auf seine Weise. Gegen Morgen wollte er sich auf dem alten Weg aus dem Staub machen, war aber nicht fest auf den Beinen, fiel vom Dach und brach den Arm an zwei verschiedenen Stellen, konnte nicht weiter und wurde dann nach ein paar Stunden halb erfroren im Schnee aufgefunden. Man schaffte ihn zur Pflege ins Krankenhaus, wo ich ihn nun für einige Wochen wenigstens gut aufgehoben wußte. Im Gastzimmer bei Richters aber mußten sie eine Art Überschwemmung anstellen, ehe es wieder zu gebrauchen war.

      Beim Ortsrichter selbst blieb die Bekehrung meines Alten ein wunder Punkt. Er meinte, die sei für die Dauer nur mit einem Flintenschuss ins Werk zu setzen, er wisse kein andres Mittel und, meiner Treu – ich glaub', er hat recht.

      1 Huck meint den Temperenzverein = Mässigkeitsverein.

      6. Kapitel

      Der Alte geht zum Kreisrichter – Huck entschließt sich Reißaus zu nehmen – Ernsthaftes Nachdenken! – Politisches – Nächtliche Lustbarkeit

      Soweit also war's gut! Bald aber war der alte Mann wieder zurechtgeflickt und machte die Gegend aufs neue unsicher. Er ging zum Kreisrichter und drohte ihn zu verklagen und tat's auch wirklich, als der sich weigerte das Geld herauszugeben. Dann wollte er mich verklagen, weil ich trotz seines Verbots in die Schule trabte. Er fing mich ein paarmal ab und walkte mich tüchtig durch, ich aber ging nach wie vor hin, und es gelang mir meistens, ihn zu überlisten oder aber davonzurennen. Vorher war mir die Schule gerade kein Vergnügen gewesen, nun aber fand ich Lust daran, weil es den Alten so ärgerte. Der Prozeß vor Gericht wegen des Geldes ging nur sehr langsam vonstatten, sie schienen darüber einschlafen zu wollen. So borgte ich denn ab und zu zwei oder drei Dollar vom Kreisrichter, mit denen ich mich dann beim Alten von einer versprochenen Tracht Prügel loskaufte. Sooft er Geld hatte, hatte er auch einen Rausch, und sooft er einen Rausch hatte, tobte er durch die Straßen, und sooft er das tat, wurde er eingesperrt. Solch ein Leben gefiel ihm, das war gerade, was er wolltet

      Allmählich aber machte er doch die Gegend um das Haus der Witwe allzu unsicher. Sie warnte ihn zwar ein paarmal und drohte, sie wolle die Nachbarn zu Hilfe rufen gegen ihn, aber das half nichts. Er wurde nur wütend und sagte, er wolle zeigen, wer Huck Finns Herr sei! So fing er mich an einem schönen Frühlingstage ab, als ich nichts Schlimmes ahnte, schleppte mich mit Gewalt zum Fluß in ein Boot, setzte nach dem Illinois-Ufer über, wo der Wald am dicksten stand, und brachte mich da in eine alte Blockhütte, die niemand hätte auffinden können, der nicht genau wußte, wo sie lag.

      Ich mußte immer an seiner Seite bleiben, und zum Durchbrennen gab's nicht die kleinste Gelegenheit. So wohnten wir denn in der alten Hütte, und bei Nacht verschloß er die Tür und legte den Schlüssel unter seinen Kopf. Er besaß eine alte Flinte, die er wahrscheinlich irgendwo gestohlen hatte. Wir jagten und fischten und lebten von der Beute. Von Zeit zu Zeit schloß er mich ganz ein, ging hinunter an die Fähre, tauschte dort Fische, und was er geschossen hatte, gegen Schnaps ein, kam heim, betrank sich, vergnügte sich auf seine Weise und prügelte mich durch. Die Witwe hatte mittlerweile herausgefunden, wo mich der Alte hingeschleppt, und sandte einen Mann, der mich befreien sollte. Den trieb aber mein Vater mit der Flinte in die Flucht. Bald hatte ich mich denn auch an das Leben gewöhnt, befand mich wohl dabei und liebte es; nur das Durchhauen war nicht ganz nach meinem Geschmack.

      Es war so lustig und so faul und so behaglich, den ganzen Tag nach Herzenslust herumzuliegen, nur zu rauchen oder zu fischen und Bücher Bücher, und Lernen Lernen sein zu lassen. Zwei oder drei Monate verflossen so, meine Kleider waren nur noch schmutzige Lumpen, und ich konnte kaum mehr begreifen, wie ich es je bei der Witwe ausgehalten hatte, wo man sich waschen mußte, vom Teller essen, sich kämmen, zu Bett gehen und zur bestimmten Stunde aufstehen, ewig sich mit Büchern herumplagen und dazu das Keifen und Zetern der alten Miss Watson mit anhören. Ich wollte gar nicht wieder zurück in das Gefängnis! Das Fluchen hatte ich mir abgewöhnt, weil es die Witwe nicht gern hörte, nun machte ich mich aber lustig wieder dran, mit meinem Alten um die Wette. Ich hatte es eigentlich ganz gut da draußen im Wald, wenn ich so alles in allem nehme.

      Allmählich aber wurde der Alte zu beweglich mit seinem Stock, ich konnt' es kaum mehr aushalten, ich war voll Striemen und Beulen. Auch ging er immer öfter weg und schloß mich ein. Einmal blieb er beinahe drei Tage aus. Es war schrecklich einsam, und ich dachte schon, er sei ertrunken und ich müsse hier verhungern. Das war mir denn doch zu bunt! Wie oft hatte ich schon versucht durchzubrennen, aber es ging nicht. Die Fenster waren Löcher, durch die kein Hund durchgekonnt hätte, der Kamin war zu eng, und die Türen aus festen Eichenbohlen gezimmert. Ein Messer oder irgend etwas Derartiges hütete sich der Alte wohl zurückzulassen, wenn er ging. Wie oft schon hatte ich die Hütte durchstöbert, von oben bis unten, ohne je etwas zu entdecken, diesmal aber fand ich unter einem Dachbalken, ganz in der Ecke, eine alte, rostige Holzsäge. Wer war froher als ich! Rasch eingeschmiert und nun frisch drauf los! Ich hob ein Stück von einer alten Pferdedecke auf, die in eine Ecke beim Tisch genagelt war, damit der Wind das Licht nicht ausblase, und begann dahinter die Balken anzusägen, um ein Stück herauszunehmen, so groß, daß ich durchschlüpfen könnte. Es war eine tüchtige, saure Arbeit, und als ich beinahe damit zu Ende war, hörte ich Vaters Flinte im Wald. Ich nun schnell, schaff' die Sägespäne beiseite, leg' den Teppich vors Loch und verberg' die Säge. Kaum war ich fertig, stolperte richtig der Alte zur Türe herein.

      Er war schlechter Laune – hatte also nicht getrunken, erzählte, er sei in der Stadt gewesen und daß alles verkehrt ginge. Der Advokat sage, er werde ohne Zweifel den Prozeß gewinnen, wenn er nur erst einmal zur Verhandlung käme. Es werde aber immer wieder hinausgeschoben und daran sei nur der Kreisrichter mit seinem Einfluß schuld. Dann sollten die Leute gesagt haben, es würde einen neuen Prozeß geben, um mich von ihm fortzunehmen und die Witwe zu meinem Vormund zu machen, und dann würde die Sache wahrscheinlich gegen ihn ausfallen. Diese Nachricht versetzte mir einen gewaltigen Stoß, denn zur Witwe wollte ich keinesfalls zurück, wo sie mich in alles mögliche hineinzwängten, in Kleider und Manieren, um mich zu sievilisieren. Jetzt fing der alte Mann an zu fluchen und fluchte auf alles und jeden, den er kannte, dann fing er von vorn an, um sicher zu sein, daß er keinen vergessen hatte, und endlich rundete er das Ganze niedlich mit einem saftigen Fluch auf die Welt im allgemeinen ab.

      Die Witwe solle nur einmal kommen und mich zu holen versuchen, er wisse einen Platz, sechs oder sieben Meilen weit im Walde drin, da wolle er mich hinstecken, da könnten sie nach mir suchen, bis sie schwarz würden, eh' sie mich fänden. Einen Augenblick lang stand mir der Atem still, dann aber fiel mir ein, daß ich bis dahin kaum mehr zur Hand sein dürfte, um ihm diese Freude zu machen.

      Der Alte hieß mich nun zum Boot gehen und die Sachen holen, die er eingehandelt hatte. Es war ein Sack mit ungefähr fünfzig Pfund Mehl, eine Speckseite, Munition und ein tüchtiger Krug Branntwein, ein altes Buch, zwei Zeitungen und sonst allerlei, dann noch ein Stück Seil. Ich machte mir die Ladung zurecht, schaffte sie ans Land und setzte mich dann in das Boot, um einmal ernsthaft über meine Lage nachzudenken. Ich hielt es für das beste, mit der Flinte und