Mark Twain

Die Abenteuer des Huckleberry Finn


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      Er schloß die Türe auf, und ich machte mich davon, hinunter ans Flussufer. Ich sah Baumäste und Holzstücke im Wasser treiben und wußte, daß es nun im Steigen begriffen war. Das waren schöne Zeiten in der Stadt, wenn der Fluß stieg. Da kamen oft große Stücke Holz, manchmal ganze Baumstämme dahergeschwommen, oft fünf, sechs auf einmal, oft noch mehr, und man brauchte sie mir herauszufischen und auf dem Holzplatz oder in der Sägmühle zu verkaufen. Das war ein einträgliches Geschäft.

      So schlenderte ich am Ufer hin, mit einem Auge schielte ich nach dem Alten, mit dem andern lugte ich, ob das Wasser etwas herantreiben würde. Wahrhaftig, sehe ich da plötzlich ein kleines Boot heranschwimmen, ein prächtiges Ding, zwölf bis vierzehn Fuß lang und so stolz dahersegeln wie ein Schwan. Ich schieße ins Wasser wie ein Frosch, ohne mich zu besinnen, geradeso, wie ich war, und steure auf das Boot los. Ich war darauf gefaßt, jemanden drin liegen zu sehen, der mich für meine vergebliche Mühe tüchtig auslachen würde; ich hatte schon gehört, daß sie die Leute manchmal auf solche Weise foppen. Diesmal war's nicht so, es war wirklich ein leeres Boot, und ich kletterte hinein und lenkte es ans Ufer. Denk ich, der alte Mann wird sich freuen, wenn er's sieht, es ist wenigstens zehn Dollar wert. Aber als ich ans Ufer kam, war der Alte noch nicht in Sicht. Plötzlich kam mir eine neue Idee, und ich legte das Boot in einer kleinen Bucht ganz unter Reben und Weiden versteckt an. Ich will es für mich behalten, dacht' ich, es gut verbergen und dann, statt in die Wälder durchzubrennen, in dem Boot davongehen, den Fluß hinunter rudern, mir einen versteckten Platz am Ufer aussuchen und dort mein Lager aufschlagen; dann brauche ich doch nicht zu Fuß Reißaus zu nehmen und mir die Beine abzulaufen. Da ich mich ziemlich nahe bei der Hütte befand, konnte mich der Alte jeden Augenblick überraschen, aber es gelang mir doch, das Boot sicher zu verstecken. Wie ich fertig bin und hinter einer alten Weide vorschaue – richtig, da steht er, hat aber das Gewehr an der Backe und zielt gerade nach irgend etwas. Er hatte also nichts gemerkt.

      Als er näher kam, war ich eifrig mit den Angelleinen beschäftigt. Er schimpfte und brummte, daß ich so langsam sei, und ich sagte, ich sei ins Wasser gefallen bei der Arbeit, drum daure es so lange, denn ich wußte, er würde meine nassen Kleider sehen und mich ausfragen. Wir zogen fünf Katzenfische mit der Leine ans Land und gingen sehr befriedigt heim.

      Nach dem Frühstück legten wir uns wieder hin, um zu schlafen, denn wir waren beide etwas erschöpft von den nächtlichen Lustbarkeiten. Vor dem Einschlafen kam mir der Gedanke, daß es für mich viel sicherer wäre, wenn ich den Alten und die Witwe ganz davon abhalten könnte, mich zu verfolgen, als wenn ich mich darauf verließe, einen möglichst großen Vorsprung zu gewinnen, bevor sie mich vermißten. Gut ist gut und besser ist besser!

      Zuerst wollte mir gar nichts Gescheites einfallen; mit einemmal hebt der Alte den Kopf, um ein neues Maß Wasser zu dem vorhergegangenen hinunterzugießen, und sagt: »Wenn wieder einer um die Hütte schnüffelt, Huck, rüttelst du mich wach, hörst du? Der hatte nichts Gutes im Sinn, dem brenn' ich eins auf den Pelz! Also, du weckst mich!«

      Dann legte er sich hin und schlief weiter. Aber was er gesagt, hatte mich gerade auf das gebracht, was ich suchte, und nun wußte ich, wie ich's anzustellen hatte, daß niemand mir nachsetzen würde.

      Gegen zwölf Uhr standen wir von unserm Lager auf und gingen den Fluß entlang. Das Wasser stieg ziemlich schnell und trieb eine Menge Holz mit sich. Auch ein Floß schwamm vorbei, oder ein Teil von einem, etwa neun zusammengebundene Baumstämme; wir stiegen in unser Boot und brachten sie ans Land. Dann kam das Mittagessen. Jeder andre hätte nun am Ufer gewartet und gesehen, was er noch weiter herausschlagen könnte, das war aber des Alten Art nicht. Neun Baumstämme waren genug für einen Rausch, so wollte er sie denn sofort zur Stadt bringen und versilbern. Er schloß mich also ein, nahm das Boot, befestigte das Stück Floß dran und ruderte fort – es war so gegen halb drei. Heute nacht würde er nicht wiederkommen, dessen war ich ziemlich sicher. Ich wartete nun, bis ich ihn gänzlich außer Hörweite glaubte, holte dann meine Säge vor und begann meine Arbeit von gestern fortzusetzen. Ehe der Alte noch das andre Ufer erreicht haben konnte, war ich glücklich aus dem scheußlichen Loch heraus und konnte gerade noch sehen, wie er als Punkt mit seinem Schiff und Floß drüben verschwand.

      Ich nahm den Sack Mehl und schleppte ihn ans Boot, bog die Reben und Zweige beiseite und zog ihn hinein, dann machte ich's geradeso mit der Speckseite und dem Branntweinkrug. Ich nahm allen Kaffee und Zucker, der da war, und alle Munition, ich nahm den Wassereimer und den Würfelbecher, den Feuerhaken und eine alte Zinntasse, meine rostige Säge, zwei Pferdedecken, den Kessel und den Kaffeetopf. Ich nahm die Angelleinen, die Schwefelhölzer, kurz alles, was sich nur wegtragen ließ, und einen Kupferdreier wert war. Ich räumte die Hütte rein aus. Eine Axt hätte ich noch gern gehabt, aber es war keine da, bis auf die eine draußen auf dem Holzhaufen, und ich wußte, warum ich die liegen ließ. Zuletzt nahm ich noch die Flinte, und dann war ich fertig.

      Durch das Aus- und Einsteigen und Herausschleppen der Sachen war der Boden vor dem Loch ordentlich festgetreten worden. Daher gab ich ihm, so gut es ging, das vorige Aussehen wieder, indem ich Staub darauf streute, der auch das Sägmehl verdeckte. Das herausgenommene Stück Balken paßte ich wieder sorgfältig in die Öffnung, legte zwei Steine davor, um 's festzuhalten, und wenn man zwei oder drei Fuß entfernt stand und nicht wußte, daß es losgesägt war, konnte man's auch nicht bemerken. Außerdem war's auf der Rückseite der Hütte, wo selten jemand hinkam.

      Bis zum Boot gab es nur Grasboden, da war meine Spur nirgends zu entdecken, wovon ich mich überzeugte. Ich stand am Ufer und spähte in den Fluß. – Alles sicher! So nahm ich die Flinte und ging ein Stück in den Wald hinein, um irgendeinen Vogel zu schießen. Da sehe ich ein wildes Schwein. Die werden dort immer gleich wild, wenn sie erst einmal von einer Farm ausgebrochen sind. Ich schoß den Kerl und schleppte ihn zur Hütte.

      Jetzt nahm ich die Axt zur Hand, zerschmetterte die Tür und hieb um mich, daß die Fetzen nur so flogen. Dann schleppte ich das Schwein bis zum Tisch, schlug ihm mit dem Beil ein Loch in den Hals und legte es auf den Boden zum Verbluten – die Hütte war nicht gedielt, sondern hatte gestampften Lehmboden. Dann nahm ich einen alten Sack, füllte ihn mit schweren Steinen, wälzte ihn durch die Blutlache und zog ihn dann hinter mir her dem Flusse zu, wo ich ihn hineinwarf. Er hatte eine breite, blutige Spur hinterlassen, die ein Blinder finden konnte. Ich wollte, Tom Sawyer wäre dabeigewesen, der hätte noch allerlei dazu erfunden, um dem Ding einen romantischen Anstrich zu geben – in solchen Sachen war er groß.

      Zuletzt riß ich mir dann noch ein paar Haare aus, tauchte die Axt ins Blut, klebte die Haare hinten dran und warf die Axt in einen Winkel. Dann nahm ich das Schwein, preßte die Wunde fest gegen mich, daß sie nicht mehr tröpfeln konnte, und schleppte das Tier eine gute Strecke weit unterhalb den Fluß entlang, wo ich's hineinwarf. Da fiel mir noch etwas anderes ein. Ich nahm den Sack Mehl und trug ihn zurück in die Hütte, dann holte ich die Säge, stellte den Sack an den Ort, an dem er gestanden, ritzte mit der Säge ein Loch hinein, denn es waren keine Messer oder Gabeln da; der Alte besorgte alles mit seinem Taschenmesser. Dann schleppte ich den Sack ein paar hundert Meter durch das Gras und die Weiden zu einem östlich von der Hütte gelegenen Teich, der voll Binsen war und – voll Enten, wenn die rechte Zeit dazu war. Am andern Ende des Sees führte ein Pfad in die Wildnis, das wußte ich, aber nicht wohin, jedenfalls aber entgegengesetzt vom Flusse. Das Mehl kam ganz langsam aus dem Riß heraus und hinterließ eine kleine weiße Spur über den ganzen Weg bis zum See, dann ließ ich noch des Alten Wetzstein fallen, als ob es zufällig geschehen sei, band das Loch im Sack mit einer Schnur zu, damit das Mehl nicht mehr herausfallen konnte, nahm den Mehlsack, holte die Säge und ging zu meinem Boot zurück.

      Jetzt war's beinahe dunkel geworden, und so ruderte ich denn das Boot eine Strecke weit den Fluß hinunter, befestigte es an einem Weidenstamm, aß 'nen Mund voll und wartete auf den Mond, der eben aufging. Ich zündete mir eine Pfeife an und begann ernstlich über meinen Plan nachzudenken. Sag' ich zu mir selbst: Natürlich werden sie der Spur folgen, auf der ich den alten Steinsack zum Fluß gezogen habe, und werden dann das ganze Wasser nach meiner Leiche absuchen. Und dann rennen sie hinter der Mehlspur her bis zum See und weiter durch den Wald in die Schluchten jenseits, um die Räuber zu finden, die mich gemordet und alles gestohlen haben. Außer im Fluß werden sie nirgends nach meiner Leiche suchen, des bin ich sicher, und sie werden