die waren wohl zu tief gebeugt vor Kummer. Alle sprachen von dem Mord, bis sie der Kapitän unterbrach, indem er rief: »Sehen Sie sich jetzt hier gut um, meine Herrschaften, hier an der Insel ist der Strom am reißendsten. Da ist es leicht möglich, daß er ans Ufer gespült worden ist und hier im Gestrüppe hängt. Wenigstens hoffe ich, daß wir ihn hier finden!«
Das hoffte ich nun gar nicht! – Sie drückten sich jetzt alle ans Geländer, starrten ins Wasser und wagten kaum zu atmen, ich hätte ihnen ins Gesicht lachen mögen, so komisch kamen mir die ernsten Mienen vor, die sie schnitten.
»Bumm – mm – m – m!« Die Kanone knallte diesmal so dicht neben mir los, daß ich beinah taub von dem Schlag und blind von dem Rauch wurde und meinte, ich sei des Todes. Wären ein paar Kugeln drin gewesen, dann hätten sie den Leichnam, nach dem sie suchten, gewiß bekommen. Ganz allmählich kam ich wieder zu mir und merkte, daß ich, Dank dem Himmel, wirklich noch heil und ganz sei. Inzwischen war das Boot schon weit an der Insel entlanggefahren und bald ganz außer Sicht. An der Spitze der Insel wendeten sie und fuhren an der andern Seite herauf, immer ab und zu ein Bum hören lassend. Ich rannte quer über die Insel und konnte sie nun noch einmal sehen, wie sie, der Totenjagd müde, der Stadt zusteuerten. Nun hoffte ich, wieder meine ungestörte Ruhe zu haben!
Ich schaffte meine Siebensachen aus dem Boot herauf und richtete mich mitten im dichtesten Walde häuslich ein. Mit meinen Decken machte ich mir eine Art Zelt und stellte meine Habseligkeiten darunter, um sie vor etwaigem Regen zu schützen. Hernach fing ich mir einen Fisch, zündete ein Feuer an und kochte mein Abendessen. Dann warf ich noch eine Leine aus, um auch für das Frühstück am andern Morgen gesorgt zu haben.
Als es dunkel wurde, setzte ich mich rauchend an mein Feuer und war sehr wohl zufrieden mit mir selbst. Allmählich aber fühlte ich mich ein bißchen einsam, ging ans Ufer und sah den Wellen zu, wie sie vorbeizogen, sah die Sterne am Himmel blitzen, zählte sie und dann die Stücke Holz, die vorbeitrieben, und darauf ging ich zurück und legte mich schlafen. Ein bessres Mittel, sich das Gefühl der Einsamkeit zu vertreiben, gibt es gar nicht.
So ging's nun drei Tage und Nächte weiter, immer dasselbe ohne jede Abwechslung. Dann aber fiel mir ein, eine Expedition ins Innere zu unternehmen. Die Insel war mein Reich, ich war hier sozusagen Alleinherrscher und wollte jeden Winkel kennenlernen; vor allem aber galt's, die Zeit totzuschlagen. Ich fand eine Masse schöner, reifer Erdbeeren und dabei eine Menge andrer noch unreifer Beeren, die aber alle mit der Zeit eßbar werden würden, wie ich hoffte.
Ich schlug mich also durch den dichten Wald, bis ich dachte, nun müsse das Ende der Insel ungefähr erreicht sein.
Meine Flinte hatt' ich auch mitgenommen, aber noch gar nichts geschossen, ich fürchtete, der Knall könne mich verraten. Fast wäre ich über eine ganz ansehnliche Schlange gestolpert; sie ringelte sich durch das Gras und die Blumen weiter, ich immer dahinter her, seh' weder rechts noch links und stehe plötzlich vor der Asche eines Lagerfeuers, die noch warm war und rauchte.
Mein Herz fiel mir fast in die Stiefel. Ohne mich viel umzusehen, schlich ich mich, so leise ich konnte, auf den Fußspitzen davon. Von Zeit zu Zeit stand ich ein wenig still und spitzte die Ohren, mein Herz schlug aber so laut, daß ich gar nichts hören konnte. Noch ein Stück weiter schleichend lauschte ich dann wieder, und so machte ich's abwechselnd eine ganze Zeitlang. Sah ich einen Baumstamm, so hielt ich ihn für einen Menschen, trat ich auf einen Ast und der knackte, so war mir's, als schnitte mir jemand den Atem entzwei und ließe mir nur die eine Hälfte davon, und zwar die kleinere.
In meinem Lager angelangt, war mir nicht mehr sonderlich unternehmungslustig zumute, mein Barometer war beträchtlich gesunken, und ich dachte bei mir: Sei kein solcher Narr und schnüffle da noch lange im Wald herum! Pack deine Siebensachen ins Boot, dann bist du zur Flucht bereit, wenn's gilt! – Schlepp' ich also meinen ganzen Kram wieder ans Wasser und ins Boot hinein, lösch' mein Feuer und reiß' die Asche auseinander, so daß man denken konnte, es habe vor einem Jahr zum letzten Mal gebrannt, und setze mich dann oben auf einen Baum, um Ausschau zu halten.
So saß ich also da oben eine oder zwei Stunden und hörte nichts und sah auch nichts, meinte aber immer tausenderlei zu sehen und zu hören. Ewig konnte ich dort nicht kleben bleiben, und so kroch ich denn wieder herunter, hielt mich aber doch immer im dichten Wald und gab gut acht auf alles um mich her. Zum Essen hatte ich nur Beeren und was mir vom Frühstück übriggeblieben war.
Als es dunkel wurde, war ich denn auch ziemlich hungrig geworden. Bevor der Mond aufging, nahm ich mein Boot, ruderte hinüber ans Illinoisufer, landete dort und kochte mir im Wald mein Essen. Eben wollte ich mir mein Nachtlager zurechtmachen, da – trab, trab, trab – höre ich Pferdehufe und kann auch Stimmen unterscheiden. Ich, nicht faul, auf, und alles ins Boot zurückgeschleppt, dann aber kroch ich wieder herbei, um zu sehen, was los sei.
Weit kam ich nicht, als ich plötzlich einen Mann sagen hörte: »Wenn wir einen geeigneten Platz finden, lagern wir am besten hier, die Pferde sind todmüde.«
Ich zögerte nicht lange, sondern kroch schleunigst zu meinem Boot zurück und ruderte davon. An der alten Stelle legte ich wieder an und entschloß mich, für heute im Boot zu übernachten.
Schlafen konnte ich aber nicht viel, die Gedanken hielten mich wach, und wenn ich dann einmal einnickte und wieder erwachte, meinte ich jedesmal, es habe mich schon einer am Kragen. Das war mir nun sehr ungemütlich. So konnte ich nicht weiterleben, und da denk' ich: Du gehst und siehst, wer mit dir auf der Insel wohnt, um jeden Preis, und wenn du darüber zugrunde gehst! Danach war mir besser zumute.
Gedacht, getan! Ich nehm' mein Ruder, geb' dem Boot einen leichten Stoß und laß es sachte im Schatten des Ufers an der Insel entlanggleiten. Der Mond schien so klar, und draußen auf dem Fluß war's hell wie am Tage. Eine Stunde wohl trieb ich so dahin, alles um mich her war lautlos, wie im tiefsten Schlaf. Das Ende der Insel hatte ich nun beinahe erreicht. Ein kühles Lüftchen erhob sich und begann lustig zu wehen, und das war so gut, wie wenn mir einer gesagt hätte, nun sei's vorbei mit der Nacht. Ich wendete also mein Boot und ließ den Schnabel ans Land stoßen, nahm meine Flinte und schlüpfte lautlos in den Wald. Dann setzte ich mich auf einen Baumstamm und sah zu, wie der Mond allmählich verschwand, Dunkelheit das Wasser deckte und dann im Osten ein schmaler, grauer Streifen den Tag ankündigte. Nun hing ich mein Gewehr über und stahl mich leise zu dem Ort, an dem ich das Lagerfeuer gesehen. Ich hatte aber kein Glück und konnte die Stelle lange nicht wiederfinden. Endlich erblickte ich einen Feuerschein durch die Bäume. Ich schlich sachte heran, und als ich ganz nahe war, fiel mein Blick auf einen Mann, der am Boden lag. Ich meinte, ich müsse vergehen. Der Mann hatte ein Tuch um seinen Kopf geschlungen und lag mit dem Kopf beinahe im Feuer. Ungefähr sechs Fuß entfernt kauerte ich im Gebüsch und wandte keinen Blick von ihm. Es war inzwischen dämmerig geworden und wurde heller und heller. – Mit einem Male reckt er sich, gähnt, streckt sich, fängt an, sich aus der Decke zu wickeln. Mir bleibt das Herz eine Sekunde still stehen, als ich dann aber genauer hinsehe, wen entdecke ich da? – Jim, Miss Watsons Jim, den alten, treuen Nigger! Wie froh war ich, ihn zu sehen!
»Jim, holla Jim!« schrei ich und jage hinterm Buschwerk vor.
Er starrt mich an mit rollenden Augen, faltet die Hände und sinkt in die Knie: »Nix tun, alte Jim nix tun! Sein nur arme alte Nigger, sein nix bös mit arme Geist! Alte Jim haben immer lieb gehabt arme Geist von tote Mensch. Du gehen wieder in die Wasser, wo du kommen her. Nix tun gute alte Jim, nix tun Geist von arme Huck, sein immer gewesen deine gute Freund!«
Bald hatte ich ihm begreiflich gemacht, daß ich nicht tot und auch nicht mein Geist sei. Ich war so froh, Jim gefunden zu haben; so war ich jetzt doch nicht mehr allein. Ich sagte ihm, mir sei nicht bange, daß er mich verraten würde. Ich schwatzte und schwatzte, und er saß da und starrte mich noch immer ungewiß an, tat aber den Mund nicht auf.
Endlich sag' ich: »Geh, 's ist beinah hell, laß uns das Frühstück kochen. Schürs Feuer tüchtig, alter Kerl!«
»Warum sollen Jim schüren Feuer? Sollen kochen Erdbeeren un solcher Zeug? Du haben Flinte warraftig, du schießen anner Sach wie Erdbeeren!«
»Erdbeeren und solcher Zeug?« wiederhol' ich, »hast du davon gelebt bis jetzt, armer Teufel?«
»Haben