Thomas Helm

"Tödliches Finitum"


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keuchte sie dabei. Ein fast irres Lächeln leuchtete auf ihrem schönen Gesicht. »Los! Stoß zu, mach’s mir!«

      Zum Glück gab sich dieser Zustand mit der Zeit von allein. Wobei eine angestiegene Arbeitsbelastung in Yvonnes Flugunternehmen vermutlich auch eine nicht unerhebliche Rolle dabei spielte.

      Des Öfteren kam sie erst spät am Abend heim. Aufgrund von vielen Aufträgen übernahm sie neben ihrer eigentlichen Arbeit auch selbst einige Flüge.

       Unabhängig davon, dass der Aufschwung auch in Yvonnes Firma einen positiven Einfluss auf ihre Kontostände zeigte. Er regulierte ihren Libido wieder auf ein bürgerliches für Biçon erträgliches Maß.

      Über Weihnachten flogen sie auf die Bahamas. Das Osterfest verbrachten sie schwitzend in Kenia.

      So vergingen die Monate. Doch bei ihren abendlichen Gesprächen kamen sie immer öfter auf ein bestimmtes Thema zurück.

      »Schatz, wenn wir in den Firmen wieder mehr Luft haben, dann müssen wir uns endlich um das Vorhaben kümmern!«, mahnte Biçon gelegentlich.

      Dann lächelte sie. »Klingt gut. »Das Vorhaben«. Du meinst unseren verrückten Plan?«

      Er ergriff ihre Hand. »Willst du es nicht mehr anpacken? So wie wir es gemeinsam geplant haben?«

      Daraufhin lehnte sie sich an ihn. »Natürlich will ich es. Lass’ uns aber bald beginnen. Nicht, dass wir noch kneifen!«

      Nun war es so weit. Heute wollten sie zur Sache kommen. Biçon begann damit, dass er bereits zur Mittagszeit daheim im Arbeitszimmer saß.

      Immer wieder ließ er seinen Blick über die von der Sonne überflutete herbstliche Stadt schweifen. Er überlegte, welche Schritte sie zuerst gehen sollten.

      Natürlich hatte er in den vergangenen Monaten auch mehrfach über das Ganze nachgedacht. Skizzenhaft entwarf er dabei ihr Vorgehen. Schrieb auch auf, was besonders beachtet werden musste. Grübelte über eventuelle Hindernisse nach.

      Zum einen wollte er Kolja Bruhns ausfindig machen, um ihm die Unterlagen zur »Flamme« abzunehmen. Wie er danach mit dem früheren »Kampfgefährten« verfahren würde, dessen war er sich bisher noch nicht schlüssig.

      Den Vorrang besaß für ihn jedoch eine andere Intention. Aber wenn er über sie nachdachte, beschlich ihn jedes Mal ein flaues Gefühl.

      Daher verlor er bisher zu diesem Thema gegenüber Yvonne auch noch kein Wort. Vor allen, weil er sie derzeit damit nicht belasten wollte.

      Denn sollte es ihm gelingen den Mörder seines Bruders ausfindig zu machen dann musste er ihn töten.

       Auch, wenn er damit einen geplanten, vorsätzlichen Mord begehen würde! Und genau aus diesem Grunde hielt Biçon diesen Teil seines Vorhabens bisher vor Yvonne geheim. Irgendwann musste er es ihr allerdings sagen. Das konnte er aber erst dann tun, wenn er alle notwendigen Informationen dafür beisammen hatte.

      Um sich etwas zu stimulieren, ging Biçon nach nebenan zum Barschrank und holte sich einen großzügig bemessenen Brandy. Alsdann setzte er sich wieder an den Schreibtisch. Er prostete dem Eiffelturm zu und ließ einen großen Schluck des feinen Tropfens langsam in Richtung Magen rinnen.

      So wie ihn eine wohlige Wärme durchströmte, begann sein Hirn auf einer anderen Ebene zu arbeiten. Denn genau das brauchte er, um geistig rege zu sein!

      Mit dieser selbst gezimmerten Weisheit begründete er gern sein Verlangen nach einem guten Schluck!

      Er stellte das Glas beiseite und schlug ein mit hellgrauer Folie eingebundenes, kleines Notizbuch auf. Dieses Büchlein besaß er schon, als er noch den Namen Bauerfeind trug und im Auftrag des MfS in der Ukraine tätig war. Dieses Buch hatte er bei seiner Flucht aus Österreich mit nach Paris gebracht. Gut behütet über alle Jahre hinweg.

      Es begab sich zu jener Zeit, als er mit fünf Millionen DM in der Tasche allein in einem kleinen, schäbigen Hotelzimmer in Paris hockte.

      Er erinnerte sich genau, wie er damals eine große Flasche billigen Bauernwein öffnete. Das rote Gesöff goss er in ein Zahnputzglas. Dann trank er und nahm dieses Notizbuch zur Hand.

      Daraufhin zermarterte er sein Hirn auf der Suche nach Erinnerungen. Nach Dingen, die sich bis zu jenem Tag ereignet hatten, an dem er in Frankreich angekommen war. Alles, was in seinem Schädel gespeichert war, gab er dem Büchlein preis. Namen, Gesichter, auffällige Erlebnisse in der Ukraine, im Ministerium und im Bregenzer Wald

      Diese Erinnerungen schrieb er in dieser Nacht fein säuberlich auf. Auch später kritzelte er alles in das Notizbuch, was ihm noch zu seiner Vergangenheit einfiel, was er als »Wichtig« einstufte.

      Gedankenversunken blätterte Biçon wahllos durch sein Büchlein, bis er sich schließlich zur Ordnung rief.

      »Disziplin bitte!«, herrschte er sich selbst an. »Nun dann schauen wir doch mal was wir über die alten Genossen so alles festgehalten haben«, knurrte er und trank noch einen Schluck.

      Bereits nach kurzer Zeit fand er die ersten, brauchbaren Notizen. Er notierte die aufgeführten Fakten auf den Schreibblock.

      Es verging noch gut eine halbe Stunde, bis er seinen PC hochfuhr, um sogleich ins Netz zu gehen.

      Bevor er sich jedoch dort in Zeit und Raum verlor, stand er auf und holte sich spontan einen zweiten Brandy.

      Dann ging er zu Werke. Er stieß im Netz auf mehrere Trassenportale und verschiedene Homepages, die sich mit der »Drushba Trasse« und mit der »Erdgastrasse« beschäftigten.

      Er war bass erstaunt, wie viele ihm bekannte Namen und alte Verbindungen er dort finden konnte.

      In einem der Portale stieß er zudem auf ein besonders großes Bildarchiv. In solche Archive luden die früheren Kumpels schon seit Jahren jene Fotos hoch, die sie irgendwann selbst mal an der Trasse gemacht hatten.

      Mit einem falschen Namen meldete er sich auf dem Portal an, um danach sofort Zugriff auf alle Seiten zu bekommen.

      Die Fotos wurden an der Drushba-Trasse und den drei Bauabschnitten der Erdgastrasse gemacht. Doch bei seiner Suche halfen ihm die Bildunterschriften ebenso wie die vielen Kommentare.

      Schließlich entdeckte er mehrere Fotos von einer Faschingsfeier in Prokowski. Die fand laut den Bildlegenden im Jahre Sechsundachtzig statt.

      Die Verbindung des Wortes »Fasching« mit der betreffenden Jahreszahl ließ Biçon sofort aufmerken. Doch so nett und teilweise erheiternd die Bilder auch waren.. Es befand sich keines darunter, das ihm weiterhelfen konnte. Wenn er sich richtig erinnerte war zu dem Zeitpunkt, als diese Fotos gemacht wurden, sein Bruder bereits schon seit Stunden tot!

      Nunmehr recht frustriert klickte er sich in der Galerie noch ein paar Bilder weiter. Eigentlich wollte er die Seite wieder verlassen. Doch da entdeckte er noch ein Gruppenfoto, das durch einige Elemente an den Fasching erinnerte. Die kurze Bildunterschrift ließ sein Herz höher schlagen und plötzlich wurde ihm heiß. Eine innere Stimme sagte ihm, dass dieses Bild für ihn ganz wichtig wäre.

      »Elferratssitzung, Prokowski Sechsundachtzig« stand dort geschrieben.

      Biçon schaltete die Vergrößerung der Bildanzeige hoch. Aufmerksam musterte er die Gesichter der abgebildeten Personengruppe.

      Dann brach jäh ein lautes Schluchzen aus seiner Brust. Seine Hände zitterten heftig, als er auf das schwarz-weiße Bild starrte.

      Übers ganze Gesicht lachend schaute ihm ein fröhlicher, junger Mann entgegen.

      Sein kleiner Bruder Mirko!

      Nach dem ersten Aufbranden der Freude und des Schmerzes überzog ihn ein kalter Schauer, als tauchte er in Eiswasser ein. »Mein Gott«, murmelte er. »Mirko lacht hier so unbeschwert und ein paar Stunden später soll er schon tot gewesen sein!« Biçon stützte den Kopf in beide Hände, aus nassen Augen starrte er auf den Monitor. In das ihm immer noch so sehr vertraute Gesicht seines Bruders.

      Dann musterte er aufmerksam das gesamte