Thomas Helm

"Tödliches Finitum"


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helfen?« Der Gesuchte meldete sich anscheinend persönlich.

      »Guten Tag! Mein Name ist Biçon. Spreche ich mit Monsieur Faber?«

      »Jawohl, Faber selbst am Rohr, wo klemmt das Schloss?«

       »Monsieur! Ich bin Journalist und arbeite für das französische Fernsehen. Wir bereiten eine Dokumentation vor. Die sich, neben den grandiosen Bauleistungen, auch mit bestimmten Vorfällen an der früheren Erdgastrasse der DDR befasst.«

      Einen langen Augenblick herrschte Schweigen. Faber schien zu überlegen, bevor er antwortete.

      »Gut. Aber was habe ich damit zu tun?«, entgegnete er.

      »Monsieur Faber! Sie sind uns als kompetenter Fachmann für dieses Thema empfohlen worden. Daher wäre ich kurzfristig an einem Gespräch mit Ihnen interessiert!« Biçon hörte Fabers überraschtes Lachen.

       »Einverstanden. Wann wollen Sie bei mir vorbei kommen? Heute noch?«

      »Nun ja. Ich bin heute zufällig hier in die Stadt Bernau. Ich könnte Sie noch aufsuchen.«

      »Gut, von mir aus. Aber um sechs mache ich Feierabend«, entgegnete Faber und legte auf.

      Aus seiner Handgelenktasche suchte Biçon einen gefälschten Presseausweis hervor. Den hatte er daheim am Computer auf einer Originalvorlage ohne Aufwand hergestellt.

      Er schloss den Wagen ab, ging schräg über den Parkplatz, wo er bei seinem Rundgang ein kleines Café entdeckt hatte.

       Dort trank er in aller Ruhe einen Milchkaffee und wartete ab. Interessiert durchstöberte er dabei zwei deutsche Tageszeitungen. In beiden Blättern sprang ihm das gleiche Thema ins Auge. »Fenstersturz aus Hotelzimmer. Unfall oder Mord?« Er blätterte weiter.

      Kurz vor achtzehn Uhr zahlte er.

      Es war bereits dunkel geworden. Faber wollte wohl zum Geschäftsschluss soeben den Laden abschließen als Biçon entschlossen eintrat.

      Faber warf einen raschen Blick auf seine Armbanduhr, blickte dann dem Kunden erstaunt entgegen.

       »Entschuldigen Sie, Monsieur, dass ich so spät noch komme. Wir haben telefoniert«, sagte Biçon in einem bewusst weichen Französisch.

      Der Ladeneigentümer erkannte sofort, dass der Anrufer vom Nachmittag vor ihm stand.

      Biçon und Faber waren sich vorher noch nie begegnet.

       Aber auf dem Weg hierher hatte sich Biçon mehrfach eine Frage gestellt. Wie sah der Mann wohl aus der seinen toten Bruder gesehen und alle Untersuchungen zu seinem Tode durchgeführt hatte?

      Jetzt stand ein großer, hagerer, leicht gebeugter und schon sichtlich ergrauter Mann vor ihm. Er trug einen blau glänzenden Berufsmantel, an dessen Brusttasche ein Schild mit seinem Namen steckte. Der dünne Mantel hing auf seinen Schultern wie über einem Kleiderbügel.

      Biçon stellte sich mit dem gefälschten Presseausweis und unter seinem französischen Namen vor. »Da ich bereits in der Nähe war, habe ich mir erlaubt, Monsieur Faber, Sie gleich heute noch zu überfallen. Ça marche?«, begründete er sein überraschendes Erscheinen. Bei diesen Worten lachte er etwas geziert, um den französischen Charmeur ein bisschen heraushängen zu lassen. Dabei sah er sich aufmerksam im Laden um.

      Faber schien Biçons simpler Auftritt zu beeindrucken. »Geht schon in Ordnung. Wir setzten uns dort hinüber an den kleinen Tisch«, entgegnete er. Wobei er mit der Hand zu einer Ecke des Ladens deutete.

      Aus der Nähe sah Biçon sofort, wie stark Faber von Alkohol und Nikotin bereits gezeichnet war. Er setzte sich an den Tisch, zog ein Diktiergerät aus seinem Jackett und schaute den Deutschen fragend an.

      Der nickte zustimmend. »Das können Sie von mir aus verwenden. Einen Augenblick Geduld bitte dann werden wir miteinander schwatzen.«

       Daraufhin verschwand er mit einem verschwörerischen Augenzwinkern in einen Nebenraum. Kurz darauf kam er mit eine Flasche Rotwein und zwei Gläsern zurück.

       Ächzend ließ er sich gegenüber von Biçon auf einen Stuhl fallen. Wortlos goss er den Wein in das zeitlose Pressglas. Sie stießen an und tranken.

       Dann begann der TV-Mann das Gespräch. »Monsieur Faber! Bei »TV-Eins« machen wir eine Dokumentation über den Bau von Erdgastrasse. Durch Bauorganisation der DDR, n'est-cepas?. Ich recherchiere dafür über das Thema »Unfälle und Todesfälle« an der Trasse im Allgemeinen. Aber insbesondere im Ural.

      »Da sind Sie bei mir wirklich an der richtigen Adresse!«, warf Faber überrascht ein. Wobei seine Augen plötzlich aufleuchteten. Auch schwang so etwas, wie Stolz in seiner rauchigen Stimme mit. »Ich war damals, das ist schließlich kein Geheimnis Sicherheitschef auf einer Baustelle im Ural. Der Standort hieß Prokowski.«

      Biçon spürte bereits nach den wenigen Minuten eines. Fabers Arbeitstag konnte wohl kaum von starker Kundenfrequenz geprägt gewesen sein. Denn er hatte wahrscheinlich schon vor seinem Eintreffen seinen Schrank mit den Alkoholitäten nicht nur einmal aufgesucht.

      Nein. Betrunken war Faber keinesfalls aber sehr gesprächig!

      Unbeeindruckt brannte er sich eine Zigarette an, plauderte locker über die verschiedensten Unfälle. »Das, was sich damals da draußen in den eisigen oder von glühender Sonne überfluteten Weiten Sibiriens ereignete«, sagte er bedeutungsvoll »das bot uns oft einen schrecklichen Anblick. Doch es waren Vorfälle, die ich gemäß meines Amtes bearbeiten musste!«

      Biçon ließ den früheren Sicherheitschef fabulieren, er machte sich keine Notizen, denn das Band lief ja mit.

      Dann erwähnte Faber endlich von allein, so ganz nebenbei, das eigentliche Thema. Eben das, wegen dem Biçon hier aufgetaucht war. »Natürlich gab es auch Selbsttötungen, da draußen. Obwohl man von offizieller Seite auf alle Fälle versuchte solche Vorkommnisse zu vertuschen! Es passte nicht in unsere heile, sozialistische Arbeitswelt, dass sich junge Menschen fernab der Heimat selbst umbrachten. Egal was die Ursache dafür war.«

      Biçon zeigte sich nunmehr sehr interessiert.

      Faber lenkte jedoch sofort ein, als er um Details gebeten wurde. »Nun ja. Es war wohl im Grunde genommen nur eine einzige Selbsttötung, mit der ich mich befassen musste. Diese fand, man stelle sich das vor ausgerechnet vor einer Faschingsfeier statt!«

      Biçon setzte sich prompt aufrecht hin und hob die Brauen. »Ach was! Suicide sur le carneval? Selbstmord zu Fasching? Wie passt das denn zusammen?«

      Den Kopf auf die Hand gestützt starrte Faber, nachdem er wieder einen Schluck vom Roten genommen hatte, mit feuchten, traurigen Augen vor sich hin. »Seltsam! Aber ich weiß es noch genau«, murmelte er nachdenklich und sog an seinem Glimmstängel. Daraufhin räusperte er sich und hob wieder die Stimme. »Es war an einem Sonnabendmorgen vorm Fasching im Jahre Sechsundachtzig. Da haben wir den Jungen gefunden. Angeblich hatte er sich mit seinem Schal erhängt!« Faber trank nunmehr hastig sein Glas in einem Zug leer und schüttelte den Kopf.

      Biçon hingegen hakte sofort nach. »Angeblich? Wieso angeblich? Wie meinen sie das? War es denn kein Selbstmord?«

      Faber wedelte den Rauch seiner Zigarette von sich weg. Er stieß die Kippe in den Ascher und hustete. »Selbstmord? Das war die offizielle Todesursache mein Herr! Damals als das passierte herrschte auf den Baustellen große Hektik. Wegen riesiger Probleme, die wir hatten. Keiner fand wohl daher die nötige Zeit, die Motivation oder das Interesse, um diese Sache richtig abzuklären. Also gab’s von mir einen offiziellen Bericht mit allen notwendigen Unterschriften drauf. Kiste zu und ab mit dem Jungen in die Heimat!«

      Biçon spürte, wie sich ihm bei Fabers letzten Worten die Nackenhaare aufstellten.

       Doch der Deutsche war mit seinem Latein noch nicht am Ende. », Monsieur Biçon! Ich sag Ihnen was. Wir hatten alle einen Verdacht, aber wir konnten es nicht beweisen! Von wegen »Lampe halten« und so!« Er schürzte kurz die Lippen und rieb sich über das stoppelige Kinn. »Er war ein hübscher Junge, der Tote. Ich kannte ihn. Ein bisschen weich vielleicht, obwohl er beim LT gerackert hat. Aber es gab da auf der Baustelle so einen