Thomas Helm

"Tödliches Finitum"


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Das war allein sein Ding. Aber der Kerl vögelte wohl mit Vorliebe fesche Jungs. Dennoch, wie schon gesagt. Keinerlei Beweise alles nur Vermutungen!« Faber nickte vielsagend, kniff dabei heftig Lippen und Augen zusammen.

      Biçon jedoch versuchte, das Zittern seiner Hände zu unterdrücken. Jetzt war der Zeitpunkt gekommen, wo er die Fakten bekommen musste. »Ich denke, solche Kerle haben sich wohl nach der Wende gleich in die Karibik abgesetzt, fait départ, oder?«, fragte er in einem bewusst gleichgültigen Tonfall.

      Faber platzte sofort heraus. »Verpisst? Nee, nee, wenn’s nur so wäre! Solche Typen fallen doch immer wieder auf die Füße. Die machen dabei noch auf dicke Mappe! Nee, nee! Der Sack hat’s sogar ganz weit nach oben geschafft! Als die hier in der Stadt vorn paar Jahren das Einkaufscenter gebaut haben, da hab’ ich ihn ein paar Mal gesehen. Ich war auch dort auf der Baustelle, weil die bei mir neue Schlösser für ihre Baucontainer bestellt hatten. Da wurden einige von den Dingern aufgeknackt, die Container leer geräumt. Also. Da hab ich ihn gesehen den Herrn Investor im fetten Daimler. Ich hab’ ihn auch sofort wiedererkannt!«

      Biçon wusste, dass jetzt der Augenblick gekommen war, wo Faber alles rauslassen musste. »Das ist ja hochinteressant, dass solche Leute in der Bundesrepublik wieder einen geschäftlichen oder sogar gesellschaftlichen Aufstieg vollziehen können. Vom Kommunisten zum Kapitalisten! Das hätte ich nicht gedacht! Ich nehme aber an, dass sie den Kerl dann nie mehr gesehen haben?«

      Faber stieß ein trockenes Lachen aus, das in einen heftigen Hustenanfall überging. »Denkste, Monsieur!«, japste er nach einer Weile, als er sich wieder beruhigt hatte. Mit dem Finger zog er das linke, untere Augenlid herab und schaute Biçon dabei eindringlich an. »Sie meinen wohl eher vom Bubenschänder zum Saubermann? Aber ich brauchte den Kerl nicht mehr zu sehen. Denn ich wurde natürlich neugierig, habe im Netz recherchiert. Wozu ist man denn von »die Sicherheit«? Da habe ich diesen Fiesling auch gleich gefunden. Ja! Der betrieb damals schon seit Jahren eine feine Investmentgesellschaft in Westberlin.« Noch bevor Biçon ihm eine weitere Frage stellen konnte, sabbelte Faber mit einem breiten Grinsen fort. »Ich habe bei der Recherche noch einen zusätzlichen Treffer gelandet. Habe dabei sogar den früheren Beauftragten der Stasi für meinen Bauabschnitt wiedergefunden. Ich meine für den Ural. Mit dem habe ich damals all die Jahre viel zu tun gehabt. Wir kannten uns recht gut. Aber jetzt ist der Kerl stinkreich, hat eine große Sicherheitsfirma in Berlin. Ja auch der ist wieder auf die Füße gefallen. Nicht wie wir die aufm Arsch gelandet sind!«

      »Wie meinen sie das?«, hakte sich Biçon ein.

      »Nun ja. Es ist schon einige Zeit her. Bevor ich mich mit dieser Klitsche hier selbstständig machte. Da hab’ ich mal bei ihm angefragt. Wegen eines Jobs. Weil ich damals gerade arbeitslos war. Wir sind uns in Berlin, auf der Friedrichstraße, ganz zufällig übern Weg gelatscht. Wir haben bisschen gequatscht. Da sagte er zu mir, dass er jetzt eine kleine Sicherheitsfirma hätte. Ich hab’ ihn natürlich gleich wegen Arbeit angehauen. Aber er hat nur gesagt, dass er keine alten Seilschaften will, wie es derzeit überall herum erzählt wird!« Faber lachte böse auf und klopfte sich mit dem Zeigefinger heftig gegen die Stirn. »Der wollte mich für blöd verkaufen! Denn kurz danach wusste ich ganz genau, warum. Ein Kumpel erzählte mir nämlich, dass der alte Sack seine Firma gemeinsam mit zwei anderen ehemaligen Stasitypen betreibt! Von wegen – keine Seilschaften!« Faber goss Biçon, der eigentlich abwehrte doch noch ein Glas Wein ein.

      »Monsieur Faber! Die deutschen Gesetze! Isch bin mit dem Auto hier!« Der Sicherheitsmann winkte unwillig ab, woraufhin Biçon einen weiteren Vorstoß unternahm. »So viel Informationen. Sehr interessant! Alle Achtung, dass Sie sich nach so langer Zeit noch an diese ganzen Namen und all die Details so gut erinnern können!«

      Faber sprang unvermittelt auf und öffnete einen grauen Stahlschrank, der in der Ecke des Ladens stand.

       Mit einem Aktenordner in der Hand kam er an den Tisch zurück und grinste breit, wobei seine schadhaften Zähne zu sehen waren.

       Er ließ sich wieder auf seinen Stuhl fallen und hielt Biçon triumphierend die Vorderseite des Ordners entgegen.

       »Was aus wem geworden ist«, stand da in fetten, roten Buchstaben geschrieben.

      Biçon fühlte sofort, dass er jetzt ganz nah dran war.

      Faber schlug den Ordner auf. Als Erstes präsentiert er ihm das Impressum von Knäbleins Firmenseite. Die Privatadresse von Knäbelein hatte er wohl handschriftlich dazugesetzt.

      Auf einem zweiten Blatt war das Editorial von einer anderen Firmenseite ausgedruckt.

       »FUSIONA«. So lautete der Name dieser Firma.

      Gegenüber Faber zeigte Biçon zwar kein Wiedererkennen, aber innerlich frohlockte er. Und ein bestimmter Name auf dem Blatt bestätigte ihm, dass er wirklich dran war.

      Horst Weiler!

      Auch wenn Yvonne daheim eben diese Seite bereits ausgedruckt hatte. Hier entdeckte er noch etwas für ihn ganz Entscheidendes.

      Faber hatte auch die Privatadressen der drei Geschäftsführer herausbekommen und sie auf dem Blatt notiert.

      Langsam wollte Bicon das Gespräch mit dem früheren Sicherheitschef zu Ende bringen. Daher hielt er es für angebracht, sich an dieser Stelle zu empören. »Es ist doch sehr befremdlich, dass es augenscheinlich viel mehr von den früheren Funktionären geschafft haben wieder nach oben zu kommen. Mehr als ich dachte!«, rief er aus. »Doch warum sollten sie eigentlich keine zweite Chance bekommen?«, setzte er nach einer Kunstpause scheinheilig hinzu.

      Faber riss wegen Biçons scheinbarer Meinung überrascht die Augen auf. Daraufhin echauffierte er sich etwas unflätig über »diese Aasgeier«, denen keine zweite Chance zustünde«.

       Erregt sprang er auf. Vor sich hin mosernd und für Biçon völlig überraschend nahm er die betreffenden Blätter aus dem Ordner. Er schob sie durch einen Kopierer und legte die Duplikate vor dem Franzosen auf den Tisch.

       Der bedankte sich, war von dieser großzügigen Geste überrascht. Daraufhin führte er das Gespräch der Form halber noch ein Weilchen allgemein gehalten weiter.

      Schließlich verabschiedeten sich die beiden Herren.

      Bei ihrem Händedruck schaute Faber einen Augenblick lang tief in Biçons Augen. »Ein Schlitzohr, der Herr Rechercheur!«, sagte er leise, bevor er die Tür aufschloss.

       Als er in seinem Laden wieder allein war, goss er sich den Rest des Weines ein. »Journalist? Nette Idee! TV? Haha! Doch was soll’s? Alles nimmt irgendwann seinen Lauf. Es erwischt sie allesamt!« Faber löschte das Licht im Verkaufsraum und schlurfte in das nebenan gelegene Zimmer. Denn dort wohnte er.

       Ein Vermeintlicher Fortschritt (Berlin Ende 2005)

      Es war bereits Anfang Dezember. Doch das nasskalte Schmuddelwetter ließ kaum vorweihnachtliche Gefühle zu. Obwohl bei beginnender Dunkelheit in den Straßen überall die bunten Festdekorationen blinkten und die Supermärkte schon seit Wochen die Kunden mit Weihnachtsartikeln bombardierten.

      Zu dieser Zeit stand Kappner und auch Steincke kaum der Sinn nach einem gemeinsamen Kneipenbesuch. Obwohl beide sicherlich etwas Abwechslung mit Quatschen und einigen Bierchen gebraucht hätten. Zumal sie in den vergangenen Wochen in ihren jeweiligen Firmen straff eingespannt wurden und ihre Freizeitfonds zumeist gegen Null tendierten.

      Bei Steincke waren es die vielen Kunden, die das Weihnachtsfest gern in einer anderen Wohnung oder im neu erworbenen Haus feiern wollten.

      Bei Kappner indes forderte eine Vielzahl auch opulenter Weihnachtsfeiern verschiedener Firmen einen hohen Zeitaufwand. Dabei war es gleich, ob sie in seinem Betriebsrestaurant oder als Catering stattfanden. Zumindest lief das alles neben dem normalen Tagesgeschäft ab.

      An einem jener Tage fügte es sich, dass beide überraschend zusammentrafen.

      Es war gegen zehn Uhr.

      Das Frühstücksgeschäft in Kappners Betriebsrestaurant war vorbei. Gemeinsam mit zwei Ausgabekräften überprüfte er soeben den Stand der Vorbereitungen