Thomas Helm

"Tödliches Finitum"


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Er warf prüfende Blicke auf die einzelnen Komponenten, roch und kostete mit Löffelchen und Teller.

      Da hieb plötzlich jemand mit der Hand auf den gläsernen Hustenschutz, der die Ausgabe vom Gastraum abschirmte.

      Kappner hob erschreckt den Kopf und schaute in Steinckes Gesicht. »Ich denk‘ mein Schwein pfeift!«, rief er aus. »Mann, Steincke! Mich so zu erschrecken. Ich bin sensibel! Schon vergessen?«

      Beide lachten und Kappner schlug in die Hand ein die ihm der Freund über die Ausgabe entgegenstreckte.

      »Hast du für ’n Moment Zeit?«, fragte Steincke. »Ich habe nämlich gerade hier in der Nähe ’ne Immobilie besichtigt. Und da dachte ich, dass ich mal rasch bei dir vorbeikomme.«

      Kappner nickte zustimmend. Er gab seinen Leuten noch einige Anweisungen, kam dann hinaus in den Gastraum. »Willst du ’n Kaffee?«, fragte er. Nachdem Steincke seinem Angebot zugestimmt hatte, ging er zum Kaffeeautomaten in der Selbstbedienungsreihe. »Setz‘ dich doch schon mal rüber ans Fenster!«, rief er über die Schulter hinweg. Dabei zapfte er die zwei Pötte. »Immer noch schwarz?«, fragte er. Ohne die Antwort abzuwarten, trug er das Tablett zu einem der Tische.

      »Mann, oh Mann«, stöhnte Steincke, der sich auf einen der Stühle fallen gelassen hatte. »Ich hab’ schon befürchtet, dass wir dieses Jahr gar nicht mehr zusammenkommen. Sag Theo! Bekommst du auch schon Entzugserscheinungen?«

      Kappner stellte die dampfenden Kaffeepötte auf die blanke Tischplatte und setzte sich ebenfalls. »Mach’ nicht solche Panik, Helmuth! Ich denke, es sind noch keine fünf Wochen her, dass wir beide zuletzt in der Kneipe waren«, sagte er nach kurzem Überlegen.

      Steincke stutzte, schüttelte den Kopf und trank vorsichtig vom Kaffee. »Kann ich hier rauchen?«, fragte er, wobei er bereits Zigaretten und Feuerzeug hervorholte.

      Kappner grinste und deutete auf den Aschbecher, der vor Steincke auf dem Tisch stand. Ja«, sagte er, »noch darfst du das. Aber ab dem ersten Januar ist Schluss damit! Na ja, bisher war bei uns über die Mittagszeit schon immer alles rauchfrei. Aber für die Frühstückszeit fällt das dann auch weg. Alles im Rahmen der Weltgesundheit!«

      Steincke brannte sich eine Zigarette an und zerrte seinen Schlipsknoten auf. Stöhnend öffnete er zudem den unteren Knopf an seiner Weste.

      Kappner warf ihm einen fragenden Blick zu, wobei er auf dessen Bauchansatz deutete.

      Steincke verstand den Wink und verdrehte genervt die Augen. »Ja, ja! Ich weiß was du denkst. Dennoch! Ich hab’ nichts getrunken. Die letzte Zeit meine ich. Aber ich hab’ wohl doch etwas zugenommen. Denn, wenn ich in der Stadt unterwegs bin, komme ich an keiner Currywurstbude vorbei. Mann! Das ist wie ein bedingter Reflex!« Sein Lachen hörte sich ziemlich krampfig an, als er ans Revers seines Sakkos griff. »Diesen Anzug hier, den habe ich erst vor einem halben Jahr im KaDeWe gekauft!«, jammerte er und blies den Rauch zur Decke hoch.

      Kappner sparte sich einen Kommentar. Er wechselte das Thema. »Weil du gerade mal da bist. Also, was ich wissen wollte, Helmuth!«, fragte er, nachdem er von seinem Kaffee getrunken hatte. »Hast du das Einkaufzentrum vom Knäbelein denn eigentlich schon verkauft?«

      Steincke nickte zögerlich, schnippte die Asche von der Zigarette und griff nach seinem Kaffeepott. Er trank einen Schluck und wischte sich langsam über die Lippen. »Sicher. Ich konnte das Ding verkaufen. Knäbelein und der Käufer haben den Kaufvertrag beim Notar beurkundet. Alles ist OK! Der Knäbelein hat schon meine Rechnung für die fällige Maklerprovision bekommen. Geht also seinen Gang.«

      Kappner zeigte sich von Steinckes letzten Worten etwas überrascht. »Entschuldige, bitte. Wieso hast du dem Knäbelein eine Rechnung geschickt? Zahlt nicht sonst der Käufer an dich als den Vermittler?«

      Steincke sog an seiner Zigarette, lehnte sich zurück und nickte. »Berechtigte Frage, Theo. Im Grunde genommen ist es ja so, dass mir der Kunde meine Provision zahlt. Aber Knäbelein, als Verkäufer hatte mir von sich aus eine, wie wir es nennen Innenprovision angeboten. Das haben wir dann schließlich auch schriftlich vereinbart. Eigentlich müsste die Kohle in den nächsten Tagen auf dem Firmenkonto ankommen. So denke ich jedenfalls!«

      Kappner zeigte sich über den Erfolg des Freundes erfreut. »Helmuth! Da ist ja das Weihnachtsfest gesichert, auch für deine Mitarbeiter! Wieso guckst du dann, so belämmert in die Gegend?«

      Steincke drückte energisch den Rest seiner Zigarette im Aschbecher aus. Die Augen zu schmalen Schlitzen zusammengekniffenen starrte er einen langen Augenblick auf den Freund. Dann bequemte er sich zu einer Antwort. »Da stimme ich dir zu, Theo. Alles paletti. So sollte man glauben. Aber meine Kunden zahlen in der Regel spätestens nach zwei Wochen meine Provision. Der Knäbelein aber, der alte Sack, der lässt mich schon fast einen Monat hängen!« Steincke stieß ein gepresst klingendes Lachen aus. »Es ist ja nicht so, dass ich deswegen gleich Pleite gehe! Aber mir geht’s dabei auch ums Prinzip, weil das etwas mit sauberen Geschäftsgebaren zu tun hat.«

      Kappner trank seinen Kaffee aus. »Denkst du etwa, dass der Knäbelein ein linkes Ding drehen will?«

      Steincke überlegte einen Augenblick. Er schüttelte den Kopf und zog die Schultern hoch. »Das hoffe ich nicht! Aber ich rücke ihm, sollte er bis spätestens nächste Woche immer noch nicht gezahlt haben persönlich auf die Bude!«

      Kappner nickte ihm zustimmend zu.

      Steincke wechselte unvermittelt das Thema. »Sag mal Theo! Wie gehen denn bei euch die Geschäfte? Macht ihr immer noch Catering, jetzt für die ganzen Weihnachtsfeiern in anderen Firmen? Oder am Abend hier im Restaurant?«, fragte er. Dabei deutete er mit einer ausgreifenden Geste in den weihnachtlich dekorierten Gastraum.

      Kappner stutzte. Warum hatte der Freund das Thema gewechselt? Fühlte er sich betroffen wegen Knäbeleins seltsamer Zahlungsmoral? Glaubte er sich gelinkt von dem Mann, vor dem er ihn gewarnt hatte? Doch er ging nicht mehr darauf ein. Stattdessen winkte resignierend ab, und stellte das Kaffeegeschirr aufs Tablett. »Man kann nicht nur vom Weihnachtsgeschäft ausgehen. Da läuft es noch ganz gut. Mit Weihnachtsfeiern und so. Aber das Jahr hat noch elf andere Monate. Da geht’s in unseren Restaurants in etwa so wie in unserer Kneipe. Dort hat der Werner der Kneipier auch nicht mehr so viele Gäste wie früher.«

      Steincke hob fragend die Brauen. »Du meinst mit »früher« die Zeit vor dem Euro?«

      »Ja, genau so geht’s uns mit den beiden Betrieben auch.« Kappner deutet über die Tischreihen hinweg. »Es ist eine Tatsache, dass sich unsere Umsätze in den vergangenen Jahren fast halbiert haben. Aber nicht weil wir in der Qualität nachgelassen hätten. Nein! Das ist sicherlich nicht der Fall.

      Steincke beugte sich zu ihm hin. » Eure Kundschaft spart am Essen?«

      Kappner nickte und deutete hinüber zur Ausgabereihe. »Nicht nur dabei. Früher packten sich die Mittagsgäste noch ein Getränk und ein Dessert aufs Tablett. Das ist heute bei vielen eben nicht mehr drin. Und statt sie die fein belegten Frühstücksbrötchen hier bei uns kaufen bringt man jetzt wieder Stullen von daheim mit!«

      Steincke schob mit dem Finger die Kippe im Ascher herum. »Kann es mir denken. Es liegt am Preis?«

      Kappner nickte. »Ja! Unsere Einkaufspreise sind kontinuierlich gestiegen. Wir müssen immer neu kalkulieren, aber leider nicht nach unten. Doch die Einkommen unserer Gäste haben in den vergangenen Jahren nicht zugenommen. Also sparen sie an den Mahlzeiten außer Haus. Wir können froh sein, dass sie dennoch bei uns bleiben. Und nicht stattdessen vorn an der Ecke ’ne Currywurst essen gehen.«

      Einen Moment herrschte ein nachdenkliches Schweigen zwischen den Freunden.

      Dann hieb Kappner mit der Hand auf Steinckes Schulter. »Nun ja! Die Zeiten sind vorbei, wo wir so viele »Rüben« verdient haben, wie damals an der Trasse. Von dir »fast-Millionär« mal abgesehen. Aber was soll‘s? Jammern gibt ’s nicht bei uns. Lass uns lieber bald mal wieder zusammen etwas trinken gehen!«

      Steincke nickte zustimmend. Dabei schaute er überrascht zur Tür, wo soeben die ersten Mittagsgäste hereinkamen. Dann fiel sein Blick auf die großformatige rote