Thomas Helm

"Tödliches Finitum"


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seine Leiche unten im Stausee.« Zernick hielt einen Moment inne und schüttelte den Kopf. »Aber zu dieser Zeit hatte ich genug um die Ohren. Weil er zudem angeblich beim Eisangeln ertrunken war, wie uns die Miliz mitteilte, habe ich mich auch nicht mit dem Vorgang befasst. Und, weil auch keiner eine Untersuchung angestrebt hat, geriet bald alles in Vergessenheit.«

      Weiler, der sich Zernicks Erzählung bis hierhin mit Interesse angehört hatte, schaute nunmehr sehr überrascht drein. »Mann, das ist ja noch so ’ne Räuberpistole! Was aber in Dreiteufelsnamen hat der Kerl dir denn eigentlich erzählt?«

      Zernick legte die gefalteten Hände vor sich auf den Schreibtisch. Er fixierte den Partner mit einem scharfen Blick, seine Antwort kam etwas stockend. »Es war eigentlich nicht viel, – was er bei mir ausgeplaudert hat«, sagte er und schluckte heftig. »Er wäre Mitglied in einer bestimmten – Gruppe, die irgendwas in einem der Verdichterfundamente eingebaut habe. Man hätte ihnen erzählt, dass dieses Teil, – das sie da eingemauert haben – eine vor den Sowjets geheim zu haltende, neuartige Messanlage wäre. Bei einer Sauferei musste er aber von seinem Gruppenführer hören, dass es was ganz anderes ist! Seine Kenntnis darüber würde nun sein Gewissen gewaltig belasten. Zumal er ja dem MfS gegenüber bestimmte Verpflichtungen eingegangen wäre! Und ich sollte ihm da unbedingt raushelfen. Das so ungefähr – hat er gesagt! Zumindest habe ich das so verstanden und auch noch in Erinnerung.«

      Weiler setzte zu einer weiteren Frage an.

      Zernick hob jedoch abwehrend die Hand, um sogleich fortzufahren. »Nein, nein, den Namen des Genossen, der die Aktion führte, hatte er mir nicht genannt. Auch keine weiteren Einzelheiten. Ich musste aber davon ausgehen, dass der Gruppenleiter – ein OibE gewesen ist.«

      Eine geraume Zeit herrschte Stille im Raum.

      Zernick massierte angelegentlich sein Kinn.

      Weiler hingegen starrte in seine leere Kaffeetasse. Bis er sich schließlich leise räusperte. »Gerade eben ist mir etwas klar geworden, Ralf. Nämlich warum du vorhin, als ich den Begriff »Verdichterfundament« im Zusammenhang mit den Worten »Unfall und Oberst Römer« erwähnt habe, so seltsam geguckt hast!«

      Heftig mit dem Kopf nickend bezeugte Zernick seine Zustimmung. »Stimmt, Horst! Da hat’s bei mir geklingelt. Ich bekam nämlich damals im Ministerium etwas von einem Gerücht mit. Es gäbe auch an der Erdgastrasse geheime Aktivitäten, hieß es. Die das Vorhaben zusätzlich sichern sollen. Es verlauteten zwar nur einige, recht verschwommene Hinweise. Aber du weißt ja, wie es damals war. Solche Dinge gingen uns in keinerlei Hinsicht etwas an. Denn sie gehörten schließlich nicht in unseren Aufgabenbereich. Zudem stammte Derartiges zumeist aus dem Bereich der Scheißhausparolen. Doch dieser Oberst Römer der könnte damit irgendwas zu schaffen gehabt haben! Mir gegenüber hat er’s ja irgendwie indirekt bestätigt. Bei unserem Zusammentreffen. Oder wie siehst du das?«

      Weiler hob die Hand solcherart, wie sich ein Schüler melden würde. »Verdammt! Es war nicht nur dieser Oberst Römer. Denk’ doch mal nach, Ralf! Dein verschwundener Transportmensch und mein verunglückter Bauprojektant, die hatten was Gemeinsames. Sie berichteten uns von einer geheimen Manipulation an Verdichterfundamenten. Die von bestimmten Gruppierungen des MfS vorgenommen worden. Und beiden ist in diesem Zusammenhang etwas widerfahren! Es liegt doch wohl eines ziemlich nahe. Zumindest in der Ukraine und im Ural wurde irgendwas »Verdecktes« veranstaltet. Vielleicht gab’s das auch möglicherweise im Moskauer Abschnitt?«

      Zernick zuckte ratlos die Achseln. Dann jedoch grinste er breit und hüstelte. »Ich kann dir dabei nur zustimmen, Horst! Wobei vieles möglich wäre. Denn die Umstände, die zum Tode meines »Transportmenschen« geführt haben wurden nie geklärt. Offiziell hatte der wohl irgendwelche Weibergeschichten. Zudem ist er wie ich vorhin schon sagte beim Eisangeln ertrunken. Doch das lassen wir mal dahingestellt sein. Denn ich glaube, es gibt noch mehr Querverbindungen in dem ganzen Scheiß!«

      Weiler merkte überrascht auf. »Was konkret meinst du damit?«

      »Nun ja. Vorhin hast du einen Oberst Führmann erwähnt. Dem du persönlich die Informationen wegen des Unfalls in der Ukraine überbracht hast. Ist das richtig?«

      Weiler nickte zustimmend. »Ja! Aber wie kommst du jetzt auf den?«

      »Nun ja, weil mir der Fatzke mal im Ministerium vor die Flinte gelaufen ist«, entgegnete Zernick und stieß ein heiseres Lachen aus. »Wir drei mussten zum Rapport antreten. Und danach auf dem Weg zur Kantine traf ich einen Bauleiter aus Prokowski. Einem meine Standorte im Ural. Den Mann kannte ich zwar, die Situation erschien mir jedoch recht ungewöhnlich. Ich weiß noch, dass der richtiggehend erschrocken war, als wir uns so plötzlich gegenüberstanden. Der Bursche hieß – Bruhns, – ja Bruhns hieß der. Er wollte wohl soeben in ein bestimmtes Büro hineingehen. Ich war natürlich sehr überrascht, bei uns im Ministerium auf einen Bauleiter aus meinem Abschnitt zu treffen. Zudem ich von dem bis dahin nicht einmal wusste, dass er überhaupt zur Firma gehört. Aber in der Regel waren uns ja gar nicht alle unsere Leute auf dem Bauabschnitt bekannt. Oder?« Zernick wartete Weilers Bestätigung auf seine Frage nicht ab. »Ich hab’ ihn damals gleich gefragt, was er denn hier täte. Da hat er nur herumgedruckst, etwas von einem Rapport gemurmelt. In dem Augenblick kam so ein großer Schwarzhaariger in Zivil dazu. Der klopfte dem Bruhns ganz jovial auf die Schulter. Mich aber starrte er beim Weitergehen ganz scharf und misstrauisch an. »Ich komme sofort, Genosse Oberst!«, rief da plötzlich der Bruhns und nahm sogar Haltung an. Dann guckte er mich nochmal kurz an, zuckte mit den Schultern und latschte dem Kerl in das Büro hinterher.« Zernick lachte, trank rasch seinen Kaffee aus. »Ich hab’ mich auch gleich im Nebenzimmer erkundigt, weil ich neugierig geworden war. Seitdem weiß ich, wer der Kerl damals war, der mich so scharf fixierte. Es war ein gewisser Oberst Führmann!« Zernick ergriff die Thermoskanne und goss sich vorsichtig noch einen Kaffee ein.

      Weiler winkte auf seinen fragenden Blick hin jedoch ab. Er erhob sich stöhnend und ging mit steifen Knien zum Fenster. »Natürlich sollten wir in unseren Bauabschnitten über alles Bescheid wissen. Das hieß doch aber nicht, dass wir jeden kennen durften, der zur Firma gehörte. Ich wollte auch gar nicht nachvollziehen, Ralf, wie viele Leute für das Ministerium noch an der Trasse im Einsatz waren. Mal abgesehen von den kleinen IMs und uns drei Nasen,«, sagte Weiler mit einem bedauernden Unterton, wobei er nachdenklich aus dem Fenster starrte.

      Zernick drehte überrascht den Kopf zu ihm hin. »Darum ging’s mir gar nicht, Horst!«, entgegnete er und sortierte in einem unerwarteten Beschäftigungsdrang das restliche Kaffeegeschirr auf das Tablett. »Ich wollte damit nur sagen, dass ich damals bei diesem blöden Zusammentreffen mit dem Bruhns auch erstmals diesen Oberst Führmann gesehen habe. Das war aber nur das eine. Zum anderen bestätigte mir aber gerade diese unerwartete Konfrontation mit dem Bruhns im Ministerium meine Vermutung. Nämlich, dass eben dieser Transportmeister, der dann ersoffen ist, dass der mir keinen Quatsch erzählt hatte! Obwohl er ziemlich im Tee war.« Zernick knetete sein Kinn. »Klingt vielleicht blöd, was ich jetzt behaupte. Nämlich, dass ich damals schon hätte wissen müssen, dass Bruhns der Leiter dieser ominösen Gruppe gewesen ist. Die dort angeblich an den Fundamenten herummachte, meine ich. Denn spätestens, seitdem wir uns auf dem Flur in die Arme liefen, war es klar. Der Bruhns gehörte zu irgendeiner geheimen Abteilung des Ministeriums. Was sonst hätte er dort bei Führmann zu schaffen gehabt?«

      Weiler wiegte den Kopf hin und her. Dann verkniff er das Gesicht zu einem skeptischen Ausdruck. »Klingt ja alles ganz gut, Ralf! Es könnte auch irgendwie zusammenpassen. Andererseits sind das aber im Grunde genommen nur Hirngespinste. Reine Spekulationen für die wir keinerlei Beweise haben!«

      Auf Weilers Worte hin sprang Zernick aus seinem Sessel auf. Er marschierte zum Fenster, wo er sich neben seinem Partner gegen die Fensterbank lehnte. Hastig verschränkte er die Arme vor der Brust. Mit einem scharfen Blick, aus seinen zu schmalen Schlitzen zusammengekniffenen Augen, fixierte er Weiler von der Seite her. »So. Du denkst also, das wären alles nur haltlose Spekulationen?«, fragte er im strengen Tonfall. Er hob die buschigen Augenbrauen und kniff wütend die Lippen zusammen.

      Weiler zog ein bisschen den Kopf ein und schwieg.

      Worauf hin Zernick nunmehr etwas entspannter mit rauer Stimme fortfuhr. »Dann solltest du jetzt mal gut zuhören,