Thomas Helm

"Tödliches Finitum"


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doch gar nicht erwähnt. »Du kennst den Typ wirklich?« Zernick stieß ein Kichern aus. »Was gab’s denn damals so Wichtiges, dass sich die oberste Heeresführung mit dir angelegt hat?«

      Bevor sich Weiler äußern konnte, klopfte es an der Tür. Die Sekretärin brachte ein Tablett mit Thermoskanne und Kaffeegeschirr herein. Auf Zernicks Wink hin stellte sie alles auf einer freien Ecke des Schreibtisches ab. Daraufhin verließ sie, mit dem von Kuragin gebrauchten Geschirr, sofort wieder den Raum.

      Zernick goss Kaffee ein und schob wortlos eine der Tassen auf einer Untertasse zu Weiler hin über den Tisch.

      Noch indem sie vorsichtig die ersten Schlucke des heißen, schwarzen Gebräus getrunken hatten, bequemte sich Weiler zu der von Zernick erwarteten Antwort. »Ich muss dafür leider etwas ausholen, Ralf! Einige ganz bestimmte Ereignisse von damals hingen wohl im Nachhinein betrachtet irgendwie mit Römer zusammen. Und auch mit dem, womit er befasst war. Wobei mir die Zusammenhänge auch heute noch nicht klar sind. Also, wenn ich mich recht entsinne, passierte es im Frühsommer Sechsundachtzig in Bara. In meinem Abschnitt in der Ukraine. Damals gab es auf der Baustelle einen merkwürdigen Unfall.« Da Zernick ihn an dieser Stelle seiner Erinnerungen unterbrechen wollte, hob Weiler besänftigend die Hand. »Bleib mal ganz ruhig, Ralf! Glaub’ mir bitte. Es ist notwendig, dass ich so weit ins Detail gehe. So viel Zeit solltest du wohl haben. OK?«

      Zernick zuckte als Zustimmung nur mit den Schultern.

      Weiler indes rührte in der Kaffeetasse, fuhr mit seinem Rückblick fort. »Ein Kollege, der bei einem Unfall auf dem Baufeld um ein Haar fast ums Leben kam, war einer unserer IMs. Der als Bauprojektant beim BMK gearbeitet hatte. Daher wurde dieses Vorkommnis plötzlich auch zu meiner Angelegenheit. Ich habe den IM zu dem Unfall im Krankenhaus befragt. Anfangs war er noch nicht völlig bei sich. Zudem hatte man ihn bandagiert wie eine altägyptische Mumie.« Weiler lächelte flüchtig und trank einen Schluck von seinem Kaffee. »Dessen ungeachtet erzählte er mir eine ziemlich wirre Geschichte. Die mich aber sofort stutzig machte. Er faselte von einem manipulierten Fundament, das er zufällig entdeckt hätte. Von Sabotage sprach er und dass man ihn absichtlich mit einem Kran in diese Baugrube geschmissen habe.« Da Zernick seinen Partner an dieser Stelle doch sehr ungläubig anschaute, stieß Weiler ein trockenes Lachen aus. »Ja. Genauso blöd’ wie du daher schaust habe ich wohl damals auch geguckt. Darum jetzt alles noch mal im Detail. Also, der Mann behauptete mir gegenüber, dass er einen Bauleiter vom BMK und einen seiner Mitarbeiter bei Manipulationen an einem Verdichterfundament beobachtet habe. Nachdem die beiden ihn entdeckt hatten, stellten sie ihn zur Rede und bedrohten ihn. Am nächsten Morgen hätten sie ihn dann samt seinem Auto mit einem Kran in eine Baugrube geschmissen. Das ist mir alles im Gedächtnis geblieben und eines weiß ich auch noch. Der schien richtig Angst zu haben! Über die dienstliche Telefonleitung habe ich gleich Berlin informiert. Sofort bekam ich die Order den Mann umgehend von der Baustelle zu entfernen. Gemeint war der betroffene IM. Ich hab’ das Notwendige veranlasst, um ihn schleunigst in die Heimat ausfliegen zu lassen. Offiziell ließen wir auf dem Standort verlauten er wäre mit seinem Wagen zu nahe an eine Baugrube gefahren. Durch einen Hangabbruch leider hineingestürzt.«

      Hier fiel ihm Zernick ins Wort. »Tolle Geschichte, Horst! Aber was hat das alles bitte schön mit Oberst Römer zu tun?«

      Weiler trank mit sichtlichem Genuss seinen Kaffee aus, bevor er antwortete. »Das kommt jetzt. Ich sollte aber erst noch eines erwähnen. Dass ich mit dem ganzen Vorgang noch intensiver beschäftigt war, als es dir vielleicht erscheint. Ich habe, wie ich schon sagte die Rückführung des verunfallten Projektanten organisiert. Aber gemeinsam mit dem Verursacher des sogenannten Unfalls!«

      Zernick stellte die Tasse hart auf dem Tisch ab und starrte seinen Partner verblüfft an. »Jetzt siehst du mich aber überrascht! Da komm’ ich nicht mehr ganz mit.«

      Weiler nickte zustimmend. »Ja, das kann ich nachempfinden. Denn die Sache war schon ziemlich verrückt. Also. Der Projektant war quasi zur falschen Zeit am falschen Ort. Dabei beobachtete er den Führer einer konspirativ arbeitenden Gruppe des Ministeriums. Die war gerade bei der Durchführung ihrer geheimen Mission. Und er wollte das an die große Glocke hängen. Das musste der betreffende Genosse natürlich unbedingt verhindern! Der hieß, soweit ich mich noch erinnere – Bauerfeind. Dafür organisierten sie diesen »Unfall« den die Zielperson aber überlebte. Weil ich zwei Tage später sowieso nach Berlin fliegen musste, habe ich die weitere Information zu dem Vorgang übernommen. Im Ministerium bin ich bei einem Oberst Führmann vorstellig geworden. Den hatte mir der Bauerfeind als seinen Vorgesetzten benannt. Dem habe ich alles übermittelt und der hat gesagt, dass sie das Notwendige veranlassen würden. Damit schien für mich die Sache erledigt zu sein.«

      Zernick schüttelte verwundert den Kopf. Verkniffen starrte er seinen Partner an. »Hast du eigentlich mal mitbekommen, was diese »Gruppe« auf deiner Baustelle konkret gemacht hat?«

      »Nee, natürlich nicht! Das war »topsecret«. Hatte mich daher gar nicht zu interessieren!«

      »In Ordnung! Kenn’ ich ja auch noch, wie man damit umgehen musste. Na gut, das war eine interessante Geschichte. Aber was hat das nun mit unserem Oberst Römer zu tun?«

      Weiler griff zur Thermoskanne und goss sich in seine Tasse frischen Kaffee nach. Dann nickte er gelassen, um schließlich Zernicks Frage zu beantworten. »Nun recht viel! Weil nämlich einige Zeit später etwas Seltsames passierte, entstand plötzlich der Bezug zu Römer. Das war, als ich ein paar Monate drauf zu unserem nächsten Rapport im Ministerium angetreten bin. Du hattest dich, wenn ich mich noch richtig erinnere, fast einen halben Tag wegen dichten Nebels in Ustinov verspätet. Der Beginn der Beratung wurde verschoben, bis du eingetroffen warst.«

      Zernick verdrehte genervt die Augen. »Horst!«

      Weiler winkte ab. »Ich latsche also durchs Ministerium. Und da quatschte mich auf dem Flur so ein großer, breiter Glatzkopf an. Der baute sich vor mir auf und fragte mich ganz zackig, ob ich Major Weiler wäre. Als ich das unumwunden zugebe, nennt er mir seinen Dienstgrad und seinen Namen. Dann hat er mich in ein leeres Zimmer zitiert, um mich dort rund wie ’n Buslenker zu machen! Mann, ich wusste zuerst gar nicht, was der Kerl eigentlich von mir wollte. Doch er hat ganz schnell die Hosen runtergelassen. Wegen meiner Vernehmung von einem »angeblichen Unfallopfer« in Bara könnte er mir eine saftige Disziplinarmaßnahme reinwürgen, schrie er. Und wer mich eigentlich dazu autorisiert hätte, die Informationen von Hauptmann Bauerfeind an Oberst Führmann zu übermitteln? Der Vorgang dort draußen stände unter höchster Geheimhaltungsstufe, tobte er los. Ich sollte es zukünftig nicht noch einmal wagen an diese Sache auch nur zu denken!

      Erst in dem Augenblick habe ich mich an die ganze Chose mit dem abgestürzten IM wieder erinnert! Denn der aufgeblasene Typ mein lieber Ralf war die Glatze. Der Oberst Römer!« Weiler atmete tief durch und klopfte mit dem Finger auf das Foto, das vor ihm auf dem Tisch lag.

      Zernick indes starrte mit leerem Blick auf seinen Partner.

      Der wartete geduldig ab bis Zernick, nachdem er sich geräuspert hatte, endlich die Sprache wiederfand.

      »Mensch Horst, das ist ein Ding wie ’n Ei!«, stöhnte er und schlug mit seiner Faust heftig in die hohle Hand. »Jetzt sind mir eben ein paar Sachverhalte klar geworden, mit denen ich in all den Jahren nichts anfangen konnte. Ich glaube, dass es nun langsam ein Bild ergibt. Also hör zu! Es muss so um die Faschingszeit herum gewesen sein. Sechsundachtzig in Prokowski. Damals fing mich abends im Speisesaal ein Meister vom Transport ab. Ganz aufgeregt bat er mich um ein Gespräch. Wenig später ist er auch wirklich in meinem Büro aufgeschlagen, wohin ich ihn gebeten hatte. Leider hab‘ ich dann wohl einen Fehler gemacht. Denn ich nahm ihn nicht für voll, weil der schon angesoffen war. Ich hab ihn mir sogar eine Zeit lang angehört, obwohl alles recht wirr klang. Was er so rüberbrachte, meine ich. Um die ganze Sache abzukürzen, habe ich ihm dann angeboten, dass wir am nächsten Tag noch mal miteinander reden. Wenn er wieder nüchtern ist! Dann hab’ ich ihn ins Bett geschickt. Am Tag drauf musste ich aber dringend nach Karamorka fahren. Erst zwei Tage später bin ich zurückgekommen. Soweit ich mich erinnere, sollte ich darum so eilig nach Prokowski zurückkommen, weil sich dort ein junger Kerl vom LT erhängt hatte. Ich hoffte auch, dass mir der Transportmensch wieder über den Weg läuft. Dann