Thomas Helm

"Tödliches Finitum"


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Lauschen, wie er es beabsichtigt hatte. Knirschend senkte sich die Klinke. Er sprang zwei Schritte zurück.

      Aus der sich öffnenden Tür trat der junge Mann heraus den Rücken ihm zugewandt. »Ich hoffe nur, dass du es nicht bereust!«, rief der unerwartet Aufgetauchte ins Zimmer hinein.

      Da traf ihn auch schon sein Hammer am Hinterkopf. Lautlos fiel der Mann zurück in den kleinen Flur vor der Nasszelle.

      Obwohl alles viel früher passierte als von ihm veranschlagt, hatte er tadellos reagiert. Er sprang über den am Boden Liegenden hinweg und zerrte ihn ins Zimmer hinein.

      Noch während er die Tür zum Gang zudrückte und den Hammer einsteckte schaute er sich im Raum um.

      Das fast bodentiefe Fenster, das nach hinten auf den Hof hinausging, stand einen Spaltbreit offen. Lange, weiße Gardinen bewegten sich in einem sanften Luftzug.

      Auf der vorderen Kante des ausladenden Doppelbettes saß seine Zielperson. Er starrte kurz auf ihre üppigen, nackten Brüste. Zudem sie trug noch einen roten Slip, Strapse und schwarze Strümpfe. Mit weit aufgerissenen Augen schaute sie zu ihm auf.

      »Sie sind Ivanka Baumann?«, fragte er sie mit rauer Stimme.

      Sie nickte heftig, ihre Hände krampften sich um ihr Kleid.

      Da bekam er mit, dass das Bett noch gemacht und völlig unberührt war. »Ihr seid noch gar nicht zur Sache gekommen?«, fragte er überrascht und deutete auf den am Boden liegenden Mann.

      Sie schüttelte den Kopf. »Nee! Der Arsch hat plötzlich was vom – Schlussmachen gefaselt. Ich wäre ihm zu alt!«, antwortete sie mit einem hart klingenden Akzent.

      »Ja! Das Leben hält so einige ungute Überraschungen bereit. Auch für einen Gatten!«, entgegnete er.

      Mit einem festen Griff in ihren Nacken wie bei einer Raubkatze zerrte er sie empor. Die andere Hand presste er auf ihren Mund, unterdrückte so ihren Schrei. Mit seinem ganzen, massigen Körper drängte er sie die paar Schritte zum Fenster hin. Dort angekommen schaute er nochmals in ihre vor Schreck starr geweiteten Augen.

      »Du büßt es, statt deines Mannes! Wie die anderen Frauen auch!«, flüsterte er ihr ins Ohr.

      Dann stieß er sie durch das halb geöffnete Fenster hinaus.

      Er stieg über den jungen Mann hinweg, der immer noch bewusstlos zu sein schien. Ein vorsichtiger Blick auf den Flur zeigte ihm, dass sich dort niemand aufhielt.

      Mit beherrschten Schritten lief er zum Wirtschaftsaufzug und fuhr mit ihm hinab in die Lieferzone. Kittel und Cape trug er zusammengerollt unterm Arm.

      Nach wenigen Minuten erreichte er seinen Wagen, den er in der Seitenstraße geparkt hatte. Indem er auf die Uhlandstraße einbog, kam ihm mit Blaulicht ein Rettungswagen entgegen.

      Zwei Tage lang war der Vorfall in den Zeitungen. Bis zu der Meldung, dass man den Sohn des Hoteleigners unter Mordverdacht verhaftet habe. Man fand ihn angeblich in dem Zimmer im sechsten Stock aus dem die Frau gefallen wäre.

      Da wusste er Bescheid, warum sich die beiden stets in der Sechshundertdreizehn treffen konnten.

       Auf Spurensuche

      Der neue »Berliner Hauptbahnhof« befand sich noch im Bau. Biçon verließ daher den Zug bereits am Bahnhof Zoo.

      Zwar wusste er, nicht wie lange er in der Stadt bleiben würde, doch mobil wollte er unbedingt sein.

      Nachdem er sich an einem Kiosk einen Stadtplan gekauft hatte, trat er aus der Bahnhofshalle heraus. Er schaute sich kurz um und strebte, die Passantenströme durchquerend, einer der Autovermietungen entgegen. Die befanden sich in Sichtweite vom Bahnhof.

      Er musste davon ausgehen, dass er sich auf seine Ortskenntnisse aus DDR-Zeiten nicht mehr verlassen konnte. Folglich würde er den Stadtplan wohl brauchen.

      Zudem hatten sich damals seine Kenntnisse auch nur auf das frühere Ostberlin beschränkt.

      Auf dem Parkplatz der Autovermietung saß er noch einige Augenblicke still im Wagen. Bevor er startete, wollte er sich mit ihm vertraut machen.

      Sein Blick fiel dabei aus dem herabgelassenen Fenster. Er schaute auf den dichten Fahrzeugverkehr vorn auf der Straße, Flüchtig betrachtete er die bunte Menge der vorbeiziehenden Fußgänger.

      Da verspürte er plötzlich ein flaues Gefühl in der Magengegend. Ungläubig schüttelte er den Kopf und schloss für einen Moment die Augen.

      Soeben war ihm bewusst geworden, dass es fast fünfzehn Jahre her war. Dass er gemeinsam mit Führmann an einem kalten Morgen im Januar die damalige Hauptstadt der DDR verlassen hatte.

      Jetzt erst war er hierher zurückgekehrt. Um einiges älter und als ein anderer Mensch. Er schüttelte betroffen den Kopf.

      So vieles war in diesem aufregenden Abschnitt seines Lebens geschehen. Der so rasch vergangen zu sein schien, wie ein Wimpernschlag.

      Biçon atmete mehrfach tief durch und konzentrierte sich nochmals auf den Stadtplan.

      Dann startete er beherzt den Wagen.

      Zum ersten Mal war er im früheren Westberlin unterwegs.

      Daher sah er sich seine Unsicherheiten nach, warf immer wieder einen raschen Blick auf den Stadtplan. Den hatte er neben sich auf den Beifahrersitz gelegt. Dennoch irrten seine Augen stetig umher, suchte bekannt wirkende Anhaltspunkte.

      Indem er endlich den früheren Ostteil der Stadt erreichte, glaubte er sich zuerst auf der verlässlichen Seite. Doch dem war nicht so. Zu vieles hatte man hier inzwischen verändert oder gar völlig neu gebaut.

      Schließlich war er froh, dass es zumindest die alten Straßenführungen noch immer gab. Diese mit seinen Erinnerungen übereinstimmten.

       Staunend tangierte er den Alexanderplatz, fuhr dann in Richtung Lichtenberg. Auf der Karl-Marx-Allee entlang die noch den alten Namen trug.

      Bereits daheim hatte er im Internet ein preisgünstiges Hotel gefunden. Das befand sich nur einige Hundert Meter hinter dem früheren Ministerium.

      Plötzlich nach der Brückendurchfahrt am S-Bahnhof »Frankfurter Allee« wallte in ihm eine innere Unruhe auf. In Fahrtrichtung erblickte er die Gebäudefront des ehemaligen Ministeriums.

      An der Kreuzung davor angekommen bog er nach links in die Ruschestraße ein. Die auch immer noch so hieß.

       Mit wachsendem Erstaunen fuhr er langsam an dem großen Gebäudekomplex entlang. Hier befand sich einst die größte Machtzentrale einer untergegangenen Republik. Die er gemeinsam mit Bruhn Anfang Januar Neunzig zum letzten Mal betreten hatte. Jetzt sah er, dass inzwischen die »Deutsche Bahn« ebenso, wie andere Unternehmen hier ihren Sitz gefunden hatte.

      Unvermittelt und sehr intensiv kam ihm die Erkenntnis, wie vergänglich alles im Leben sein kann.

       Einst geschaffen für die Ewigkeit, allumfassend und beherrschend. Doch dann vorbei, weg, verschwunden!

      Doch nicht vergessen!

      Beim Überqueren der nächsten Kreuzung warf er rechter Hand einen raschen Blick in die Normannenstraße. Er fuhr weiter und fand wenige hunderte Meter entfernt das von ihm ausgesuchte Hotel.

       In eine freie Lücke parkte er den Wagen und checkte sofort ein.

      Lange hielt er sich nicht in seinem Zimmer auf. Von da aus rief er Yvonne auf dem Handy an, um ihr seine Ankunft zu vermelden.

      Danach fuhr er nordwärts aus Berlin hinaus ins Städtchen Bernau.

       In der Nähe eines Einkaufcenters stellte er den Wagen auf einem Parkplatz ab. Er sondierte die Lage.

      Bei einem gemächlichen Bummel führte er zugleich eine Erkundungstour durch. Wobei er den kleinen Laden von Faber fast auf Anhieb entdeckte. Er tippte die Telefonnummer, die auf einem Schild an dessen Ladentür stand, ins Handy ein.

      Wenig