Heidi Christina Jaax

Dunkle Wolken über Bernice


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      Der Tapferkeitsorden

      Amelie befand sich mit Jules auf dem Rückweg vom Fluss, als in der Ferne zwei Reiter entdeckten, welche sich in scharfem Galopp dem Schloss näherten. Sogleich beschlich sie ein ungutes Gefühl und sie beschleunigte ihre Schritte, auch Jules Blick zeigte ein Spur von Besorgnis. Gleich nachdem sie die Halle betrat, gewahrte sie Stimmen im Empfangsraum nebenan und hörte Claire verzweifelt aufschluchzen. Sie betrat mit eiligem Schritt den Raum, wo sie als erste den Säbel ihres Vaters auf dem Tisch liegen sah, daneben eine mit schwarzem Samt ausgeschlagene Schatulle, in welcher sich ein Orden befand. Es war der höchste Orden für Tapferkeit des Landes, welcher ausschließlich posthum verliehen wurde.

      In diesem Augenblick wurde es für Amelie zur schrecklichen Gewissheit, dass ihr Vater nicht mehr lebend heimkehren würde und somit eine weitere große Lücke in ihrem Leben entstanden war. Sie war nun eine Vollwaise und Henri würde ohne Vater aufwachsen, an den er seines Alters wegen nicht einmal viele Erinnerungen besaß. Claire kauerte völlig gebrochen auf einem Diwan, die zwei Reiter umstanden sie mit hilflosen Blicken. Mademoiselle Darnelle, welche sich bisher diskret im Hintergrund gehalten hatte, führte die weinende Baronin schließlich in ihre Gemächer.

      Dann erfuhr Amelie, dass ihr Vater drei Kameraden zur Hilfe kommen wollte, welche in einen Hinterhalt geraten waren. Beim Überwinden eines steilen Hangs war Hector mit seinen Hufen im Wurzelwerk hängengeblieben, gestrauchelt und mitsamt dem Baron den selbigen herabgestürzt. Er hatte den Baron unter sich begraben, dieser starb unmittelbar an einem Genickbruch und hatte somit wenigstens nicht gelitten. Die Kuriere erhielten noch eine Stärkung und Proviant für den Rückweg zu ihrer Kompanie. Nachdem ihre Pferde versorgt und ausgeruht waren, verließen sie Bernice. Alles ging in den folgenden Tagen scheinbar seinen Gang wie bisher und doch war es eine einschneidende Veränderung für alle, denn zurück blieb eine hilflose junge Witwe mit zwei unmündigen Kindern. Und erneut wehte die Flagge auf dem Turm von Bernice auf Halbmast.

      Nach vier Tagen brachte man die sterblichen Überreste des Barons, welche in der Hauskapelle aufgebahrt wurden. Die Bestattung in der Familiengruft fand bereits einen Tag später statt und zog an Amelie wie in Nebelschwaden gehüllt vorbei. So groß ihr eigener Kummer nach diesem Verlust auch war, so versuchte sie sich doch zu fassen um sich des kleinen Henri anzunehmen. Der kleine Kerl konnte schließlich nicht verstehen, was geschehen war und brauchte jetzt Zuwendung und Wärme, welche seine Mutter ihm im Moment nicht geben konnte. Claire war völlig in ihrer Trauer versunken und verließ ihr Zimmer kaum noch. Alle Besucher wurden abgewiesen und schließlich nach einer Weile kam niemand mehr.

      Es wurde still und einsam auf Bernice, auch die Stimmung der Bediensteten war bedrückt, da sie ihren Herrn sehr verehrt hatten. Bernard kümmerte sich weiterhin um die Güter, er war jedoch nur ein Angestellter und so mancher Pächter brachte etwas beiseite, ohne dass es bemerkt wurde. Auch waren weiterhin Abgaben an die Kriegskasse zu leisten, sodass am Ende des Jahres trotz guter Ernte nur ein magerer Ertrag zu verbuchen war. Da der Wirtschaftsbetrieb jedoch unverschuldet und mit Rücklagen versehen war, machte sich kaum jemand Sorgen über das magere Ergebnis und wer fragte schon danach.

      Es zog ein Jahr dahin, der kleine Henri war inzwischen ordentlich gewachsen und hing Amelie beständig am Rockzipfel, da sich Claire immer noch wenig um ihn kümmerte und ihre selbst gewählte Einsamkeit auch weiterhin vorzog. So befand sich der Kleine am Morgen in der Obhut von Marie, während Amelie ihren Unterricht bei der Mademoiselle Darnelle besuchte. Am Nachmittag zog er mit Amelie und Jules in der Umgebung einher und lernte viel praktisches für sein späteres Leben. Jules bildete für ihn die männliche Komponente in diesem Frauenhaushalt und wurde schnell sein großes Vorbild. Da Jules eine ganze Schar jüngerer Geschwister besaß, konnte er gut mit dem kleinen Kerl umgehen, der sehr wissbegierig war und durchweg intelligente Fragen stellte. Eines Tages auf der Suche nach Waldheidelbeeren meinte er: „Du Jules, Marie hat heute Morgen zu Madame Rodwig gesagt, ich bringe dem kleinen Baron sein Frühstück. Damit hat sie mich gemeint aber ich bin doch noch ein kleiner junge und kein Baron, das war doch mein Vater.“ Jules strich ihm liebevoll durch die blonden Locken: „Als dein Vater im Kampf fiel wurdest du der Baron, weil sich der Titel immer vom Vater auf den Sohn vererbt.“ „Warum wurde den Amelie nicht Baronin als ihre Mutter starb?“ Nun ja, Frauen vererben keine Titel, sie werden mit ihnen geboren oder erhalten sie durch Vermählung von ihrem Gatten. „Das ist aber ungerecht“ meinte Henri und Jules dachte insgeheim: „Noch ein Rebell gegen bestehende Konventionen, man merkt doch dass sie Geschwister sind. Da sich die Kinder viel im Freien aufhielten, stotzten sie vor Gesundheit und erlebten jeden Tag neue Abenteuer, welches die traurige Monotonie im Schloss erträglich machte.

      Doch das sollte bald ein Ende haben, denn Claire hatte während ihrer Isolation wieder den Schriftverkehr mit Freundinnen aus ihrer Kindheit aufgenommen. Eine ihrer Schulfreundinnen, eine Comtesse de Brion, war ebenfalls vor kurzem Witwe geworden und so hatte Claire sie eingeladen einige Zeit bei ihr auf Bernice zu verbringen. Die Comtesse hatte keinerlei Angehörige und da sie auch finanziell nicht gut situiert war, nahm sie das Angebot gerne an. Amelie vernahm die Neuigkeit mit gemischten Gefühlen, noch eine trauernde Witwe im Schloss, dem es gut tun würde, wenn wieder etwas Geselligkeit und Frohsinn einziehen würden. Auch sie trauerte noch um ihren Vater, aber das Leben musste weitergehen und für Henri wünschte sie sich eine fröhliche, unbeschwerte Kindheit. Auch die traurigen Gesichter des Gesindes mochte sie nicht mehr sehen, ebenso wie sie es hasste, wenn die Gespräche bei ihrem Betreten der Küche schlagartig abbrachen. Da Claire seit dem Trauerfall keinerlei Hausfrauenpflichten mehr versah, war es an ihr nach dem Rechten zu sehen und die Speisefolge bei Tisch zu besprechen. Sie war durch die erlittenen Schicksalsschläge früh gereift und wurde nach anfänglichem Zögern als übergeordnete Autorität akzeptiert. Nachdem sie diese Pflichten einige Zeit versehen hatte, erwarb sie eine gewisse Sicherheit darin und errang die Achtung aller Mitglieder des Haushalts.

      Nun wurde also erstmals nach langer Zeit ein Gast erwartet und Amelie legte großen Wert darauf, die Menüfolge ansprechend war und alles problemlos ablief. Vorher hatte sie schon im ganzen Schloss die Reinigungsarbeiten überwacht und das blaue Zimmer für den Gast herrichten lassen. Von Claire hatte sie erfahren, dass dies die Lieblingsfarbe der Comtesse war. Ansonsten erfuhr sie nur, dass diese in der Schul- und Jugendzeit sehr temperamentvoll und lebensfroh war. Es blieb abzuwarten, inwieweit dies noch zutraf, da Claire sie seit acht Jahren nicht mehr gesehen hatte. So war nun alles vorbereitet, sogar Claire zeigte eine verhaltene Vorfreude und diese stand in einem erfreulicher Kontrast zu ihrer sonstigen Teilnahmslosigkeit. Sie verließ auch wieder häufiger ihre Zimmer um einiges selbst vorzubereiten. Auch kümmerte sie sich wieder vermehrt um ihr äußeres Erscheinungsbild, welches sie allzu lange sträflich vernachlässigt hatte. Vielleicht bedeutete dieser Besuch doch einen Segen für die Bewohner von Bernice?

      Suzette de Brion

      Als sich die Kutsche der Allee näherte, standen alle Bewohner von Schloss Bernice am Portal zum Empfang bereit. Der Schlag der Kutsche öffnete sich und ihr entstieg das liebreizendsde Wesen, welches Amelie je erblickt hatte, es lächelte fröhlich und unwiderstehlich.

      Entgegen aller Erwartung war sie nicht schwarz gekleidet und erweckte so gar nicht den Eindruck einer trauernden Witwe, welche erst vor kurzem ihrem Gatte verloren hatte. Claire fiel ihr um den Hals , beide lachten und weinten vor Wiedersehensfreude. Dann wurden ihr Amelie und Henri vorgestellt, welche sie ebenfalls fröhlich begrüsste. Sie zerzauste Henris blonde Lockenpracht und reichte Amelie die Hand mit den Worten: „Oh, eine richtige junge Dame bist du schon.“ Danach wurde Suzette von Marie zum blauen Zimmer geführt um sich zu erfrischen und ihr erstaunlich umfangreiches Gepäck auszupacken.

      Eine Stunde später trafen sich suzette und Claire in deren Boidoir zum Tee, wo sie endlich nach Herzenslust plaudern konnten. Beide erzählten von ihren Erlebnissen in den Jahren, in welchen sie getrennt waren und Suzette sprudelte nur so vor Lebensfreude. Schließlich brachte Claire das Thema auf ihre verstorbenen Männer. „Sag Suzette, du machst mir keinen unglücklichen Eindruck, vermisst du deinen Mann denn gar nicht?“ „Nein, obwohl