Thomas Helm

"Blutige Rochade"


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die obligatorische Makarov.

       Alle von Kuragins Wachmännern trugen, seit kurzer Zeit, ständig eine Waffe. Und eben dieser Umstand rettete ihm anscheinend das Leben.

      Es passierte vor einigen Wochen, gleich nach Steinckes Weggang. Er wollte ein Grundstück an der Kama anschauen, das er zu erwerben beabsichtigte.

       Noch gehörte es dem Komsomol. Bei einem möglichen Kauf konnte er sich daher der Unterstützung durch seinen Cousin, Wolodja, gewiss sein.

       Das alte Gebäude wurde bisher als Ausbildungsobjekt genutzt. Für den Umbau zu einem Hotel direkt am Ufer der Kama bot es sich regelrecht an.

      Doch offenbar gab es einen weiteren Interessenten für das Objekt. Zudem vermutlich einen, der ihm den bisherigen geschäftlichen Erfolg zu neiden schien.

      Kuragin fuhr gemeinsam mit zwei seiner Bodyguards hinunter an den Fluss.

       Unvermittelt schreckte er zusammen.

       Knallend hatte ein Projektil die Heckscheibe seines »Wolga« durchschlagen, ihn dabei nur um Haaresbreite verfehlt.

      Azat, der Kasache, trat heftig auf die Bremse. Alle sprangen aus dem Wagen, Kuragin warf sich in Deckung.

       Die Leibwächter vermochten den Schützen auszumachen und eröffneten das Feuer. Nach kurzer Verfolgung gelang es ihnen, den Mann zur Strecke zu bringen.

      Bevor sein Blick starr wurde, verriet er den Namen seines Auftraggebers. Der starb noch am Abend des Tages durch einen aufgesetzten Genickschuss.

      Von dessen Auffinden berichtete ihm der Milizchef von Perm bei einem Plausch in der Bar des Discodampfers. Wobei er sein Bedauern darüber ausdrückte, dass die Suche nach dem Täter bisher erfolglos geblieben wäre.

       Kuragin unterdrückte ein Grinsen.

      Azat schaute indes seinen Chef abwartend an. Bis dieser ihm endlich zunickte. »Herr Kuragin! Da draußen ist ein Besucher, der unbedingt zu dir will. Der spricht zwar perfekt russisch, aber ich glaube – «, hier tippte sich der Kasache mit dem Finger an seine Nase, »das ist ein Deutscher!«

      Kuragin hob überrascht die Brauen. Ein Deutscher? Nun ja, Helmuth konnte es nicht sein. Den kannte Azat zur Genüge. »War der Mann schon mal hier?«

      Der Leibwächter schüttelte den Kopf. »Nee, Chefe! Ist unbekannt!«

      Kuragin zeigte sich interessiert. »OK. Durchsuchen und reinbringen! «

      Der Bodyguard verschwand nach draußen. Wenige Augenblicke später öffnete er nochmals die Tür. Mit einer vorausdeutenden Handbewegung ließ er den Besucher ins Büro eintreten.

      Kuragin erhob sich hinter seinem Schreibtisch und wies auf einen der Stühle davor.

      Der hochgewachsene, gut gekleidete Mann trat näher.

      Plötzlich schien sich Kuragin sicher zu sein, dieses Gesicht schon gesehen zu haben. Nein. Der Name dieser Person fiel ihm im Moment nicht ein. Doch den würde er ja sogleich hören, wenn der Fremde sich ihm vorstellte. So zumindest dachte er. Aber es kam anders.

      Der Gast setzte sich auf den angebotenen Stuhl. Er hob den Blick, schaute den Restaurantbesitzer mit einem verbindlichen, feinen Lächeln an. »Gospodin Kuragin! «, begann er im lupenreinen Russisch. Ohne Einleitung und ohne seinen Namen zu nennen. »Sie kennen mich vermutlich nicht, obwohl wir uns mit Sicherheit schon vorgestellt wurden. Ich möchte Ihnen jedoch herzliche Grüße von einem gemeinsamen Freund ausrichten.« Bei diesen Worten strahlte der Besucher über sein ganzes Gesicht, was Kuragins Verblüffung noch steigerte.

      »Wir haben einen gemeinsamen Freund, Herr – ?«

      Der Gast fiel nicht auf die Fangfrage herein. Doch er antwortete mit einem leisen Lachen. »Nun ja, Gospodin Kuragin! Genau wie Sie auch rechne ich Helmut Steincke zu meinen Freunden!«

      »Sie kennen Helmuth?«, entgegnete Kuragin etwas irritiert. Er beugte sich hinter seinem Schreibtisch dem Fremden ein Stück entgegen. »Erzählen Sie mir bitte, wie es unserem Freund geht. Ich habe ihn eine ganze Weile nicht mehr gesehen.«

      Der Besucher lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, legte die Fingerspitzen aneinander und lächelte erneut. »Helmuth begründet daheim soeben seine neue, geschäftliche Existenz. Denn der gegenwärtige Umbruch bei uns in Deutschland zeigt ja schon bedenkliche Auswirkungen. Insbesondere sind davon leider auch jene Bürger betroffen, die vormals in den gesellschaftlichen Organisationen der DDR tätig waren. Wie eben unser Helmut auch!« Der Besucher lachte verhalten. »Doch ein Steincke ist schließlich kein Jammerlappen, der die Hände in den Schoß legt und abwartet. Denn er besitzt ja, wie sie ebenfalls zur Genüge erfahren durften, Initiative und das richtige Format.«

      Kuragin nickte zustimmend. »Gut, gut! Was also kann ich für sie tun?«, entgegnete er, etwas ungeduldig.

      Der Besucher breitete mit einer besänftigenden Geste die Hände aus. »Sie sollten wissen, dass ich diesen schönen Landstrich, den Ural, schon seit Jahren sehr gut kenne. Nicht zuletzt, weil ich mit einer Russin, gebürtig hier aus Perm, verheiratet bin. Ich besitze also, obwohl ich Deutscher bin, eine feste innere Bindung zu diesem Land. Und zu vielen seiner Bürger. Ich werde morgen nach Deutschland zurückkehren. Konkret gesagt nach Berlin. Dort gründe ich in naher Zukunft, gemeinsam mit zwei Freunden, eine Firma. Wenn dieser erste Schritt vollbracht ist, kehre ich nach Perm zurück. Dann würde ich bei Ihnen, Gospodin Kuragin, nochmals vorsprechen. Es kann jedoch unter Umständen einige Monate dauern, bis ich erneut auftauche! Ungeachtet dessen bin ich der Überzeugung, dass Sie bis dahin Ihr Unternehmen gefestigt haben. Ihre jetzigen Geschäftsfelder könnten darüber hinaus sogar einen Ausbau erfahren. Zu dem Zeitpunkt werde ich Ihnen, wenn alles bei Ihnen und bei mir gut gelaufen ist, eine für Sie sehr lukrative Zusammenarbeit mit uns anbieten. Eine Partnerschaft, deren Umfang Sie heute noch nicht mal erahnen können!«

      Kuragin hatte dem Unbekannten wortlos gelauscht. Und das, was er hörte, weckte sein Interesse. Zudem brannten ihn sofort einige Fragen auf der Zunge.

      Nach seinem langen Vortrag erhob sich der Gast jedoch unvermittelt. Er verbeugte sich kurz und verließ das Büro.

       Zurück blieb ein aufs Äußerste verblüffter Alexej Kuragin.

      Augenblicke später, nach dem Abgang des Fremden, steckte Azat seinen Kopf nochmals durch die Tür. »Alles in Ordnung, Chefe?«, fragte er, riss dabei die schwarzen Augen weit auf. Als Kuragin unwirsch mit der Hand abwehrte, verschwand der Kasache.

      Kuragin schien unerwartet ratlos. Was zum Teufel hatte das zu bedeuten? War der Kerl gar ein Verrückter? Aber langsam dämmerte es ihm. Denn mit einem Mal fiel ihm ein, wo er den Fremden bereits gesehen hatte.

      Damals, nach der Eröffnung des Diskodampfers, gab es eine Vollreservierung für das gesamte Schiff. Ausschließlich für die Oblastverwaltung des KGB!

       Selbstredend befand er sich, als Chef seines Unternehmens und Gastgeber, an diesem Abend mit an Bord.

       Seine Anwesenheit, inmitten der Genossen vom KGB, nutzte er gern für einen weiteren Zweck. Denn von den Gesprächen der Geheimdienstler, wenn diese später besoffen waren, ließ sich so einiges abschöpfen.

       Und zu den Gästen zählte auch dieser Deutsche!

       Ja! Der KGB-Chef selbst hatte ihm den Unbekannten, als einen guten Freund, kurz vorgestellt.

      Kuragin schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn und kicherte leise. Soeben war ihm eingefallen, dass auch Helmut von diesem Fremden mehrfach gesprochen hatte. Gemäß dessen Aussage arbeitet der Bursche seit Jahren schon hier im Ural, als Verantwortlicher der Staatssicherheit der DDR! Kuragin lachte laut auf und schüttelte den Kopf, weil er sich soeben an die ersten Worte des Besuchers erinnerte. Verdammt nochmal dachte er, der Kerl verfügt sogar über Wortwitz. Denn was hatte er wörtlich gesagt? »… wir sind uns mit Sicherheit schon einmal …!«

       Nun musste sich Kuragin eingestehen, dass der Deutsche kein Spinner war. Nein! Es böte ihm fraglos sogar einen Vorteil, ihn zu kennen. Jetzt begann er daran zu glauben, dass dieser verrückte Kerl in naher Zukunft erneut bei ihm anklopfen würde.