Thomas Helm

"Blutige Rochade"


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Süden (am 07. Januar 1990)

      Sie fuhren mit einem Opel »Ascona Diplomat«. Der kam silberfarben daher und präsentierte ein Westberliner Kennzeichen.

       Beide hatten ihre Joppen hinten in den Wagen gehängt. Sie trugen spitz ausgeschnittene Pullover. Darunter Hemd und Binder. Weil Bauerfeind keinen solchen dabei hatte, der Oberst jedoch darauf bestand, musste er sich eine Leihgabe von Führmann um den Hals schlingen.

      »Wir gehen doch nicht wie die Dahergelaufenen in eine kapitalistische Bank!«, raunzte der Oberst.

      Über die holprige Autobahn führte ihr Weg durch die DDR nach Süden. Je mehr sie sich der Grenze nach Bayern näherten, umso dichter wurde an diesem schönen Sonntag der Fahrzeugverkehr.

       Die DDR-Bürger nutzten anscheinend das Wochenende zu einem Besuch in der Bundesrepublik.

      In Thüringen lag etwas Schnee, an der Staatsgrenze gab es immer noch eine Art von Grenzkontrolle.

      Führmann, der am Steuer saß, regte sich auf. »Schau dir diese Schwachköpfe an!«, dröhnte er, wobei er auf die Uniformierten deutete. »Die Grenzen sind offen. Doch die tun hingegen so, als wäre alles beim Alten. Fehlt nur, dass sie die Fahrzeuge ebenso filzen, wie sie es immer gemacht haben!«

       Ihr Opel wurde jedoch gleich durchgewinkt.

      Bauerfeind schaute aus dem Fenster auf die vorbeiziehende Landschaft und hing seinen Gedanken nach. Vorhin, an der Grenze, fühlte er für einen kurzen Moment einen unbehaglichen Druck im Magen. Das viele Geld, ihre Waffen und alles, was sie mit sich führten, kam ihm augenblicklich in den Sinn.

      Schon früh am Morgen waren er und Bruhns im Ministerium hinab in die Waffenkammer gefahren. Hinter der starken Stahltür nahmen sie ihre alten Dienstwaffen samt Munition in Empfang. Diese lagen dort die letzten Jahre, in denen sie sich an der Erdgastrasse im Einsatz befanden unter Verschluss.

      Bauerfeind hatte seine Makarov eingehend überprüft. Der kalte Stahl der Waffe löste in ihm ein seltsames Gefühl aus. Es gesellte sich zu den Zweifeln, die ihn gleich nach dem morgentlichen Erwachen befallen hatten.

       War mein gestern gefasster Entschluss richtig? Kann ich mich in der Tat auf dieses Unternehmen einlassen? Auf eine Operation, die mir im Grunde genommen sinnlos und gefährlich erscheint?

       Quälende Fragen, die durch seinen Kopf irrten. Zwiespälte die Bruhns nicht zu haben schien.

       Die Waffe in seiner Hand bedeutete ihm letztendlich, dass es derzeit für ihn keinen anderen Weg gab!

      Bauerfeind schaute kurz zu seinem Fahrer hin.

      Führmann schien nicht so gelassen zu sein, wie er vorgab. Er rauchte viel, äußerte sich wiederholt mit nebulösen Bemerkungen über ihren Auftrag. Sein Geschwafel ergab für seinen Begleiter keinen Sinn.

      Die Autobahnen im Bundesgebiet hatte man auf beiden Spuren vom Schnee beräumt. Sie kamen gut voran.

       Allmählich änderte sich das Bild der Landschaft.

       Nach Memmingen wechselte der Oberst ohne Ankündigung auf eine andere Autobahn. Einige Zeit später fuhren sie zu Bauerfeinds freudiger Überraschung durch das Allgäu.

       Begeistert und gebannt schaute er zu den verschneiten Gipfeln hinauf.

       Erinnerungen an seine häufigen Aufenthalte in den französischen Alpen tauchten in ihm auf.

      Führmann bemerkte die für ihn unerklärliche Euphorie seines Beifahrers. Vorerst äußerte er sich dazu nicht.

      Bald zeigten die Vorwegweiser die Österreichische Grenze und die Stadt Bregenz an. Rechter Hand erstreckte sich der Bodensee.

      Bevor sie die Grenzstation erreichten, traf der Oberst endlich die von Bauerfeind erwartete Entscheidung. »Wir legen die –Bundesdeutschen– vor, wenn sie unsere Papiere sehen wollen!«, sagte er knapp.

       Die Kontrolle auf beiden Seiten der Grenze verlief oberflächlich und kostete sie keine Zeit.

      Während der Weiterfahrt schaute Bauerfeind öfters auf die Karte.

      Führmann schien sie im Kopf zu haben.

      Sein Beifahrer hingegen prägte sich neben ihrer Wegstrecke auch noch die angrenzenden Verbindungen ein. Das machte er immer so, wenn er erstmals in einer ihm unbekannten Umgebung unterwegs war.

       Ihr Weg sollte sie über Dornbirn, Feldkirch und danach südwestlich nach Liechtenstein führen.

       Gleich bei der ersten Raststätte im Westen hatte der Oberst einen Reiseführer für Österreich gekauft. Bei einer kurzen Rast fand er in dem Büchlein rasch eine Möglichkeit für ihre Übernachtung. Führmann plante sie, wie er sich äußerte, in einem Hotel am Rande von Feldkirch durchzuführen. Von dort aus würden sie am Montagmorgen nach Vaduz zur Bank zu fahren.

      Die gute Vorbereitung ihrer Mission überraschte Bauerfeind nicht. Denn der Oberst war für seine penible Arbeitsweise bekannt. Auch kleinen Details widmete er seine Aufmerksamkeit.

      Laut ihren Reisepässen und Personalausweisen galten sie als Bürger der BRD. Des Weiteren besaßen sie die Diplomatenpässe. Und in Führmanns Reisetasche steckten zusätzlich Autokennzeichen des Diplomatischen Korps.

      »Wir müssen für jede Eventualität gewappnet sein!« Damit hatte der Oberst am Morgen die vielen Papiere begründet. Laut seiner kurzen Rede am Frühstückstisch habe er seinerseits alles Notwendige organisiert. Die ganze Aktion würde daher seiner Meinung nach ohne Probleme ablaufen.

      Bauerfeinds unterschwellige Aufgeregtheit blieb dessen ungeachtet bestehen. Schließlich lagen geheime militärische Stabskarten von Bayern und Österreich im Handschuhfach!

       Zu seiner Beruhigung ließ er diese schon vor Erreichen der Grenze zur BRD in seinem Beutel verschwinden. Führmann hatte gelacht, als er ihn dabei beobachtete.

      Warum nur musste er so etwas –Militärisches– mitnehmen fragte sich Bauerfeind. Wenn sie uns im Westen oder in Österreich damit erwischen, ist Feierabend!

      Bei ihrer Fahrt durch den Bregenzer Wald ging ihm beim Anblick der hohen, verschneiten Gipfel regelrecht das Herz auf. Unvermittelt fühlte er eine lange vermisste, innere Rührung.

      Führmann hingegen grinste hämisch. »Wieso treiben dir so ’n paar Berge mit Schnee drauf gleich die Tränen in die Augen? Mensch, Hauptmann, bleib’ auf dem Teppich. Bisher konntest du ja auch ohne so was auskommen. Oder bist du in deinem ollen Schwerin etwa auf Skiern groß geworden?«

      Bauerfeind zeigte sich entschlossen. Auf diese Seitenhiebe wollte er nicht reagieren. Stattdessen genoss er unbeirrt den imposanten Anblick und stellte sich unwissend.

      Die Sonne ging soeben unter, als im Vorarlberg vor ihnen das Städtchen Feldkirch auftauchte. Sie hatten ihr Tagesziel erreicht.

      Auf dem vom Schnee beräumten Hotelparkplatz standen nur wenige Wagen. Mit steifen Beinen stiegen sie aus, reckten sich nach der langen Reise.

       Die reine Luft war kalt und klar.

      »Das »Hotel Post« am Schlossgraben ist »eine historische Herberge«. Hinter ihr erhebt sich die Schattenburg. Am Horizont, aber doch so nah, glühen die schneebedeckten Gipfel des Vorarlbergs im Abendlicht.« Das hatte Bauerfeind während der Fahrt in dem Reiseführer gelesen.

       Jetzt bot sich ihnen genau dieser Eindruck!

      Führmann stieß ihn mit dem Ellbogen an. »Reiß’ dich los und pack’ das Zeugs aus dem Wagen!«

      Es folgte eine flüchtige Anmeldung in der kleinen Rezeption, wo sie eine ältere Dame überschwänglich begrüßte. Anschließend schleppten sie ihr Gepäck nach oben. Die beiden großen Koffer, in denen die »diplomatic bags« mit dem Geld steckten, brachten sie in Führmanns Zimmer.

      In der rustikalen Gaststube nahmen sie ein deftiges Abendessen ein. Anschließend kaufte der Oberst am Büfett ein Sixpack mit Bier. Eine kleine Flasche »Jagertee« komplettierte den Einkauf.

      Daraufhin stiegen sie die knarrenden,