Thomas Helm

"Blutige Rochade"


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und der steile Abhang!

       Spontan empfand er eine herannahende Gefahr.

      Führmanns Stimme ertönte. »Die transportieren wohl von hier aus die Stämme scheinbar auch im Winter ab. Darum ist der Weg befahrbar. Glück gehabt!« Plötzlich schwang sich der Oberst recht behände aus dem Fahrzeug.

      Wie auf einen Befehl hin stieg Bauerfeind ebenfalls aus. Er ging jedoch hinten um den Wagen herum zur Fahrerseite.

      Führmann stand jetzt neben der geöffneten Tür. Breitbeinig, die Hände in den Taschen seines Mantels vergraben schaute er ihm lauernd entgegen.

      »Hoffen wir, dass heute Nachmittag keiner mehr ne’ Fuhre Holz abholen will. Aber Ihr General sollte sich beeilen!«, presste Bauerfeind heraus. Dabei drehte er sich zur Seite, warf er einen raschen Blick zum sonnenüberfluteten Tal hin. In der Ferne vermochte er eine zusammengedrängte Ansammlung von mehreren Häuschen erkennen.

       Über einigen Dächern stiegen feine Rauchfahnen in die klare Luft empor. Alles erscheint so idyllisch, dachte er. Wenn da nicht dieses blöde Gefühl in meinem Magen brodelte!

      Da hörte er hinter sich ein wohlbekanntes, metallisch schnappendes Geräusch. Instinktiv drehte er sich herum und starrte in die Mündung einer Waffe.

      Führmann stand gut drei Meter von ihm entfernt. Die Hand mit der Pistole erhoben.

      »Wieso hat der Mann keine Makarov?« Dieser im Augenblick komplett unsinnige Gedanke schoss durch Bauerfeinds Kopf. Wobei er gleichzeitig registrierte, wie sein Gegenüber die andere Hand von unten her an die Waffe hob.

       Er wusste sofort was das bedeutete. Der Oberst wollte einen todsicheren Treffer!

       Daraufhin ging alles schnell.

       Aus dem Stand heraus hechtete Bauerfeind hinter das Heck des »Opels«, wo er sich mit dem Oberkörper flach auf die Kofferraumklappe warf. Durch die Heckscheibe sah er, wie der Oberst zu einem Satz in seine Richtung ansetzte.

      Um dann, aus unerfindlichen Gründen, unverhofft nach vorn auf den Boden zu stürzen. Mit vorgestreckten Armen

      fiel Führmann in den Schnee, wobei er seine Pistole verlor.

      Instinktiv nutzte Bauerfeind den unerwarteten Vorteil. Er stoppte die Bewegung seiner Hand, mit der er nach der Makarov in der Innentasche seines Anoraks greifen wollte.

       Stattdessen sprang er hinter dem Wagen hervor. Den Obersten, der soeben Anstalten machte sich zu erheben, trat er mit dem Fuß seitlich gegen den Hals. Nach zwei raschen Schritten riss er die nur angelehnte Fahrertür auf.

       Er hechtete hinters Steuer, drehte den Zündschlüssel um. Bei noch offenstehender Tür warf er den Gang hinein und gab Gas.

       Die Vorderräder drehten durch, dann schoss der Wagen vorwärts. Schneestaub wirbelte ins Innere.

       Er zerrte die Tür zu, schaute hastig in den Rückspiegel.

      Der Oberst hatte sich von dem Tritt erholt. Soeben versuchte er sich aufzurappeln. Dabei tastete er unübersehbar im Schnee nach seiner Waffe.

      Ein Blick nach vorn zeigte Bauerfeind, dass sich der Wagen der Wegbiegung näherte.

       Den Schuss aus Führmanns Pistole, die dieser mittlerweile gefunden hatte, hört er nicht. Doch der Durchschlag des Projektils neben der rechten C-Säule, wie auch der Einschlag im Deckel des Handschuhfachs war nicht zu leugnen. Zugleich sah er im Rückspiegel den mehrmals auf ihn feuernden Oberst auf und ab springen.

      Als der Wagen endlich hinter der Biegung anlangte, verlor Führmann das Ziel für seine Waffe endgültig aus den Augen.

      Kurz entschlossen stoppt Bauerfeind ein Stück weiter das Gefährt. Er sprang hinaus, zerrte die private Reisetasche des Obersten vom Rücksitz und warf sie auf den Weg. Über diese Handlungsweise vermochte er sich in diesem Augenblick keine Rechenschaft zu geben. Er tat es einfach.

       Daraufhin raste er mit dem Wagen auf dem Waldweg voran. Bis zur Hauptstraße, wo er abrupt anhielt.

      Seine schweißigen Hände umkrampften das Steuer, er rang heftig nach Luft. Das Herz schlug ihm bis zum Hals. Ihm wurde übel.

       Denn soeben hatte er begriffen, dass er vor wenigen Augenblicken dem Tode entronnen war!

       Worauf verdammt noch mal hatte er sich da nur eingelassen?

       Doch etwas anderes hatte ihn ebenfalls veranlasst, den Wagen zu stoppen.

      Neben der Stelle, wo der Waldweg in die Straße nach Göfis einmündete, stand jetzt ein silberfarbener Daimler.

       Der zuvor nicht dort gestanden hatte!

      Im Mercedes saß keiner. Doch um ihn herum erblickte er im Schnee mehrere Fußabdrücke. Auch frische Spuren von Skiern und Schneestöcken zeichneten sich deutlich ab. Sein Auge folgte den lang gezogenen Fährten der Ski, die zuerst über die Straße, daraufhin auf das Feld führten. Überdies entdeckte er zwei Skifahrer. Schon weit von ihm entfernt glitten sie hinab ins Tal.

       Ein Blick in den Rückspiegel ließ ihn aufatmen. Von Führmann war noch nichts zu sehen.

       Entschlossen fuhr er wieder an, lenkte nach links in Richtung Feldkirch auf die Straße ein und gab Gas.

       Auf der Flucht

      Hektisch hatte er den Wagen vorangetrieben, fuhr stets nur knapp unter der erlaubten Höchstgeschwindigkeit. Kurven ging er bedächtig an. Mehrmals schob die Karre hinten weg. Nur nicht von der Straße abkommen! Nur keinen Fahrfehler begehen, obwohl die Zeit drängte.

      Im Gegensatz zum ersten Abschnitt der Rücktour zeigte sich der nördliche Teil des Bregenzer Waldes heute recht unwirtlich. In den Tälern glänzte der Asphalt streckenweise überfroren. Zudem wurde die Straße von breiten, tückischen Schneefahnen überzogen. Es war bisweilen höllisch glatt, höchste Vorsicht schien geboten.

      Bauerfeind stöhnte laut. Voller Wut hieb er aufs Lenkrad. Die Ausflüchte, die Führmann gebraucht hatte, die Mär von einem General, alles Lug und Trug. Geistiger Dünnschiss! Nur, um ihn in eine Falle zu locken! Seine Hände zitterten immer noch, je länger er über das Vorgefallene nachdachte. Dass ihm immer noch schier den Atem nahm.

       Führmann wäre fast sein Tod gewesen! Und wie hinterhältig er von Anfang an alles geplant zu haben schien. Um ihn, seinen Genossen als Mittel zum Zweck, nach einer erfolgreich manipulierten Geldeinzahlung auf dem Rückweg nach Berlin zu beseitigen!

       Er musste heftig schlucken und nochmals hieb er wütend mit der Hand aufs Lenkrad. Für einen kurzen Moment verschwamm die heranrasende Straße vor seinen Augen.

      Verdammt! Warum nur vertraute er dem Oberst? Wenn der ihn getötet, seine Leiche den steilen Abhang hinab geworfen hätte, wäre alles für lange Zeit unentdeckt geblieben!

       Mehrmals atmete tief durch. Gleichwohl stellte er fest, dass der Druck im Magen langsam nachzulassen schien.

      Einem Bedürfnis folgend nahm er den Fuß vom Gas. Er steuerte einen Rastplatz an, der seitlich der Straße mitten im Wald lag. Hastig kletterte er aus dem Wagen. Ein aufmerksamer Rundblick bestätigte ihm seine Einsamkeit.

       Sodann zerrte er die Hose auf und schickte einen dampfenden, gelben Strahl weit über die weiße Schneedecke. Vom abnehmenden Druck erleichtert atmete er die kalte Luft tief ein und lauschte der Stille nach, die ihn umgab.

      Kurz entschlossen öffnete er den Kofferraum. Da lagen die Koffer! Unbeschädigt. Einer von beiden prall gefüllt mit der Reisetasche, in der die fünf Millionen steckten.

       Ja! Alles war real, kein Trugbild narrte ihn!

       Das Motorengeräusch eines Autos ließ ihn erstarren. Doch der Wagen fuhr vorn auf der Straße vorbei.

      Spontan fasste er einen Entschluss. Das viele Geld, das ihm fast das Leben gekostet hätte, sollte ihm von nun an in seinem Leben weiterhelfen.

       Dafür würde er von der Bildfläche verschwinden und woanders neu beginnen.

       Bis gestern Morgen vor Antritt dieser verhängnisvollen Fahrt zeigte er sich