Philip Hautmann

Yorick - Ein Mensch in Schwierigkeiten


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diesen Vorfall gar nicht, sondern zog es vor, sich bei Herrn G2. ein drittes Mal danach zu erkundigen, was er in Oman denn eigentlich genau machen würde, woraufhin Herr G2. nach einer kurzen Pause zu erzählen anfing, dass die folgende Geschichte, aus der er eine seiner wichtigsten Lebensweisheiten geschöpft habe, eine etwas längere Einleitung nötig machen würde, und mit der Schilderung seiner Jugend als Pfadfinder einsetze. Die Zwillingstöchter der betagten Dame Z. kamen freilich nicht ganz in den Genuss dieser Schilderungen, sie blickten derweil mit eingestürzten Visagen und unfähig, ein Wort vorzubringen, wie Wachspuppen oder Porträts auf Yorick; dafür, dass sich jemand ihrer Lieblingsbeschäftigung, andere Leute am Schlaffitchen zu packen und sie über die Unmöglichkeit ihres Verhaltens zu belehren, so vollständig entzogen hatte, schien selbst in ihrem grundlegenden Gefühlsrepertoire kein adäquater Ausdruck vorhanden zu sein, nur eine gähnende Null schien dort ihre Bahn um sich selbst zu ziehen. Schon aber wollte Yorick von Herrn G2. wieder wissen, was er in Oman denn eigentlich genau machen würde, der daraufhin entgegnete: Man betrachte jenes Bild da an der Wand. Sehr geschmackvoll, nicht?; obwohl er in Oman eigentlich gar keine anrüchigen Aktivitäten verfolgte, war er eben ganz einfach nicht in der Lage, aus seiner durch und durch geschäftsmännischen Art auszubrechen, innerhalb derer er das Blaue vom Himmel runterplauderte, solange es unverbindlich war, aber beinahe unfähig wurde, etwas zu sagen, wenn es in Verbindlichkeit umzuschlagen drohte, beziehungsweise, wenn jemand ihn fragte, was er als Geschäftsmann eigentlich genau machen würde, und bevor er eine Antwort auf Yoricks Frage gab, die alles in Unspektakularität aufgelöst hätte, stand er lieber auf, und ging unter der Entschuldigung, noch einen wichtigen Geschäftstermin wahrnehmen zu müssen, wobei Yorick ihm nachrief, was für einen wichtigen Geschäftstermin er um halb zwölf Uhr in der Nacht denn noch haben würde, Herr G2. war jedoch bereits entwichen. Dass er Herrn G2. vertrieben hatte, söhnte freilich wiederum den distinguierten Herrn A. innerlich mit Yorick aus, da der distinguierte Herr A. die bodenständige Geschwätzigkeit des Herrn G2. nicht leiden mochte, ebenso wie umgekehrt Herr G2. gegen die distinguierte Geschwätzigkeit des Herrn A. große Abneigung empfand. Es ist wahrscheinlich nicht zu viel gesagt, wenn man behauptet, dass Herr A. und Herr G2. sich aufgrund eines feinen Unterschiedes in ihrer ansonsten vollkommen identischen Art grundtief hassten. Ebenso hassten sich übrigens Herr C. und Herr G. sowie Frau E. und Frau D.; Herr C. hasste Herrn G., weil Herr G. aus gutem Hause kam, und sich nie im Leben richtig hatte anstrengen müssen, im Gegensatz zu ihm, Herr G. hasste Herrn C, weil der in seiner Eigenschaft als Unterschichtenspross ein doppelt und dreifach rücksichtsloser Aufsteiger war, was ihm missfiel; Frau E. hasste Frau D. weil Frau D. dem völlig hilflosen Herrn P. ein Kind angehängt hatte, so wie sie es einige Jahre zuvor selbst mit Herrn P. getan hatte; Frau D. hasste Frau E., weil sie zuvor nicht nur ein Kind sondern auch einen völlig hilflosen Mann zu ihrer Verfügung hatte, und außerdem wusste, dass Frau E. sie seitdem und begründeterweise noch stärker hassen musste als vorher. Auch hassten sich Herr T. und Frau W. sowie Frau P. und Herr E.; Herr T. hasste Frau W., weil sie früher in seiner Abteilung gearbeitet und die Anstellung nach drei Monaten ohne Lohnauszahlung aufgegeben hatte, was ihm logisch zwar einleuchtete, emotional jedoch nicht mit seinem Selbstbild als größter Abteilungsleiter aller Zeiten vereinbar war, Frau W. jedoch hasste nicht Herrn T., da sie dafür zu viel Format hatte, was den Hass Herrn T.s gegenüber Frau W. zusätzlich ins beinahe Grenzenlose steigerte; Frau P. hasste Herrn E., weil er ein eigenständiger Mensch war, sie jedoch nicht, Herr E. hasste Frau P., da er wusste, dass sie nur auf eine Gelegenheit warten würde, ihren Hass und ihre Revanchegelüste gegenüber ihrer Umwelt ordentlich ausleben zu können. Dann hasste noch Herr X. Herrn A., sowie Frau A. Frau X.; Herr X. hasste Herrn A., weil er ihm seiner Meinung nach zu wenig Aufmerksamkeit zukommen ließ, Herr A. hasste Herrn X., weil er umgekehrt genau dasselbe dachte; Frau A. hasste Frau X., weil ihr Haus auf der linken Straßenseite lag, und ihres auf der rechten, Frau X. hasste Frau A., weil ihr Haus auf der rechten Straßenseite lag, und ihres auf der linken. Als Yorick in einer Laune noch etwas einwarf und der intelligenten Dame K. gegenüber philosophierte, dass der Mensch doch unglaublich komisch sei und bereits dann eingeschnappt sein möge und den anderen mit unerbittlichem Ressentiment verfolgen würde, wenn man bloß „Hallo“ zu ihm sage, während er sich einbilden würde, man hätte sich dabei vor ihm mindestens zu verbeugen, entwickelten alle einen Hass auf Yorick, da jeder und jede der Meinung war, diese Aussage sei in perfider Weise von allen Leuten ganz genau auf ihn oder sie gemünzt. Die Behinderten würden mit ihren Rollstuhlauffahrrampen alle öffentlichen Gebäude verschandeln, warum sie denn nicht ganz einfach zuhause bleiben könnten, wie sie es früher ja auch getan hätten – früher; heute würden sie mit ihren Rollstuhlauffahrrampen die öffentlichen Gebäude verschandeln, die Scheiß-Behinderten!, ereiferte sich dann zum Schluss noch Herr G.,

       ob die Rollstuhlauffahrrampen für die Behinderten denn tatsächlich die öffentlichen Gebäude so sehr verschandeln würden

      und

       ob man denn tatsächlich von den Behinderten verlangen könne, dass sie zuhause bleiben sollten,

      fragten die Damen, Frau G. adressierte gelangweilt an ihren Gatten die Frage, weshalb er denn dauernd herumstänkern müsse, woraufhin Herr G. in spitzbübischer Manier und unruhiger Körpersprache die Antwort erteilte, weil es ihm eben Freude bereiten würde, herumzustänkern! Und außerdem sei er tatsächlich der Meinung, dass die Scheiß-Behinderten doch alle zuhause bleiben sollten, anstatt mit ihren Rollstuhlauffahrrampen die öffentlichen Gebäude alle zu verschandeln.

      So war das eben charakteristisch für Yorick. In dem einen oder anderen Zusammenhang gelang es ihm zwar, Sympathien zu erwerben, wenngleich er dazu tendierte, sie auch schnell wieder zu verlieren, in Ausnahmefällen, wenn die Umstände günstig waren, oder aber Yorick sich das richtige Opfer, auf das sich alle einigen konnten, gefunden hatte, gab es tatsächlich Momente, in denen die Möglichkeit des Auftretens eines Yorick von der Gesellschaft dankbar angenommen wurde, und in denen Yorick durch sein Auftreten die Lacher allgemein, oder in selteneren Fällen sogar einige Aah!- und Ooh!-Seufzer einiger Damen, auf seine Seite zu bringen imstande war. Wir erinnern uns an einen solchen Fall zum Beispiel anlässlich der Vernissage zu einer Ausstellung des Künstlers B., bei der auch Yorick dabei war. Der Künstler B. war eine komplizierte Persönlichkeit. Seiner Selbstdefinition als Künstler sich gewiss, war der künstlerische Erfolg des Künstlers B. prekärer Natur; zudem hatte er altersmäßig bereits die Vierzig überschritten. In Kombination dieser drei Eigenschaften, wozu die letzte, eben dass er bereits die Vierzig überschritten hatte, am markantesten beitrug, ergab sich an ihm also das Phänomen eines unerträglichen Menschen, und darauf war er, wie bei Künstlern nicht unüblich, sogar noch stolz. (Früher war der B. ein ganz normaler und unauffälliger Charakter gewesen; durch seine Fixiertheit, als Künstler Anerkennung zu finden, hatte er sich diesen im Lauf der Zeit unwiederbringlich ruiniert.) Seine zur Schau gestellten Kunstwerke bestanden aus bemalten Damenunterhosen und aus im Stil der Comic Art gehaltenen Zeichnungen von nackten Frauen in sexuell aufreizenden Positionen sowie einer Reihe von Selbstporträts, welche sinnigerweise im Übrigen die mit Abstand künstlerisch gelungensten Werke seines Gesamtrepertoires darstellten. Zur Eröffnung der Ausstellung hatte B. sich eingebildet, das Publikum mit einer Performance zu beglücken, bei der er in einer sich selbst bekräftigenden Manier irgendwas um das Thema Alkohol, Frauen und Sexualität zum Besten gab und dabei Striche und Linien auf eine Leinwand auftrug oder diese mit Obst oder Unrat bewarf (oder ein Stück bemalter Damenunterwäsche auf sie anheftete), wobei er sich den Pinsel (und das Obst (und den Unrat)) demonstrativ immer von seiner gehorsam rechts hinter ihm stehenden Assistentin, einer jungen Asiatin, reichen ließ, um ihn ihr anschließend wieder zu retournieren. Außerdem hatte der Künstler B. ein idiotisches Häubchen auf, das allein schon gereicht hätte, um einem den Tag zu versauen! Eine Stunde oder noch länger zog sich das dahin, zum schweren Ärger des Publikums. Wie diese Künstler und auch sonstigen Leute, die glauben, etwas zu sagen zu haben, das oft ganz einfach nicht merken würden, wie sie mit ihrem blasierten und/oder ganz einfach langweiligen und in die Länge gezogenen Zeug den Leuten schwer auf die Nerven gehen würden, dachte sich Yorick (bzw. das Publikum insgesamt) nach gut fünf Minuten; etwas später war der Gedankenfluss dann schon fortgeschritten zu entsetzlich, wie diese Künstler und auch sonstigen Leute es nicht