auf die Kinder zu. „Hallo“, sagte sie beiläufig. „Wie heißt ihr? Ich bin Rena.“
Zwei der Kinder waren Mädchen, das dritte ein Junge. „Xaia“, sagte das eine Mädchen, „Daia“, das andere, „Taio“, meinte der Junge.
Sie schienen nicht sehr neugierig. Rena entschied sich noch ein bisschen mehr zu erzählen, vielleicht tauten die drei dann auf. „Ich bin hier in der Gegend aufgewachsen und gerade da, um meinen Lebensbaum zu besuchen. Eine wunderschöne, zweihundert Winter alte Viveca auf einer kleinen Lichtung westlich von hier. Sagt mal, aus welcher Gilde seid ihr eigentlich? Erde?“
Keine Antwort, nur leere Gesichter. O je, falsche Frage, dachte Rena. Wahrscheinlich sind sie nie aufgenommen worden. Hätte ich besser vorher rausfinden sollen. War es das, was mir der Offizier sagen wollte – dass ich sie nicht nach ihrem Element fragen soll?
„Deutungen können wir nur machen, wenn die Monde aufgehen“, sagte eines der Mädchen, wahrscheinlich war es Daia.
„Inspiriert euch das?“ Rena war gespannt.
„Es geht eben vorher nicht.“
„Macht euch das eigentlich Spaß, Deutungen zu treffen, Vorhersagen zu machen?“
Die drei Kinder zuckten die Schultern. „Manchmal ist es ganz lustig“, sagte Xaia. Rena konnte sie nur dadurch unterscheiden, dass sie ein Armband aus geflochtenem Gras trug.
Rena entschied, sich ein Stückweit vorzuwagen. „Ihr habt wahrscheinlich ganz schön zu tun, was? Manche Leute vor dem Tor warten schon seit Monaten auf eine Antwort von euch.“
„Sie sind dumm“, sagte Taio. „Warum gehen sie nicht einfach wieder?“
„Weil ihre Fragen für sie sehr wichtig sind“, meinte Rena geduldig und dachte: Verurteil sie nicht. Wahrscheinlich haben sie ihr halbes Leben hier drin verbracht, sie wissen nichts von der Welt. „Ich hätte auch eine Frage. Es wäre toll, wenn ihr mir die beantworten könntet.“
„Vielleicht“, sagte Daia keck. „Sag mir, was du wissen willst!“
Rena schloss kurz die Augen. Plötzlich hatte sie Angst, ihre Frage zu stellen. Vielleicht war es besser, wenn sie die Antwort nicht wusste. Nein, sie musste es wissen, sie wollte nicht, dass Tjeri sich da in etwas hineinsteigerte. „Wer wird zuerst sterben, ich oder mein Gefährte?“
Die Kinder nickten. Im Hintergrund hörte Rena wieder die keifende Stimme ihrer Aufpasserin, die schnell näherkam. Anscheinend konnte Tjeri sie nicht länger in Schach halten. „O je, da kommt Ellba“, entfuhr es Rena. „Ist sie eigentlich mit euch verwandt, eure Mutter oder Tante oder so?“
In dem Moment, da Rena ihre Eltern erwähnte, veränderten sich die Gesichter der drei Kinder – kalt und hasserfüllt wurden sie. Plötzlich fiel Rena wieder ein, dass dies hier unberechenbare Anderskinder waren.
„Na, dann noch viel Spaß“, sagte Rena hastig und zog sich zurück.
Wie sich herausstellte, beruhigte sich Ellba sogleich, als Rena wieder Abstand zu den Kindern wahrte. „Sie sind sehr empfindlich, müsst Ihr wissen“, belehrte sie die Besucher mit strenger Miene.
Hab ich gemerkt, dachte Rena.
„Ellba ist schon seit zwei Wintern hier“, erzählte Tjeri munter. „Sag mal, Ellba, wo kommen die Kinder eigentlich her? Hier aus der Gegend?“
„Nein, nein, sie sind aus dem Karénovia-Tal an der Grenze von Alaak zu Tassos und Vanamee. Aus dem gleichen Dorf wie ich“, berichtete Ellba in wichtigem Ton. „Wir haben die Kinder erst entdeckt, als die Eltern einen Unfall hatten und gestorben sind, möge der Erdgeist ihnen gnädig sein! Sie müssen die Kleinen versteckt gehalten haben. Aber nach dem Unfall kam natürlich alles ans Licht, ha, so was geht schließlich nicht, so was kann man doch einfach nicht machen, Kinder verstecken!“
„Haben die drei um ihre Eltern getrauert?“, fragte Rena neugierig. Nach der Reaktion der Kinder vorhin zweifelte sie daran.
„Getrauert?“ Ellbas Stimme wurde noch ein wenig schriller. „Keine Träne, keine! Ehrlich gesagt, sie waren uns ein bisschen unheimlich. Niemand wollte sie aufnehmen. Schließlich habe ich mich erbarmt, ich, obwohl mir schon damals der Rücken wehtat und ich manchmal kaum gehen konnte!“
Tjeri fragte: „Wann hast du gemerkt, dass sie ... besondere Fähigkeiten haben?“
„Ich habe sie beobachtet bei ihren seltsamen Spielen und habe genau zugehört bei dem, was sie gesungen haben, ha, sonst hat das keiner gemacht! Dabei habe ich gemerkt, dass sie die Zukunft vorhergesagt haben. Gleich habe ich das dem Rat gemeldet. Tja, und heute weiß der Rat gar nicht mehr, wie er ohne meine drei auskommen soll. Jawohl!“ Stolzgeschwellt blickte Ellba zu Xaia, Daia und Taio hinüber, die die Erwachsenen nicht mehr beachteten. Doch dann stutzte sie. „O je, ich muss noch das Essen machen! Sie werden leicht wütend, wenn es nicht pünktlich auf dem Tisch steht. Ihr könnt gerne hier im Garten warten. Aber nur bis der Mond aufgeht. Sie mögen es nicht, wenn man sie bei den Vorhersagen beobachtet, das mögen sie ganz und gar nicht!“
„Vielen Dank“, sagte Tjeri freundlich. „Wir machen es uns bequem.“
Sobald sie allein waren, wurde er schlagartig ernst. „Und, was hast du herausgefunden?“
„Leider nicht viel. Auf den ersten Blick wirken sie wie normale Kinder, aber das sind sie nicht. Bei vielen Themen blocken sie sofort ab.“
Er verzog das Gesicht. „Es würde mich sehr interessieren, was für ein seltsamer Unfall das war, bei dem ihre Eltern umgekommen sind. “
„Ja, mich auch“, gestand Rena und blickte hinüber zu den Kindern. „Glaubst du, dass wir hier in Gefahr sind? Ich fürchte, ich war ihnen nicht sonderlich sympathisch. Warum habe ich mich bloß nicht besser vorbereitet?“
„Womit denn vorbereiten? Habe ich irgendwo dicke Schriftrollen über das Orakel übersehen?“ Tjeri neckte die Libelle, die sich auf seiner Hand niedergelassen hatte. „Lass uns einfach mal abwarten, was die drei zu deiner Frage sagen. Meinst du, sie können wirklich in die Zukunft sehen?“
„Ich hoffe es sehr“, sagte Rena trocken. „Sonst wird der Rat gerade fein an der Nase herumgeführt.“
***
Es war eine warme Sommernacht, und da die beiden ersten Monde am Himmel standen, lag ein sanfter Schimmer über der Landschaft. Joraks Atem ging schnell, als er sich einen Pfad durchs hüfthohe Gestrüpp von Silberthymian und Disteln bahnte.
Es war ein Fehler, diesen Treffpunkt zu wählen, ging es ihm immer wieder durch den Kopf, während er die Fackel hob, um einen guten Blick auf den Pfad zu haben. Zwar hatten sie auf dem Hügel außerhalb der Stadt einen guten Blick auf die Umgebung und reichlich Platz, um seine drei Tornados zu demonstrieren. Aber im freien Gelände war die Flucht auch viel schwerer, wenn sie Pech hatten und Elaudio sich als nicht vertrauenswürdig erwies. Und seit der Palast der Trauer im letzten Winter abgebrannt war, erschien ihm das Gemäuer noch unheimlicher als zuvor. Wie die Rippen eines toten Tieres ragten die übriggebliebenen Säulen in den Himmel, der einst weiße Stein war vom Feuer geschwärzt. Es beruhigte Jorak, dass er Alena und Cchraskar in der Nähe wusste. Sehen konnte er sie nicht, sie schlichen ihm gut versteckt nach und würden sich etwas westlich von hier auf Beobachtungsposten begeben.
Pünktlich kurz vor dem Aufgang des dritten Mondes war Jorak an Ort und Stelle. Von hier oben konnte man auf die Lichter der Stadt herunterblicken. Wer sich auskannte, konnte sogar die einzelnen Bezirke erkennen. Jorak hörte Elaudios Herannahen schon von Weitem. Schnaufend wie ein krankes Dhatla arbeitete er sich durchs Gebüsch, eine kleine Laterne in der Hand, und unterhielt sich dabei wütend mit sich selbst oder vielleicht mit seiner Spinne. Jorak musste lächeln, auch wenn er nervös war. Wachsam hielt er die Augen nach Leibwächtern offen, aber er sah keine. Wetten, die lagen irgendwo auf dem Bauch im Gebüsch – so wie Alena?
Jetzt hatte der Mann ihn erreicht. Sein Körper war fast tonnenförmig, und mit einem Schaudern sah Jorak die fast kopfgroße schwarze Spinne, die auf seiner Brust hockte.