Andreas Vieth

Einführung in die Philosophische Ethik


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moralischen Bedeutung unserer Begriffe ein.

      Einstellungen und Entscheidungen haben jedoch einen großen Nachteil. Es ist verständlich, dass sich Emotionen von Personen auf andere Personen übertragen können, wenn sie in der geeigneten Weise und in den geeigneten Umständen zum Ausdruck kommen. Wie aber soll das [< 50] mit Einstellungen und Entscheidungen gelingen? (Kognitivisten übertragen sie von einer Person auf eine andere durch Argumente, die für sie gemeinschaftlich als verständlich gelten dürfen.) [[Befehl]] Die beiden Philosophen vertreten daher eine komplexere Version des Non-Kognitivismus und müssen deshalb für das Moment der Beeinflussung einen Ersatz finden: den Befehl. Wir bringen in unserer moralischen Sprache e zum Ausdruck (wobei e Einstellungen oder Entscheidungen sind) und befehlen uns selbst und anderen dieselben e zu haben. Wenn jemand bestimmte Einstellungen hat, oder sich für Regeln entschieden hat, dann ist empirisch erforschbar, wie sie unsere Handlungen tatsächlich beeinflussen. Denn wie beeinflussen Befehle intersubjektiv?

      Die Theorien von Stevenson und Hare sind umfangreich und komplex. Hier sollen nur zwei Dinge weiter geführt werden: Einerseits muss man sich fragen, warum Befehle sich als Übertragungsmechanismus eignen – für Emotionen erschien dies relativ plausibel. Andererseits sollte man verstehen, warum die beiden Philosophen mit Einstellungen und Entscheidungen andere psychische Vorkommnisse wählen als Emotionen.

      Dass [[Wie verursachen Befehle Moral?]] Befehle das Handeln zu beeinflussen vermögen, ist an sich kein Problem. Der General befiehlt dem Offizier und dieser dem Soldaten und so marschiert die Armee ins Feld. Im Experiment von Stanley Milgram befiehlt ein Wissenschaftler im weißen Kittel einigen Personen, andere Personen zu foltern. Bei Soldaten wirken Befehle, weil sie Teile einer Hierarchie von Autoritäten sind. Der Wissenschaftler im Milgram-Experiment, aber auch unsere Ärzte treffen ohne eine solche institutionalisierte Hierarchie Anordnungen und wir folgen ihren Befehlen in der Regel relativ unreflektiert. Das ist verständlich, weil wir Wissenschaftlern aufgrund ihrer Expertise eine natürliche von legitimierenden Institutionen unabhängige Autorität zuschreiben. (Vgl. Schmidt 2011, Kap. 1.)

      Aber in der Moral versucht jeder jeden mittels seiner jeweiligen Autorität zu beeinflussen. Warum sollten Befehle als Sprechakte hier performativ aufgrund ihrer perlokutionären Rolle [[Befehle wirken?]] Wirkungen haben? Es ist schon betont worden, dass viele Personen eine natürliche Autorität haben. Und man sollte auch nicht unterschätzen, dass der Akt des Befehlens selbst eine gewisse Autorität hat. Vielleicht können sogar Kunstwerke (also Situationen) uns im Sinne einer „kausalen Wirkung“ befehlen, bestimmte Dinge (Gehorche keinem!) zu denken und zu reflektieren. Non-Kognitivisten müssen eine Phänomenologie und Theorie des Befehls entwickeln.

      [[Einstellungen befehlen]] Stevenson und Hare ersetzen in ihrer Theorie das Konzept der Emotion durch Einstellungen bzw. Entscheidungen, weil das moralische[< 51]Leben zu komplex ist, um auf einer Emotion zu beruhen, die nur „Daumen hoch“ und „Daumen runter“ bedeuten kann. Ayers Position des Emotivismus beruht auf einer Emotion, durch die Personen sich billigend oder missbilligend zu bestimmten Dingen verhalten. Eine Einstellung ist hingegen komplexer. Man kann zum Beispiel die Einstellung haben, dass Frauen die Kinder erziehen sollen und deshalb nicht studieren sollten. Eine solche Person wird auf Studentinnen ablehnend reagieren und ihnen durch moralische Ablehnung befehlen, ihre Einstellung zu teilen. (Die Studentin wird natürlich mit vergleichbaren, aber gegensätzlichen Befehlen reagieren.) Einstellungen von Personen zu diesen Dingen sind komplex, weil sie beispielsweise Vorstellungen über die Geschlechterdifferenz und gesellschaftliche Strukturen enthalten, über die man diskutieren und wissenschaftlich streiten kann. Man könnte so etwa die These vertreten, dass Kinder eher bei Männern gut aufgehoben sind und deshalb die Mütter studieren sollten. Über derartige Dinge kann man sinnvoll streiten, man kann sie empirisch überprüfen. Ein bloßes Billigen oder Missbilligen, wie Ayer es formuliert, entzieht sich hingegen der Diskussion.

      In der Ethik spielen [[Normen befehlen]] Normen eine Rolle, für die ein gewisser Grad an Allgemeinheit charakteristisch ist. Personen entscheiden sich nach Hare für solche Regeln ihres Handelns und befehlen anderen Personen, sich für dieselben Regeln zu entscheiden. Allgemeine Regeln eröffnen dann aber subjektive Spielräume im Detail. Wenn jedoch mit einer Einstellung im Sinne Stevensons das Frauenbild einer Person gemeint ist, dann umfasst diese Einstellung sowohl allgemeine Prinzipien als auch sehr spezifische auf die Situation oder einzelne Personen bezogene Prinzipien, die handlungsrelevant sind. Und der Befehl soll die ganze Einstellung auf eine andere Person übertragen. Hierin liegt ein Rigorismus von Stevenson, den nur wenige Moralisten teilen. Wenn es, nach Hare, nur um die Übertragung von allgemeinen Prinzipien geht, dann wird die Geltungskraft der Moral dünner. Individuelle und kulturelle Spielräume werden für moralische Argumente unzugänglich. (Williams 1988.)

      Stevenson will mehr Aspekte unserer Alltagsmoral in den Rahmen einer non-kognitivistischen Ethik integrieren, als Ayers Ansatz es vermag. Er verwendet komplexere [[Deutung der drei Positionen]] Emoticons: Einstellungen sind intern komplexe Vorstellungen, die man explizieren kann und über die man sinnvoll streiten kann, weil sie beispielsweise Voraussetzungen haben. Unterschiedliche Befehle und Normen können in Widerspruch zueinander stehen. Dadurch werden mehr Aspekte unseres Streitens über Moral im Rahmen des Non-Kognitivismus verständlich. Sein Ansatz hat jedoch illiberale Tendenzen, weil die Beeinflussung zu weitgehend die Einstellungen von Personen kontrolliert. Jemandem Einstellungen zu befeh-[< 52]len, transportiert möglicherweise sehr spezifische Vorstellungen in ihn. Demgegenüber greift Hare Stevensons Kritik an Ayer auf, vermeidet aber die rigoristischen Konsequenzen, weil allgemeine und universale Normen schon einen Standpunkt der Unparteilichkeit transportieren. (Nagel 1988.)

      3.3 Indirekte Begründungen

      Es gibt also ein Argument für den Non-Kognitivismus (Dissens), zwei ihn unterstützende und klärende Hintergrundtheorien (Hume, Sprachphilosophie) und eine wichtige Einsicht in non-kognitivistische Aspekte ethischer Begründung des moralischen Lebens (moralische Infektion durch Autorität).

      Man kommt nicht umhin anzuerkennen, dass wir vom moralischen Diskurs zwei Dinge nur mit Einschränkungen erwarten dürfen: [[Dissens erwarten!]] Konsens und Überzeugung durch Argumente. Dissens scheint irreduzibel zu sein. Die politische Idee der Gleichheit schafft einen sozialen Raum, der letztlich in seinem Kernbereich hedonistisch verstanden werden muss. Deutet man Pluralität normativ als Pluralismus, das heißt die gleichberechtigte Geltung verschiedener Normen, darf man auch in moralischen Fragen voneinander keinen Konsens erwarten. Leider leiten Non-Kognitivisten diese Schlussfolgerung nur für die philosophische Ethik selbst her und delegieren ihre Leistungen an die Naturwissenschaften. Unter Naturwissenschaften verstehen sie verkürzend die Suche nach universalen (mathematisch beschreibbaren) Gesetzen für eine wert- und normfreie empirische Wirklichkeit. Wissenschaft in diesem Sinne kennt keinen Streit, sondern allenfalls offene Fragen (Projekte). Insofern bleiben die Non-Kognitivisten deskriptiv dem monistischen Konsensziel der rationalistischen Ethiken verhaftet (Deontologie, Utilitarismus). Als Ethik des metaethischen Schlichtens gedeutet hat der Non-Kognitivismus zwar eine liberalisierende Tendenz, er bleibt aber einem anti-pluralistischen Geltungskonzept verhaftet. (Wellmann 1968.)

      Doch man sollte beachten, dass der moralische Dissens zugleich auch ein Argument gegen den Non-Kognitivismus liefert. Man sollte zwar, wenn rationales [[Streit: das Faktum, sein Charakter]] Streiten der Normalzustand in sozialen Kontext ist, innehalten und nach Indizien dafür suchen, ob es uns eigentlich um etwas ganz anderes geht als um gute aber divergierende Gründe für unsere Auffassungen. Insofern stellt das Faktum des Dissenses ein Argument für den Non-Kognitivismus dar. Dennoch scheint der Charakter des Dissenses ebenso ausschließlich rational zu sein: Wer eine wohlbegründete Moral nicht als bloßes Machtinstrument gegen Abweichler missbraucht, sondern am Gegenüber interessiert ist, wird über die[< 53]Dinge reden. Man wird trotzdem Argumente austauschen. Dies läuft auf die These hinaus: Moralischer Dissens bedarf keiner metaethischen Schlichtung, sondern einer pluralistischen und [[Schlichtung vs. Lösung]] kreativen Lösung.

      Und selbst Emotivisten müssen anerkennen, dass wir zumindest manchmal unsere Emotionen unmittelbar verändern, indem wir sie rational zu verstehen suchen, sie deuten und klären. Ein Beispiel macht das deutlich.