Nadine T. Güntner

Allendas


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er ihre schemenhaften Gestalten im Schein des Mondes, der durch die offenen Fenster fiel, sehen konnte. Er zog sein Schwert und Herras tat es ihm gleich.

      Dann griffen die Kreaturen an. Sie hatten kaum eine Chance. Hondor tötete drei von ihnen mit seinem Schwert, aber es waren zu viele. Sie überwältigten ihn, nahmen ihm seine Klinge ab und warfen ihn hart zu Boden. Er spürte, wie ihm die Hände auf den Rücken gefesselt wurden. Dann hoben sie ihn auf und trugen ihn fort, ohne dass er sich dessen hätte erwehren können. Hilflos musste er alles über sich ergehen lassen. Sie waren in der Überzahl und sie waren erstaunlich stark. Aus den Augenwinkeln konnte der König noch sehen, wie sie Herras das Gleiche antaten.

       1) Wobei diese Meinung auf nur sehr wenigen verbliebenen Überlieferungen beruhte.

      Kalerid I

      Kalerid war zufrieden mit seinen Kriegern. Doch noch mehr war er es mit sich selbst. Sein Schlachtplan hatte sich als vortrefflich und erfolgreich erwiesen und dazu war es noch so herrlich einfach gewesen.

      Während er das belebende Gefühl des Sieges genoss, fragte sich der Heerführer der sellagischen Truppen, warum sein Vater und alle vor ihm so lange gezögert hatten, Allendas zurückzuerobern.

      Zu lange hatte das Volk der Sellag in den hohen Gebirgszügen Gerlands hinter der westlichen Grenze des Landes hausen müssen, zu lange hatten sie sich in Höhlen und Felsspalten verkrochen, ausgeharrt und den schlechten Witterungsverhältnissen getrotzt. Endlich war ihr Tag gekommen.

      Berild, Kalerids Vater, hatte, wie seine Väter zuvor, viele Jahre darauf verschwendet, eine übermächtige Truppe aufzustellen und auszubilden. Er hatte Späher nach Allendas ausgesandt, um das Volk und ihre Gepflogenheiten zu studieren und er hatte seine Befehlshaber gezwungen, sogar die Sprache der Allendasser zu lernen, ohne jemals den Befehl zum Angriff gegeben zu haben. Zu viele Krieger waren alt geworden und gestorben, ohne dass jemals ihre Gelegenheit gekommen war. Lange hatte Berild über seinen Feldzug gebrütet. Kalerid konnte darüber nur lachen. Auch mit der Hälfte an Kriegern hätten sie die verweichlichten und einfältigen Menschen überwältigen können. Innerhalb einer Nacht hatten die Sellag-Truppen die Grenzen zu Allendas überschritten und das Land in ihre Gewalt gebracht. Und nun, die Sonne war noch nicht einmal aufgegangen, hatte Kalerid bereits den Thron übernommen. Die Tat, auf die sein Vater über so lange hingearbeitet hatte, war in lächerlich kurzer Zeit vollbracht worden.

      Den König hatte er während der Schlacht nicht einmal zu Gesicht bekommen. Wahrscheinlich verkroch sich der hochwohlgeborene Jüngling in seinen Gemächern unter weichen Daunen. Aber auch das würde ihm nichts helfen. Kalerid hatte ein Dutzend seiner besten Krieger losgeschickt und sie würden den gefallenen König von Allendas holen und ihm seinem neuen Herrn vorstellen.

      Er hatte ihnen befohlen, ihn lebend zu bringen, denn der Heerführer der Sellag wollte seine Schmach bis ins Letzte auskosten. Ein toter König konnte nicht mehr wimmern und flehen.

      Hocherhobenen Hauptes saß Kalerid auf dem Thron im großen Saal des Schlosses von Alland Pera. Seine Krieger beseitigten die Zeichen der kurzen Schlacht. Sie schafften die Leichen der Menschen, die bei dem kläglichen Versuch, das Schloss zu verteidigen, gefallen waren, hinaus. Der selbst erwählte, wenn auch ungekrönte2 Herrscher von Allendas, natürlich würde er auch den Namen seines Reiches bald ändern, wollte keine Toten in seinem neuen Heim. Er verabscheute den süßlichen Geruch des menschlichen Blutes. Zudem hatte Kalerid angeordnet, die Banner und Fahnen mit den Zeichen des gefallenen Herrschergeschlechts zu entfernen. Kahle, steinerne Wände gaben ihm das Gefühl, zu Hause zu sein. Kalerid lehnte sich gegen die hohe und aufwändig geschnitzte Rückenlehne des allendassischen Throns und grunzte genießerisch, während er seinen Untergebenen bei der Arbeit zusah.

      Dann wurden die mächtigen Türflügel des Thronsaals mit einem kräftigen Stoß aufgeschwungen. Früher als erwartet schleifte man den König und einen weiteren Gefangenen in den Saal und warf sie Kalerid vor die Füße. Hart schlugen die Gefesselten auf dem Steinboden auf und Kalerid begutachtete seine noch wertvolle Beute (bald würde der König von Allendas und dessen Leben keine einzige Goldmünze mehr wert sein) mit aufmerksamen Augen.

      »Sieh einer an!« Seine Stimme triefte vor Hohn, als er sich von seinem Platz erhob, um seine Gefangenen näher zu betrachten.

      Hondor erwiderte den Blick der schwarzen Augen kalt. In seinen grünen Pupillen glänzte Stolz. Er hatte seine Würde noch nicht verloren, auch wenn seine Lage aussichtslos schien.

      Auch Herras hielt dem durchdringenden Starren des Sellag stand. Obwohl seine Furcht ihn im Inneren erzittern ließ, fand nichts davon den Weg in seine Augen.

      Kalerid war beeindruckt, auch wenn er es niemals zugegeben hätte; er hatte den Menschen nicht so viel Stolz zugetraut. Er stelle sich auf seine Hinterbeine und richtete sich zu seiner vollen Größe auf. In dieser Haltung war er größer, als die meisten Angehörigen seiner Rasse. Seine großen Füße, deren Nägel sich zu Krallen ausgewachsen hatten, klatschen plump auf dem Boden, als er einmal um die auf dem Boden knienden Gestalten herumging. Speichel tropfte auf den König und seinen Begleiter herab, als sich der Heerführer zu ihnen herunterbeugte.

      »Was für jämmerliche Gestalten«, zischte Kalerid herablassend. »Der edle König Hondor und, wie ich annehme, einer seiner treuen Diener.« Kalerid umrundete seine Gefangenen noch einmal und ein heiseres Lachen entrann seiner Kehle. Er hatte nur ein Problem. Er wusste nicht, wer von den zwei rosahäutigen, kindergesichtigen Schwächlingen der König sein sollte. Beide trugen sie Kettenhemden und auch in ihrer restlichen Kleidung konnte er keinen bedeutenden Unterschied erkennen. Er hatte allerdings Mittel und Wege, um sich Gewissheit zu verschaffen.

      »Wer von Euch ist der König?«, fragte er und entblößte dabei zwei spitze Eckzähne. Herras zweifelte nicht daran, dass der Sellag allein damit seine Opfer in Stück reißen konnte, wenn er nur wollte.

      »Ich wüsste nicht, was Euch das angeht«, gab Hondor zurück und bekam für dieses ungebührende Verhalten von einem Sellag einen harten Tritt in die Rippen, der ihm für einen kurzen Augenblick den Atem raubte. Kein Schmerzenslaut kam über seine Lippen.

      »Was mich das angeht?« Kalerid lachte abermals. Sein langer grauer, mit Bergziegenfell besetzter Mantel schlug Hondor ins Gesicht, als er sich umdrehte und die drei Stufen zum Podest des Thrones wieder hinaufstieg. Selbstgefällig ließ er sich hineinsinken und ordnete beiläufig die Falten seines Umhangs. »Ich bin der neue Herrscher dieses Reiches. Mich geht alles etwas an. Also, wer von Euch beiden Schwächlingen ist der König?« Diesmal klang Kalerids Stimme deutlich fordernder.

      Hondor versuchte, davon unbeeindruckt zu bleiben. Er war der rechtmäßige König von Allendas und daran würde sich, solange er lebte, auch nichts ändern. Noch bevor er aber dazu kam, etwas zu erwidern, vernahm er Herras’ Stimme.

      »Wer seid Ihr?«, stieß der Hauptmann hervor und er bekam dafür einen kräftigen Schlag in den Nacken, der ihn ein kurzes Stöhnen ausstoßen ließ.

      Kalerid lachte erneut und mit jedem Mal klang es abstoßender und gehässiger. »Wer ich bin!?!« Der Heerführer der Sellag fühlte sich so selbstsicher in seiner Lage, dass es ihm nichts ausmachte, ein wenig über seine Herkunft zu erzählen. »Mein Name ist Kalerid, Sohn von Berild, Herrscher und Heerführer der Sellag, dem Volk aus dem Gebirge Gerland. Ich bin gekommen, um mir das zu nehmen, was mir und meinem Volk schon lange zusteht. Und wie Ihr seht, ist es mir auch mühelos gelungen. Ich hätte nicht gedacht, dass Ihr es mir so einfach machen würdet, mein Land zurückzuerobern. Man könnte meinen, Ihr habt nur auf mich gewartet. Euer Volk ist verweichlicht. Es braucht einen König, der ihm wieder ein wenig Disziplin beibringt. So wie es in den alten Tagen war.« Kalerid machte eine Pause und wartete eine Reaktion der beiden Gefangenen, doch diese blieb aus. Hondor und Herras starrten ihn stumm mit festem Blick an. In ihren Köpfen jedoch raste eine Unmenge von Gedanken. Noch nie hatten sie etwas von den Sellag gehört und seit vielen Jahren, wenn nicht Jahrhunderten, war kein Mensch mehr im Gerland-Gebirge gewesen. Niemand hatte gewusst, dass sich dort ein ganzes Volk verbarg oder gar geahnt, welche Gefahr Allendas von dort drohte.

      Kalerid wurde missmutig. Er hatte